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DRESDEN/ Semperoper: DIE „TRAGISCHE“ VON GUSTAV MAHLER UNTER MYUNG-WHUN CHUNG IM 2. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

30.09.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: DIE „TRAGISCHE“ VON GUSTAV MAHLER UNTER MYUNG-WHUN CHUNG IM 2. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 29.9.2015

Mit der Aufführung der „Symphonie Nr. 6 a‑Moll“, der „Tragischen“ von Gustav Mahler setzte Myung-Whun Chung, Erster Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, jetzt seine vielbeachteten Mahler-Erkundungen im 2. Symphoniekonzert fort, die er 2013 mit der Aufführung der „Symphonien Nr. 1.“ und „Nr. 9“ begann und 2014 mit der „Symphonie Nr. 2“ und 2015 mit „Nr. 4“ weiterführte.

Die Beziehungen der Sächsischen Staatskapelle Dresden zu Gustav Mahler gehen bis zum Ende des 19. Jh. zurück, als der 24jährige Mahler im Herbst 1884 mit der Hoffnung auf eine Anstellung in Dresden den damaligen Generalmusikdirektor Ernst von Schuch besuchte. Eine Anstellung ergab sich nicht, aber der Kontakt blieb bestehen, wenn es auch bisher nicht gelang, alle Symphonien Mahlers in Dresden aufzuführen, weder unter Kurt Sanderling, noch unter Giuseppe Sinopoli (infolge seines frühen Todes) und auch nicht unter Bernard Haitink oder Fabio Luisi.

Mahlers „Symphonie Nr. 6“ gibt Rätsel auf. Obwohl die großen Katastrophen in seinem Leben noch ausstanden, als er seine „Sechste“ in einer Zeit (äußerlich) glücklichen Privatlebens schrieb, enthält sie fast mehr „Unbarmherzigkeit“ und „Grausamkeiten“ als der Hörer ertragen kann, die „Grausamkeiten, die ihm angetan worden sind, die Schmerzen die er zu dulden hatte“, wie er einem Freund gegenüber äußerte. Es scheint, als ob er die späteren Katastrophen seines Lebens schon vorausgeahnt hätte, eine Vorahnung heraufziehender, bedrohlicher Schatten einer dunklen Zukunft.

Mahler hat sich in dieser Symphonie seine ganz persönliche Erschütterung von der Seele geschrieben. Wie seine Frau Alma berichtete „kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen. Die Sechste ist sein allerpersönlichstes Werk und ein prophetisches obendrein.“

Myung-Whun Chung hatte sehr klare Vorstellungen von der Widersprüchlichkeit und inneren Zerrissenheit dieser Symphonie. Unter seiner Leitung setzte die Kapelle seine Werkvorstellungen so präzise um, dass die Erschütterungen, die Mahler persönlich durchlitten haben mag, unmittelbar miterlebbar wurden. In starken Kontrasten wurde ein Netz voller sehr persönlicher und allgemeingültiger Empfindungen aufgespannt zwischen „stampfenden“ Rhythmen, schrillen Klängen, mehr Geräuschen als Tönen, Surren, Pfeifen und Klirren, mit dem Einsatz von Becken, Pauken und Schlagzeug und „quietschenden“ Streichern, und dann wieder die kontrastierenden, unterschwellig oder an der „Oberfläche“ anklingenden feinen, sensiblen, mitunter sogar klangschönen, fast lyrischen Passagen, mit feiner Nuancierung der Streicher, klangschöner Umsetzung der „Melodielinien“ durch die tiefen Streicher, Herdenglocken, die zusammen mit anderen Instrumenten fast lyrische Melodien einfließen ließen und eine friedliche, versöhnende alpine Idylle umrissen, wie eine Hoffnung in hoffnungsloser, chaotischer Situation – ein Kontrast, wie ihn das Leben schreibt zwischen „brutalen“, gewaltigen Einflüssen und der Sehnsucht nach einem friedlichen Leben, das gewaltig erschüttert, fast verschüttet oder überdeckt wird.

Lautstark und chaotisch, wie eine Apokalypse brach der 4. Satz herein, ein „Schrei der Vorahnung“. Dreimal sauste der überdimensionale „Holzhammer“, der später bei Schostakowitsch eine so große Rolle spielt, auf einen ebenfalls hölzernen „Amboss“ nieder, der weithin sichtbar wie ein Pult hoch über dem Orchester „thronte“. Liebliche Harfentöne mischten sich dazwischen. Trotz allem geschah das alles mit einer internen Logik und Ordnung, so dass die Symphonie trotz ihrer Widersprüchlichkeit und Rätselhaftigkeit in dieser Wiedergabe mühelos zu erfassen, aber in ihren Erschütterungen schwer zu ertragen war, eine Klarheit die die Hintergründe des Lebens beziehungsreich erfahrbar machte.

In gleitenden Übergängen spannten Chung und die Kapelle große musikalische Bögen, die alles umschlossen. Chung hat Wesen und Werk dieser Symphonie in ihrer rätselhaften Widersprüchlichkeit und Problematik erfasst. Er drang in deren emotionale Tiefen vor und hat sein Wissen und seine Erkenntnisse als „geistiger Vater“ so an die Musiker weitergegeben, die es ihrerseits mit ihrem Wissen und Können umgesetzt und entsprechend wiedergegeben haben.

Was immer wieder überrascht und die Kapelle von anderen Orchestern unterscheidet, ist die Feinheit des Klanges, die hier nur in wenigen Passagen, dann aber in gewohnter Schönheit hörbar wurde, die Einheitlichkeit des Sinnes der Musiker, die perfekte Abstimmung zwischen den einzelnen Instrumentengruppen, die aufeinander hören und gegenseitig ihre musikalischen Linien aufnehmen und weiterführen und hier die einzelnen, thematisch ineinandergreifenden, sich „umschlingenden“ und wieder auflösenden, musikalischen Linien und Bögen mit äußerster Klarheit und Feingefühl interpretierten.

Kein Wunder, dass sich Myung-Whun Chung am Ende vor dem Orchester verneigte, sich „ihm zu Füßen“ auf das Dirigentenpodest setzte und seinen Blumenstrauß symbolisch für die Kapelle, dem 1. Konzertmeister, Roland Straumer, der in seiner Position sehr viel zum Gelingen der Aufführung beigetragen hatte, überreichte.

Ingrid Gerk  

 

 

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