Dresden / Semperoper: AUFTAKT DER NEUEN „PALASTKONZERT“-SAISON MIT MITSUKO UCHIDA – 27.10.2019
Seit zwei Jahren werfen bereits im Herbst die alljährlich im Mai/Juni stattfindenden Dresdner Musikfestspiele ihre Schatten mit einer Reihe von „Palastkonzerten“ voraus, für die Festspielintendant Jan Vogler Orchester und Solisten von Weltrang in den neuen Konzertsaal des Dresdner Kulturpalasts einlädt. Dass der neue Konzertsaal sowohl für große Orchesterkonzerte, als auch für Kammermusik und Soloabende bestens geeignet ist, wurde schon in vielen Konzerten hinreichend bewiesen. Jan Vogler brachte es mit den folgenden Worten auf den Punkt: „Klassische Künstler sind sehr sensibel, was die Akustik von Konzertsälen betrifft. Unsere Gäste gehören zur absoluten Weltspitze und ihre Meinung wird gehört. Insofern sehe ich die Palastkonzerte als eine weltweite Kampagne für den neuen Saal, um in der Musikwelt zu verbreiten, was für ein Juwel hier entstanden ist“.
Diese besondere Akustik kam im 1. Palastkonzert auch dem Klavierrezital von Mitsuko Uchida, der britischen Meisterpianistin mit japanischen Wurzeln, „Grand Dame des Klavierspiels“ und eine der faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit, die am 20.12.2019 ihren 71. Geburtstag feiern kann, sehr entgegen. Bei ihrem ausgeprägten Sinn für feine Nuancen konnte kein Detail ihres sensiblen Klavierspiels verlorengehen, denn bei Kammermusik nimmt sie sich sehr zurück, spielt sich nie in den Vordergrund, sondern wirkt als Botschafterin der Musik, die sie interpretiert.
Einer ihrer Favoriten ist Franz Schubert. Aus seinem reichem Sonatenschaffen, das bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch sehr im Schatten Beethovens stand, hatte sie drei Sonaten aus den unterschiedlichen Schaffensperioden ausgewählt. Für sie ist Schubert „sehr wienerisch“ und in seiner Musik „der unschuldigste Mensch der Musikgeschichte. Was er auch tatsächlich getan haben mag, seine Seele hat das nie befleckt“ äußerte sie in einem Interview, und auch für Alfred Brendel war Schubert schlicht der Seele am nächsten. Großzügiger als alle anderen Komponisten gewährt Schubert in seinen Werken an der Schwelle zwischen Klassik und Frühromantik tiefe Einblicke in sein Seelenleben, vertraut er seine Empfindungen und Gefühle der Musik an.
Da die Kammermusik ohnehin noch immer ein Dasein „am Rande“ führt und Schuberts Sonaten erst seit dem späten zwanzigsten Jahrhundert Interesse bei Publikum und Kritik finden, nachdem sie im 19. Jahrhundert als „vernachlässigbar“ angesehen wurden, war der Uchida auch eine kleine „Exkursion“ in die Entstehung von Schuberts Sonaten zu danken, bei der sie mit ihrem umfangreichen Wissen und tiefen Verständnis um seine Musik nebenbei auch eine kleine „Lektion“ aus musikwissenschaftlicher Sicht in praxi gab.
Bei der frühen dreisätzigen „Sonate a Moll“ (D 537) und der zweisätzigen „Sonate C Dur“ (D 840)“Reliquie“ (ein 3. und 4. Satz fehlen), bei der sie sich mit ihrem klaren, kantablen Spiel zunächst aus ihrer geistig-wissenden Sicht den Schubertschen Intentionen und Emotionen, leidenschaftlich, fast „stürmisch“ mit relativ hartem Anschlag, aber auch liedhaften Passagen mit ihrem eigenen Verständnis und ihrer Persönlichkeit, „von außen“ näherte, lag noch ein kühler Schleier der Rationalität. Sie betonte den Wechsel der Modulation, die Brüche, Zäsuren und Pausen zwischen Schuberts poetischer, sensibler Gefühlswelt, Empfindsamem und Nachdenklichem, tänzerischen und liedhaften Elementen, dem Abbrechen melodischer Linien und Themen, das Wechseln klangflächiger Strukturen, Versiegen der Bewegung und vorübergehende Erstarrung, was bei Schubert aber dennoch immer „im Fluss“ und stetiger Harmonie ist. Offenbar hatte er Freude an Modulationsänderungen, bei denen nach dem Abbruch alles in geschickten Wendungen weitergeht und neu belebt wird.
Erst bei der bekannten, in seinem Todesjahr entstandenen, „Sonate B Dur“ (D 960) aus seiner letzten Schaffensperiode bewegte sich die Pianistin ganz in Schuberts Gefühlswelt, ließ ihn mit seinen Eigenheiten und seinem Klangsinn dominieren, was insbesondere auch an ihrem sehr feinsinnigen, weichen Anschlag und singenden Ton zu spüren war. Durch und durch vergeistigt hochintelligent und einfühlsam spürte sie Schuberts ungewöhnlichen Emotionen und seinem individuellen Stil nach und beendete mit einem rasanten, virtuosen pianistischen Schluss ihr Programm. Hier „leuchtete“ ihre Interpretationen von innen heraus.
Als eine „kleine“ Zugabe, wie die Pianistin stumm, aber selbstredend mit zwei Fingern andeutete, wählte sie „Aveu“ aus dem Zyklus „Carnaval“ von Robert Schumann, womit bewusst oder unbewusst eine Verbindung zur B-Dur-Sonate hergestellt wurde, die Schubert zusammen mit zwei anderen, zuletzt entstandenen, Sonaten (D 958 und D 959) dem Pianisten und Komponisten Johann Nepomuk Hummel zueignen wollte, der bei Erscheinen jedoch bereits verstorben war. Vom Verlag wurden sie dann mit einer Widmung an den jungen Robert Schuman veröffentlicht, der verschiedentlich sehr enthusiastisch über Schubert geschrieben hatte und – wie auch Brahms – Schuberts letzte drei Sonaten bewunderte.
Das zweite Palastkonzert (17.11. 2019) bringt ein Wiedersehen mit dem London Philharmonic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirigenten Vladimir Jurowski und mit Jan Vogler als Solisten in Benjamin Brittens „Sinfonie für Violoncello und Orchester“ sowie Gustav Mahlers „Sinfonie Nr. 5“. In weiteren „Palastkonzerten“ werden die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko (21.2.2020) und in einem Liederabend Renée Fleming mit Jewgenij Kissin am Klavier begrüßt.
Ingrid Gerk