Dresden / Semperoper: 2. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 14.11.2013
Dresdner Kapellsolisten.
Es muss nicht unbedingt immer die große Orchesterbesetzung sein. Im 2. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle Dresden gestalteten die, 1994 gegründeten, Dresdner Kapellsolisten, ein Kammerorchester, dessen ausgezeichnete Musiker fast alle der Staatskapelle angehören – sozusagen als Staatskapelle in kleinerer Besetzung – ein Programm mit heiteren, im besten Sinne unterhaltsamen Werken, die den dunklen, trüben November vergessen und die Erinnerung an heitere, lichte Sommertage wach werden ließen. Das bevorzugte Repertoire dieses Orchesters reicht von der Musik der Barockzeit bis zur Romantik. In diesem Konzert widmeten sich die Musiker aber auch 2 neueren Kompositionen.
Bei den 4 experimentier- und spielfreudigen „Etudes“ für Streichorchester von Frank Martin waren nur die Streicher gefragt, allerdings mit technischen Fertigkeiten in allen Facetten von punktierten Rhythmen in der „Ouverture“, über den Wechsel von „(fast statischem) Staccato und (fließendem) Legato“ in gedämpfter Spielweise als Ausdruck „einer Kette einzelner, „flüchtiger Gedanken“ in der 1. Etüde, lange Pizzicato-Passagen der Violinen und Celli in vielen Varianten, „weich gezupft, trocken gerissen oder gitarrenartig mit dem Daumen geschleift“, in der tänzerischen 2. Etüde, die mit ihren mitreißenden, jazzigen Rhythmen, sehr ansprechend und publikumswirksam fast an ein italienisches Mandolinen-Orchester oder zumindest an südländische Musik erinnerte, ausdrucksvolles Legato-Spiel der Bratschen und Violoncelli in der 3. Etüde, bis zu raffinierter Kontrapunktik in der 4. Etüde, die für einen furiosen Abschluss mit vollem Streicherklang sorgte. Die Kapellmitglieder spielten mit der ihnen eigen Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit, aber auch Musizierfreude und musikalischem Empfinden, so dass sie der „leicht schrägen“ Melodik des 20. Jh., der sich Martin trotz aller Individualität verbunden fühlte, beinahe klassischen Charakter verliehen.
In dieser Konzertsaison ist Wolfgang Rihm (*1952) Capellkompositeur. Von ihm wurden von der Kapelle schon einige Werke aufgeführt. Weitere Kompositionen, darunter eine Uraufführung und eine deutsche Erstaufführung, werden in den kommenden Staatskapellenkonzerten und bei den Salzburger Osterfestspielen folgen. Mit „Lichtes Spiel, Ein Sommerstück für Violine und kleines Orchester“ (2009) hat Rihm – auf Wunsch von Anne-Sophie Mutter – ein Gegenstück zu den Violinkonzerten Mozarts geschaffen, „etwas Lichtes, aber sicherlich kein ‚Leichtgewicht‘ „, wie er betonte.
Anne-Sophie Mutter hob das 18minütige Stück 2010 in der New Yorker Philharmonie aus der Taufe. Jetzt spielte Susanne Branny, eine der Ersten Geigen der Sächsischen Staatskapelle und 1. Konzertmeisterin der Dresdner Kappellsolisten, den Solopart mit angenehmer Tongebung, klassisch-klar und mit Akkuratesse. Sie erfüllte alle Forderungen des Komponisten nach „transparenter, instrumentaler Bewegung, intimer Kantabilität und vorwärtsdrängender Virtuosität“, brachte aber auch ihre eigene Persönlichkeit ein. Sie spannte mit dem geforderten „ungeheuren Ausdrucks- und Nuancenreichtum“ den musikalischen Bogen, ausgehend vom Pianissimo, in poetischen „Zwischentönen“, fast beseelt, immer wieder dahin zurückkehrend, bis zu den sehr hohen Tönen, nach denen sie das Stück sehr leise, wie eine verhaltene Frage ausklingen ließ, was das Publikum mit lautloser Stille aufnahm.
Das Streichorchester, jetzt um 2 Flöten, 2 Oboen und 2 Hörner erweitert, war ein adäquater Partner. Es ergänzte sehr harmonisch den Solopart, so dass die an der herkömmlichen Melodik „vorbei huschende“ Komposition mit „klassischen“ Zügen in diesem schönen Miteinander von Solistin und Orchester, die Charakter und Anliegen des Stückes in gleicher Weise erfasst hatten, einen sehr harmonischen, entspannten, eben „lichten“ Eindruck vermittelte.
Bei W. A. Mozarts „Symphonie D‑Dur (KV 385), der „Haffner-Symphonie“ waren die Dresdner Kapellsolisten erst recht in ihrem Element. Es ist eine Besonderheit der Sächsischen Staatskapelle, Mozarts Musik nicht nur liebenswürdig „tändelnd“ (wie manch anderes Orchester) zu spielen, sondern diese Musik mit viel Frische und Klarheit in ihrer ganzen Spannweite zwischen, Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, Lieblichkeit und Nachdenken, ausgelassener Fröhlichkeit und Würde, die hier kontrastreich beieinanderliegen und doch so eng verwoben sind, nachzuspüren. Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle gehören zu den Wenigen, die das immer noch und immer wieder weit verbreitete Klischee von Mozarts Musik durchbrechen und sie auch in ihrer Tiefe erfassen und ausloten. Wie so oft, bestachen auch hier der feine Streicherklang, die sauberen, klangschönen Bläser und die sich harmonisch einfügende Pauke. Die Kapellsolisten spielten über weite Passagen hinreißend schön, was auf die perfekten Einzelleistungen und ein sehr gutes Zusammenspiel zurückzuführen war. Hier waren alle Beteiligten Mozarts Wesen und seiner genialen Musizierfreude auf der Spur und ließen manche Passage dieser Symphonie aus einer neuen, bisher weniger beachteten, Sicht erkennen.
Der Leiter und Spiritus rector der Dresdner Kapellsolisten und Kontrabassist der Sächsischen Staatskapelle, Helmut Branny lebt in der Musik, die er interpretiert und hat das richtige Gespür für diese Werke. Er betrachtet sich weniger als Leiter des Ensembles als vielmehr als Orchestermitglied und „Primus inter pares“ – „Erster unter Gleichen“, inspiriert aber seine „Mitstreiter“ zu großen künstlerischen Leistungen und einem tiefen Werkverständnis. Er leitete das Orchester mit Hingabe und Einfühlungsvermögen, Ernsthaftigkeit und Humor und ließ die „Haffner-Symphonie“ mit viel Temperament fröhlich ausklingen. Man hätte gern noch weiter zugehört, aber es gab leider keine Zugabe.
Ingrid Gerk