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DRESDEN/ Semperoper: 9. SYMPHONIEKONZERT / Reinhard Goebel

Dresden / Semperoper: 9. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 25.3.2013


Reinhard Goebel. Foto: Matthias Creutziger

 Am Palmsonntag des Jahres 1827 führte die Sächsische Hofkapelle unter der Leitung ihres damaligen Hofkapellmeisters Francesco Morlacchi Beethovens „IX. Symphonie“ als Benefizkonzert zur Unterstützung der Witwen und Waisen ehemaliger Kapellmusiker auf und begründete damit eine lange Tradition, in der bis ins 20. Jh. alljährlich dieses Werk aufgeführt wurde.

 Seit einigen Jahren ist man zu einer anderen Programmgestaltung übergegangen. Mit dem diesjährigen Palmsonntagskonzert soll unter der Leitung von Reinhard Goebel, dem „Enfant terrible“ der Alten Musik (was er nicht gern hört) eine neue Tradition begründet werden. Er wird sich zusammen mit der Kapelle nun intensiv dem reichen musikalischen Schatz an Kompositionen widmen, die für den Dresdner Hof und die Dresdner Hofkapelle, die nach verschiedenen Namensänderungen nun Sächsische Staatskapelle Dresden heißt, geschrieben wurden oder in unmittelbarer Beziehung dazu stehen.

 Bei dem ersten Konzert dieser Reihe stand die Zeit Augusts des Starken (Kurfürst Friedrich August I. von Sachen und König August II. von Polen) auf dem Programm. In dieser Zeit entwickelte sich die 1548 vom sächsischen Kurfürsten gegründete Dresdner Hofkapelle zum berühmtesten Orchester Europas, unübertroffen hinsichtlich Virtuosität der Orchestersolisten, Disziplin im Zusammenspiel und Bandbreite ihrer Besetzungen – Tugenden, die sich bis in die heutige Zeit erhalten haben, und bei allen Symphoniekonzerten immer wieder Bewunderung auslösen.

 Das erste Werk des Abends, das vom Zerbster Hofkapellmeister (damals „Ausland“) Johann Friedrich Fasch (1688-1758) für die Dresdner Hofkapelle verfasste „Lamento für zwei Oboen, zwei Flöten, Chalumaeu (Vorläufer der Klarinette), Streicher und Basso continuo“ wurde auf modernen Instrumenten (bzw. Instrumenten aus romantischer Zeit) gespielt, aber welch wunderbarer „barocker“ Klang, feinfühlig, beseelt, geschmeidig, gefühlvoll – ein ausgesprochener Schönklang, der „zu Herzen geht“, ein Klang, wie ihn manches Orchester auf alten Instrumenten nicht zu erzeugen vermag! Gute Musik liegt eben – wie Goebel zu sagen pflegt, „am Kopf, nicht am Instrument“.

 Obwohl Goebel 1973 die Musica Antiqua Köln als Ensemble für historische Aufführungspraxis gründete und jahrzehntelang leitete, ließ er das Chalumeau hier durch eine moderne Klarinette ersetzen, was der Musik keinen Abbruch tat, im Gegenteil, der Klarinettist (Peter Schurrock als Gast) verstand es, die Intentionen der Barockmusik lebendig werden zu lassen. Zudem kann ein modernes Instrument den Raum eines großen Opernhauses oder Konzertsaales besser füllen. Eine „allzu historische“ Aufführungspraxis kann auch zur Erstarrung führen. Goebel „lebt“ in der Alten Musik und möchte sie „am Leben erhalten“ und immer wieder neu beleben.

Es ist nicht gesagt, dass die Komponisten und Musiker vergangener Jahrhunderte immer sehr glücklich mit ihren alten Instrumenten waren. Wahrscheinlich träumten manche von ihnen von besseren Instrumenten, sonst wären nicht solche entwickelt worden. Vielleicht wären sie damals glücklich gewesen, ein solch modernes Instrumentarium zur Verfügung zu haben. J. S. Bach versuchte jedenfalls, neue Instrumente zu entwerfen (die aber nicht realisiert wurden). Als Liebhaber alter Musik und alter Instrumente schwärmt man immer wieder von dem warmen, beseelten Klang der alten Instrumente, die mit viel Liebe, Zeit, Erfahrung und Hingabe großer Meister gefertigt wurden, aber mit modernen Instrumenten kann alte Musik ebenfalls adäquat wiedergegeben werden, was dieses Konzert eindeutig bewies. Es hat beides seine Berechtigung und trägt zum Verständnis der Musik vergangener Epochen bei, jedes auf seine Art. Vielleicht liegt das Ideal irgendwo dazwischen.

Als Hauptwerke wurden zwei Trauermusiken, eine evangelisch-lutherische und eine katholische aufgeführt, eine für die Königin und eine für den König. In der Barockzeit wurde in solchen Trauermusiken weniger die Trauer betont. Sie boten vielmehr Gelegenheit zur Repräsentation adliger Potentaten und nicht zuletzt auch für den Komponisten. Hier konnte er vor erlesenem und für seine Karriere wichtigen „Publikum“ sein Können zeigen.

Mit der „Trauer Music“ (Trauerode) BWV 198 setzte J. S. Bach der 1727 verstorbenen Königin Christiane Eberhardine von Sachsen-Polen ein musikalisches Denkmal. Sie wurde von den lutherischen Sachsen besonders verehrt, weil sie ihrem Glauben treu geblieben, ihn in religiösen Schriften verteidigt und sich vom Hof zurückgezogen hatte, nachdem ihr Gemahl, August der Starken für die Erlangung der polnischen Königskrone in Baden bei Wien zum katholischen Glauben konvertiert war.

Bach hielt sich bei seiner Komposition nicht streng an den Wortlaut der, von J. C. Gottsched verfassten, neun achtzeiligen Strophen und auch nicht an ihre poetische Struktur. Um alle Facetten seiner Kunst zeigen zu können, verteilte er alles nach eigenem Ermessen auf 3 Chöre, 3 Arien und 4 Rezitative.

 Zurzeit wird die „Reisebesetzung“ der Sächsischen Staatskapelle bei den Salzburger Osterfestspielen in den „Parsifal“-Aufführungen gefeiert, aber die in Dresden verbliebenen Musiker, manche von ihnen „nebenbei“ sehr erfahrene Kammermusikspieler, Kammerorchestermitglieder und „Barockspezialisten“ machten dem Ruf des Orchesters in der Heimat alle Ehre.

 Da die Werke vor dem großen Schmuckvorhang aufgeführt wurden, wirkte das kleinere Orchester relativ groß und die Akustik gut. Der Chor stand in nur einer Reihe hinter dem Orchester, über die ganze Bühnenbreite verteilt. Die aus dem seitlichen Hintergrund kommenden Solisten führten vor ihren Auftritten allerdings jedes Mal zu (störenden) Pausen, die den natürlichen Fluss der Musik unterbrachen und einem geschlossenen Gesamteindruck abträglich waren. Verständlicherweise mögen es die Solisten nicht, von den Zuhörern betrachtet zu werden, wenn sie nichts zu singen haben, aber gerade bei Bach besteht ein wesentliches Gestaltungselement in der unmittelbaren Aufeinanderfolge der einzelnen „Nummern“, im Kontrast zwischen Chor und Solo, Gesang und reinen Orchesterpassagen.

 Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts rückte die Musik des böhmischen Violinisten und Kontrabassisten Jan Dismas Zelenka (1679-1745) wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nachdem er am Dresdner Hof schon den kranken Kapellmeister J. D. Heinichen vertreten hatte, erlag er bei der Wahl zu dessen Nachfolge dem „allgewaltigen“ J. A. Hasse und wurde „nur“ zum „Kirchen-Compositeur“ ernannt. Seine originellen und unkonventionellen Orchester- und Vokalwerke, in denen er „archaische Satztechniken mit den modernsten Ausdrucksmitteln seiner Zeit zu hochexpressiven Schöpfungen“ verbindet, wurden nur einmal aufgeführt und verschwanden im Archiv. Jetzt erklang sein „Requiem D Dur“ ZWV 46 auf den Tod Augusts des Starken in einer sehr schönen Wiedergabe.

 Unter den Solisten in beiden Trauermusiken ragten Anke Vondung, die mit ihrer warmen, geschmeidigen Mezzsopranstimme berührte, sehr sicher und ohne Schwierigkeiten die Verzierungen mühelos aussang und die Seele mitschwingen ließ, nicht vordergründig, aber immer niveauvoll, und Daniel Ochoa, Bass heraus. Die Sopranistin Claudia Barainsky schien durchaus mit den barocken Koloraturen vertraut, konnte aber stimmlich nur bedingt überzeugen. Dazu gab es in Dresden schon zu viele Maßstäbe setzende Aufführungen dieser Art. Bei Virgil Hartinger, Tenor war eine leichte Überforderung der Stimme nicht zu überhören. Zudem passten die Timbres von Tenor und Bass im Duett nicht gerade gut zusammen. Im Duett mit Anke Vondung hielt er sich dann erfreulicherweise sehr zurück, wodurch die schöne Alt- bzw. Mezzosopranstimme sehr gut zur Geltung kam und die Tenorstimme eine schöne Färbung bildete. Bei Zelenka gesellte sich noch Tilmann Rönnebeck, der seiner Aufgabe gut gerecht wurde, als Bass II hinzu.

 Das Orchester ließ immer wieder aufhorchen, besonders durch die sehr guten Bläsern (Flöten, Oboen und Klarinette) und den feinen Pizzicati der Violinen – auch und insbesondere bei der Begleitung der Arien.

Der Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Olaf Katzer) steigerte sich von anfänglich leichter Härte in den Stimmen bis zu einem sehr fein abgestimmten Abschluss des „Requiem“, bei dem vor allem die Frauenstimmen einen faszinierenden Klang erreichten und die Männerstimmen „zurücknahmen“ und sich sehr gut einfügten.

Mit diesem Konzert fand die Sächsische Staatskapelle zu ihren Wurzeln als Hofkapelle in einer ihrer glanzvollsten Zeiten zurück, wobei man zu Recht sagen kann, dass sich die Kapelle auch gegenwärtig in einer Glanzzeit befindet, wenn auch mit der Interpretation der Musik anderer musikalischer Epochen. Die in Dresden verbliebenen Mitglieder der Kapelle bewiesen auch mit diesem Konzert wieder ihre außergewöhnlichen Qualitäten. Sie sind unbestritten in allen Stilrichtungen und musikalischen Epochen „zu Hause“.

 Ingrid Gerk

 

 

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