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DRESDEN/ SEmperoper: DER ROSENKAVALIER unter Thielemann

28.11.2012 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: „DER ROSENKAVALIER“ UNTER THIELEMANN – (21. und) 27.11.2012

 
Daniele Fally und Wolfgang Bankl. Foto: Semperoper

„… Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein …“ sangen Sophie und Octavian am Schluss der Oper, die mit Dresden seit ihrer sensationellen Uraufführung (1911) eng verbunden ist, und doch war es Wirklichkeit. Als bekannt wurde, dass Christian Thielemann seinen Operneinstand mit zunächst 3 Aufführungen (18., 21. und 27.11.) des legendären „Rosenkavalier“ mit international renommierter Besetzung geben würde, verstieg man sich zu höchsten Erwartungen. Nun war es soweit. Die Karten waren knapp und das Publikum im Zuschauerraum äußerst gespannt.

 An keinem der Abende wurde es enttäuscht, aber es gab doch Unterschiede. Obwohl die beiden ersten Abende als gute, niveauvolle Aufführungen gelten konnten, fehlte trotz sehr guter Einzelleistungen am 2. Abend (21.11.) noch das „gewisse Etwas“, das „verbindende Element“, das den „Klangrausch“ herbeiführt. Vor allem im 1. Akt war das Orchester oft zu „wuchtig“. Thielemann ermunterte immer wieder zu großen Klangballungen, die auch für die Sänger nicht ohne Probleme gewesen sein dürften – eine gegenwärtig allgemein übliche Interpretationsweise, der jetzt viele Dirigenten glauben, folgen zu müssen. Die Orchestermusiker, akribisch auf Exaktheit bedacht, wollten allen Weisungen genau folgen und wirkten dadurch befangen. Die allgemein sehr guten Sänger mussten sich zu Ungunsten der schönen Kantilene gegen das Orchester durchsetzen, wodurch die Stimmen weniger weich und schmelzend wirkten, als sie es vermocht hätten. Zweifellos war alles sehr gut vorbereitet und geprobt, aber bei dieser Ausführung dominierte vor allem noch der Intellekt. Am Ende des 1. Aktes mit den sanften Bläsern im Pianissimo und dem zarten, langsam verschwebenden Violinsolo, wie auch bei den lyrischen Passagen im 2. und 3. Akt kündigte sich dann aber schon an, was die 3. Aufführung (27.11.) zu einer der seltenen „Sternstunde“ werden ließ. – „Wie kann denn das nur sein, wie macht denn das …“.

 Die „Initialzündung“ ging zweifellos vom Orchester aus. Mit außergewöhnlicher Klarheit bestimmte es den Abend. So außergewöhnlich sanft und durchsichtig zu musizieren, so den musikalischen Feinheiten der Oper mit großem Können nachspüren, gehört zur Einmaligkeit der Kapelle. Damit war der Weg frei, dass sich die Sänger voll entfalten konnten, die Großartigkeit der Musik aufblühte und die Oper zu einem „Rausch voll großer Harmonien“ und Vitalität wurde.

 Bereits mit den ersten „himmlisch schönen Klängen (27.11.) deutete sich eine großartige Aufführung an, wurde schon der 1. Akt zum Ereignis, das von den noch sanfter und klangschöner als zuvor musizierenden Bläsern und dem noch länger und feiner nachklingenden Violinsolo (in das ein ungeduldiger Besucher hinein klatschen musste!) „gekrönt“ wurde. Unvergesslich bleiben wird auch der Beginn des 3. Aktes, wo bei den Vorbereitungen der Farce gewöhnlich nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Orchester alles durcheinander „wuselt“. Hier spielte das Orchester im Gegensatz zur sonstigen Gewohnheit leise und durchsichtig. Wie „zufällig“ klang die Musik „im Hintergrund“ an und stimmte geheimnisvoll auf das zu Erwartende ein, das „seine Schatten vorauswirft“. Impulsive „Aufwallungen“ gab es während der gesamten Aufführung nur wenige. Die aber trugen jeweils zur Steigerung der dramatischen Situation bei.

 Das Orchester wurde zum „tragenden Element“ der gesamten Aufführung, auf das sich die Sänger fest verlassen und von dem sie sich inspirieren lassen konnten. So durchsichtig mit feinsten Klängen zu musizieren, so die Sänger durch den Abend zu geleiten, dass die Grenzen zwischen Sängern und Orchester fast verschwinden, gehört zu den Einmaligkeiten der Kapelle. So könnte man sich jede Aufführung dieser beim Publikum so beliebten Oper mit geistigem „Tiefgang“ vorstellen.

 Eigentlich kommen in der Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg die noch junge, lebensdurstige Marschallin und ihr noch viel jüngerer Geliebter Octavian zu spät, denn die bewussten Hornstöße finden im Orchestergraben schon statt, während beide in die Szene stürzen, sich hastig gegenseitig entkleiden und dem großen Bett zustreben. Sei’s d’rum, im Großen und Ganzen ist die Inszenierung stimmig, zumal man sich jetzt entschlossen hat, einige überflüssige Details wegzulassen, was dem Gesamteindruck sehr zugute kommt. Über die Musik erschloss sich an diesem Abend das Bühnenbild (Christoph Schubiger) noch viel intensiver und über das Bühnenbild die Musik. So sollte es immer sein! Der Sonnenaufgang auf der Bühne am Morgen „danach“ fand (fast) ganz synchron mit dem „Sonnenaufgang“ im Orchester statt (oder umgekehrt). Musik und Bühnenbild „verschmolzen“ plötzlich.

 Die Kostüme (Jessica Karge) sind im Allgemeinen akzeptabel, ließen aber von jeher die Marschallin zu alt erscheinen. Sie ist Anfang 30! Das traf auch Soile Isokoski. Eine junge, begehrenswerte Marschallin war sie in diesem Kostüm nicht, aber eine vornehm schlichte, edle Persönlichkeit. Man konnte sich auf ihre schöne Stimme, ihre wunderbare Diktion und ihre ausgezeichnete Textverständlichkeit (die leider nicht bei allen Sängern so gut war) konzentrieren. Bei ihr lag alle Gestaltung schon in der Klarheit der Stimme. Da konnte man auf Äußerlichkeiten verzichten. Berührend waren die Momente, wenn sie über die „Zeit als sonderbar Ding“ und den „Lauf der Welt“ resümierte.

 Ihr zur Seite stand Daniela Sindram als Octavian, ein zwischen adlig wohlerzogen und jugendlich übermütig, zuweilen ungestüm pendelnder junger Offizier und Liebhaber. Mit ihrer großen, schlanken, fast wie ein junger Mann wirkender, Gestalt war sie ein Rosenkavalier par excellence, wenn auch nicht unbedingt in ihren Bewegungen. Das Schönste aber war ihre klangvolle Stimme, mit der sie eine große Palette von Situationen und Gefühlen ausdrücken konnte.

 Den Ochs auf Lerchenau stellt man sich gewöhnlich grob und poltrig, mit voluminöser Bassstimme vor. Wolfgang Bankl war ein etwas anderer Baron. Er war kein Altadliger, der durch die Landwirtschaft auf seinem, ihm noch verbliebenen Hof auch in den Umgangsformen heruntergekommen war – wie man auch an seinem „Gefolge“ sieht, sondern ein echt Wiener Baron, der trotz des „Niederganges“ letztendlich immer ein Baron mit leichter Nonchalance bleibt. Er war nicht, wie man die Figur sonst kennt, ein vornehm tun wollender, aber ständig aus der Rolle fallender, bäurischer Edelmann, sondern eher ein freundlicher, älterer Herr edlen Geblüts, der versucht, seiner Rolle als grober Patron gerecht zu werden. Er wollte derb spielen, aber immer wieder lugte die freundliche, eher vornehme Art hindurch. Das war nicht unbedingt ein Nachteil, eher eine andere Sicht auf die Rolle. Er sang mit schöner Stimme und rückte mehr die „beschaulicheren“ Szenen im 2. Akt, die er sehr niveauvoll mit Stimme und Gestik gestaltete, als feinsinnige Charakterstudie in den Mittelpunkt.

 Eine wirklich jungmädchenhaft unerfahrene Sophie war Daniela Fally. Sie sang nicht nur sehr gut, sie spielte auch sehr echt ein junges, wohlerzogenes, sehr zurückhaltendes Mädchen der 50er Jahre und trug das Kleid dieser Jahre (im Gegensatz zu vielen ihrer Vorgängerinnen) mit sehr viel Anmut, so dass sie durchaus für einen jungen Mann begehrenswert darin wirkte (und nicht wie manche ihrer Vorgängerinnen wie ein „Mauerblümchen“). Sie hielt sehr geschickt die Balance zwischen äußerlicher Wohlerzogenheit und gelegentlich durchkommendem bürgerlichem, resp. volkstümlichem Verhalten, wodurch sie unversehens und ungewollt plötzlich in ihrer Rolle aus der Rolle fällt. Darin besteht aber gerade der Witz. Man sollte nicht vergessen, dass der „Rosenkavalier“ von Hofmannsthal und Strauss als heitere Oper gedacht war.

 In Dresden kann man sich einen Faninal ohne Hans-Joachim Ketelsen (als Einziger von der alten Besetzung in seiner Hauptrolle geblieben) nicht mehr vorstellen. Man verbindet einfach die Rolle des neureichen Heereslieferanten mit ihm, der um jeden Preis zum alten Adel aufsteigen möchte, weil ihm das zu seinen bisherigen, mehr wirtschaftlichen Erfolgen noch fehlt. Er singt von jeher stimmgewaltig und unüberhörbar den sich über vieles – auch laute Orchester – hinwegsetzenden, in Adelsdingen aber unsicheren, weil unerfahrenen Neugeadelten.

 Der Sänger des Sängers, Atallla Ayan, war nicht nur ein Fortschritt gegenüber vielen seiner Vorgänger an gleicher Stelle, die sich aus Mangel an guter Tenorstimme oft ins Karrikierende flüchteten (eine löbliche Ausnahme war Wookyung Kim), begann am 21.11. verheißungsvoll und versuchte der großen Kantilene Schmelz zu verleihen. Am 27.11. gelang es ihm, und er konnte damit überzeugen und begeistern.

 Überzeugen konnte auch Irmgard Vilsmaier als „echt“ spielende und singende Leitmetzerin. Man fragt sich aber bei den gegenwärtigen Sparzwängen, ob auch für kleinere Rollen unbedingt Gäste von weit her geholt werden müssen, obwohl es doch am Haus gute Protagonistinnen für diese Rolle gibt.

 Helene Schneiderman baute ihre Rolle als Annina mit kleinen typischen Gesten Dienstbeflissener aus, was zusätzlich Leben in die Rolle brachte. Ihr Pendant, der Intrigant Valzacchi, blieb hingegen durch Aaron Pegram mehr im Hintergrund.

 Mögen die Besucher der beiden ersten Aufführungen auch zufrieden gewesen sein. Die 3. Aufführung wurde zur Festaufführung. Man hörte plötzlich so viele in der Partitur verborgene Feinheiten, humorvolle Details und gekonnte Charakterisierungen menschlicher Verhaltensweisen, die man sonst kaum wahrgenommen hätte. Noch nie erschlossen sich in letzter Zeit bei einer „Rosenkavalier“-Aufführung (von denen es viele gute und auch schöne gab) Musik und Inhalt so deutlich und selbstverständlich wie in dieser Aufführung. Bei dem zum Inbegriff gewordenen Schluss-Terzett und Duett mag sich mancher Opernfreund das Verschmelzen der Stimmen noch „himmlischer“ vorgestellt haben, eine wunderbare Aufführung war es dennoch. Die drei Sängerinnen sangen mit Akkuratesse, akribisch aufeinander abgestimmt. Vielleicht wirkten sie deshalb noch ein wenig „befangen“, aber das kann sich noch ändern. Schließlich gibt es noch weitere Aufführungen im Juni 2013, auf die man gespannt sein kann.

 Ingrid Gerk

 

 

 

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