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DRESDEN/ Semperoper: 4. KAMMERABEND (Janacek, Hindemith)

Dresden / Semperoper4. KAMMERABEND 5.1.2014

 Ins neue Jahr mit neuer Kammermusik (20. Jh.) schien das Thema des 4. Kammerabends der Sächsischen Staatskapelle Dresden zu sein. Die Brücke von der Tradition in die Gegenwart wurde mit dem dreisätzigen Stück „Pohádka“ („Märchen“) für Violoncello und Klavier von Leos Janácek geschlagen. Es ist Janáceks einzige Komposition in dieser Besetzung. Bei dem 1910 verfassten Stück bezog er sich auf das epische Gedicht „Das Märchen vom Zaren Berendej“ des russischen Dichters V. A. Schukowski (1783-1852), ohne der Erzählung ein Programm zu unterlegen. Er wollte vom Konzertbesucher nur „das Märchenhafte an sich“ verstanden wissen und der individuellen Fantasie freien Raum lassen.

 Das sehr geschmeidige Spiel der jungen japanischen Pianistin Kiari Nara (als Gast) am Klavier ließ die Anfangsklänge „verschleiert“, „wie in Nebeln“ erscheinen und bereitete damit „das Feld“, auf dem sich der Cellopart entfalten konnte, ausgeführt von Jakob Andert, Cellist der Sächsischen Staatskapelle. Die anfänglichen Pizzicato-Einwürfe des Cellos erhielten langsam thematisches Gewicht und tauchten, variiert und auch original, im 2. Satz, einem fröhlichen Scherzo, wieder auf. Beide Partner waren sehr gut aufeinander eingestimmt. Sie hatten offenbar das Stück verinnerlicht und machten es so dem Publikum leicht, den märchenhaften Fantasien zu folgen, die am Ende des 3. Satzes, einem temperamentvollen „russischen Tanz“ aus der Feder des mährischen Komponisten, sanft und leise ausklangen. Beide Musiker betonten oft die romantische Seite dieser, auch sehr moderne Züge enthaltenden, Komposition.

 Weniger romantisch-märchenhaft, eher mittelalterlich herb und drastisch, ging es bei den „Incantamenta – Zaubersprüchen“ für Bariton, Schlagzeug und Pauken des Leipziger Komponisten Siegfried Thiele (*1934) zu, einer Auftragskomposition des Leipziger Gewandhausorchesters. Wie bei der Uraufführung am 30. April 2006, einem Datum der „Walpurgisnacht“ (!), hatte Andreas Scheibner den Solopart übernommen. Mit viel Witz setzte er das breite Spektrum seines Könnens ein, um mal die Einführungs-Zauberworte nur zu sprechen, auf die die Instrumente „ohne Gesang“ folgten, dann rezitativähnlich bis beinahe „ariosohaft“ die Texte zu deklamieren und schließlich “Rezepte“ und Zauberformeln bei „Halsentzündung“ oder „Nierenschmerz“ mit Gesang „zu empfehlen“. Er hatte das Stimmmaterial und die Technik, um souverän und witzig und mit vielen gekonnten Nuancen bis zum gehauchten Flüsterton, bei dem noch jedes Wort zu verstehen war, den „Hexenspuk“ überlegen auszuführen, unterstützt durch leicht angedeutete Gesten. Die 4 „Schlagzeuger“ – jeder ein Könner auf seinem Instrument – unterstrichen voller Einsatzfreude die Beschwörungstexte gegen eher leichte Fälle von Krankheiten, die mit derben Mitteln „ausgetrieben“ werden sollten (aber nicht unbedingt gegen „Ohrenschmerz“).

 Allein die Texte dieser nicht sonderlich „zauberhaften“ Komposition könnten kaum als „alternative Medizin“ verstanden werden, jedoch der Humor, den alle Ausführenden immer wieder durchblicken ließen und der bekanntlich der Gesundheit zuträglich sein soll.

 Noch nicht genug von Thiele, wurden zur Freude des anwesenden Komponisten auch noch seine „Drei Lieder mit Texten von Reiner Kunze“ für Bariton, Violoncello und Klarinette“ aufgeführt, starke Texte, die Andreas Scheibner mit sehr guter Artikulation und eindringlicher Gestaltung, begleitet von Violoncello (Jacob Andert) und Klarinette (Christian Dollfuß) zu Gehör brachte, Texte von ernster, sehr bitterer Natur. Allein die Titel „Unter sterbenden Bäumen“, “Bittgedanke, dir zu Füßen“ und „Alter Großstadtfriedfof“ sprechen für sich. Mit dem Sterben der Natur, des Menschen und schließlich der Friedhöfe deuteten sie als letzte Konsequenz auch das Sterben des allgemeinen Lebens und die verzweifelte Stimmung denkender Menschen in der ehemaligen DDR an, weshalb diese Texte heimlich „unter der Hand“ weitergegeben wurden, denn veröffentlich werden durften sie nicht.

 Und es ging sehr ernst und nachdenklich weiter mit Paul HindemithsDes Todes Tod“ – Drei Lieder nach Gedichten von Eduard Reinacher für Frauenstimme, 2 Bratschen und 2 Violoncelli“ (op. 23a), bei denen sich Anke Vondungs warme Mezzosopranstimme in grandioser Gestaltung problemlos über die begleitenden Instrumenten erhob und in großen musikalischen Linien den Liedern vom Tod „Leben einhauchte“ – eine gültige, glanzvolle Interpretation und ein Abend, der märchenhaft begann, mit derbem Humor fortgesetzt wurde und sehr, sehr nachdenklich endete – ein guter Start ins neue Jahr? (Fröhlichkeit gab es bei der Staatskapelle am Silvester.)

 Ingrid Gerk

 

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