Dresden / Semperoper: 2. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT WERKEN VON MIECZYSLAW WEINBERG – 30.1.2017
M. Weinbergs 2. Flötenkonzert mit der Sächsischen Staatskapelle unter Thomas Sanderling und Andreas Kißling als Solist : Fotograf : Matthias Creutziger.
Neben der vorrangigen Aufgabe bei den Opernaufführungen gehören Symphoniekonzerte, Kammermusikabende und Aufführungsabende zur regen Konzerttätigkeit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Auf dem Programm des 2. Aufführungsabends dieser Konzertsaison standen 2 Deutsche Erstaufführungen, Werke des jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996), der erst nach seinem Tod wirklich entdeckt und international bekannt wurde. Zu seinen Lebzeiten wurden einzelne seiner Kompositionen von seinen Freunden wie Emil Gilels, Kyrill Kondraschin u. a. aufgeführt. Jetzt sind sie in den Konzertsälen Europas und Amerikas zu finden.
Seine 2. Symphonie widmete Weinberg seinem Freund Kurt Sanderling (u. a. 2. Chefdirigent der Leningrader Philharmonie, Chefdirigent des Berliner Sinfonie-Orchesters und 1964-1967 der Staatskapelle Dresden), dessen ältester Sohn, Thomas Sanderling, an diesem Abend am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden stand. Sein Bruder Stefan Sanderling ist ebenfalls Dirigent, der jüngste Bruder, Michael Sanderling, gefragter Cellist und jetzt Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Die Familie Sanderling verband ein ähnliches Schicksal und persönliche Freundschaft mit Weinberg. Sie versuchten, sich als deutsche Juden durch Flucht in die damalige Sowjetunion vor den Nationalsozialisten zu retten und gerieten von einer Diktatur in die andere.
Weinberg machte sich als ein, in Warschau geborener, jüdischer Jugendlicher mit seiner jüngeren Schwester zu Fuß auf den Weg dorthin. Seine Schwester kehrte, wundgelaufen, schon nach wenigen Kilometern zu den Eltern zurück. Er sah seine Familie nie wieder – Ereignisse, die ihn lebenslang beschäftigten und naturgemäß ihren Niederschlag in seinen Kompositionen fanden: 22 Symphonien, 17 Streichquartette und mehrere Opern, darunter „Die Passagierin“, die für 4 Vorstellungen an die Semperoper kommt (Premiere: 24.6.2017).
„Welt, frage nicht die Todentrissenen, wohin sie gehen, / sie gehen immer ihrem Grabe zu“ (Nelly Sachs). Von Minsk, wo Weinberg studieren konnte, musste er nach dem Einmarsch deutscher Truppen wieder fliehen, wenige Stunden nach seinem Diplomkonzert. 1953 wurde er ins Gefängnis geworfen, Schostakowitsch setzte sich für ihn ein und nur Stalins Tod rettete ihn vor dem Untergang. Dennoch verstand er sich nicht als ein vom Schicksal Heimgesuchter. Seine Kompositionen atmen die Sehnsucht nach Licht und innerer Befreiung, eine pantheistisch gefärbte Religiosität. „Ich sagte mir selbst, dass Gott überall ist. Seit meiner ersten Symphonie wandert eine Art Choral in mir umher“, bekannte er. Die ostjüdische Musizierweise, die polnisch-jüdische Kultur prägten seine Kompositionen. Russische, armenische und polnische Volkslieder finden darin ihren Ausdruck, aber auch die wache Auseinandersetzung mit einer oftmals bedrohlich aufziehenden Gegenwart.
Sein schlicht und pastoral gehaltenes dreisätziges „Konzert für Flöte und Orchester Nr. 2 (op. 148), komponiert 1987, atmet „klassische Reinheit“ und ist im eigentlichen Sinne „schön“. Es beginnt mit fast „sphärischen“ Klängen, die einfühlsam vom Orchester ausgeführt wurden, und lässt im Finale unterschwellig den „Reigen seliger Geister aus C. W. Glucks „Orfeo es Euridice“ sowie die „Badinerie“ aus J. S. Bachs „Orchestersuite („Ouvertüre) Nr. 2 h-Moll (BWV 1067) anklingen, ein gefühlsbetontes Flötenkonzert, bei dem auch plötzlich, ähnlich wie bei Schostakowitsch, seinem verehrten Freund, auch die Pauke gewaltig „hereinbrechen“ kann.
Mit sehr klarem Ton widmete sich Andreas Kißling, Soloflötist der Sächsischen Staatskapelle, als technisch versierter, einfühlsamer Solist diesem Flötenkonzert. Er hatte die Sensibilität dieser Musik erfasst, die den inneren Aufruhr einer sich nach Licht und Schönheit sehnenden Seele inmitten eines erdrückenden Lebens wiederspiegelt. Das sehr sauber und „durchsichtig“ musizierende Orchester in mittlerer Besetzung ergänzte den im Solopart trotz scheinbarer Heiterkeit anklingenden inneren Zwiespalt, die aufwühlende Unruhe in zeitweilig motorischer Rhythmik wie dem aufwühlenden Puls dieses Lebens. Im Allegretto (3. Satz), mit leicht „getupfter“ Flöte und auch einmal leicht gezupften Kontrabässen wurde die Sehnsucht nach Heiterkeit und Schönheit offenbar.
Eine Besonderheit der Form stellt die aus fünf, ineinander übergehenden Sätzen bestehende „Symphonie Nr. 7 (op. 81) für Streichorchester und Cembalo dar. Weinberg schrieb sie 1964 für das Moskauer Kammerorchester und widmete sie seinem Gründer, Rudolf Barschaj. Sie wird eröffnet mit einer längeren Cembalo-Introduktion in „neuhändelschem Sarabandenstil“, der von den Streichern übernommen wird (1. Satz „Adagio sostenuto“). Trotz längerer Solopassagen für das Cembalo, sehr klangvoll ausgeführt von Jobst Schneiderat, Solorepetitor der Semperoper, Musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen und gefragter Liedbegleiter, stellt es kein eigentliches Cembalokonzert dar.
Ein rastloser, unruhiger, verzweifelter 2. Satz („Allegro sostenuto“) folgt, während später auch wieder lyrische Passagen anklingen. Der letzte Satz („Allegro“) bietet ein makabres Bild von schreckenden Geistern und Halluzinationen, bis das Cembalo zum Schluss wieder den beruhigenden Part übernimmt. Das Orchester spielte sehr engagiert und durchsichtig mit äußerst exakt und präzisen Streichern und einem absolut einhelligen Unisono-Tutti. In der durchgängig tonalen Symphonie gab es auch moderne Effekte wie das Klopfen auf den Resonanzkörper der Kontrabässe, aber meist interessante melodische und harmonische Wendungen.
Thomas Sanderling, der die Ausführenden mit Sachkenntnis und persönlichem Engagement durch den Abend geführt und das Publikum mit einigen einführenden Worten auf die speziellen Umstände der Kompositionen eingestimmt hatte, hielt zuletzt die Partitur hoch, damit der Applaus auch Komponist und Werk gelten konnte.
Ingrid Gerk