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DRESDEN /Semperoper: 12. SYMPHONIEKONZERT SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE/ Eschenbach/Hagner

11.07.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: 12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT CHRISTOPH ESCHENBACH UND VIVIANE HAGNER – 10.7.2015

 

Tradition und Moderne waren die Säulen im 12. und letzten Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden in dieser Saison. Eingebettet in zwei Werke von Paul Hindemith, erklang das, erst lange nach seiner Entstehungszeit (1853) auf die Konzertpodien gelangte und auch jetzt noch selten zu hörende, in Dresden aber in den vergangenen Jahren schon mindestens zum 3. Mal aufgeführte „Violinkonzert d‑Moll“ (op. posth.) von Robert Schumann. Für die angekündigte, aber leider erkrankte Midori hatte Viviane Hagner, eine der aktivsten und erfolgreichsten jungen deutschen Geigerinnen, den Solopart übernommen.

 Über Schumanns Violinkonzert, sein letztes großes Werk für Orchester, kann man geteilter Meinung sein, was auch die Gründe für seine seltene Aufführung sein mögen. Es besteht scheinbar aus einer Folge vieler, sehr schöner Passagen und einschmeichelnder Motive in kunstvoller Verarbeitung, die sich vor allem im 3. Satz öfters in variierter Form zu wiederholen scheinen, was nicht zuletzt möglicherweise zu der, von Clara Schumann und dem damals berühmten, Schumann befreundeten, Geiger Joseph Joachim zu der, heute als „Fehlurteil“ (u. a. wegen „Unspielbarkeit“) betrachteten, Einschätzung führte. Im Gegensatz zu den berühmten, oft gespielten, Violinkonzerten von Beethoven, Brahms, Mozart, Tschaikowsky u. a. scheint dieses Konzert keinen eigentlichen Höhepunkt zu haben, und es hat keine Solokadenz. Bei weniger guter Interpretation kann da manches als „Längen“ erscheinen.

 Christoph Eschenbach, der Dirigenten des Abends und seit vielen Jahren ein begeisterter Fürsprecher dieses Konzertes, legte viel Wert auf massive Klangwirkungen der reinen Orchesterpassagen und ließ das Konzert (noch ohne Solovioline) mit einem gewaltigen „Einschlag“ des Orchesters beginnen, nahm dann aber stark zurück und ließ der Solistin entsprechenden Freiraum für die Entfaltung der solistischen Geigenstimme. Er ließ aber das Orchester immer wieder „dröhnen“, wenn die Solostimme „schwieg“. Leider verlieren die Streichinstrumente der Kapelle, insbesondere die Violinen, bei allzu großer Lautstärke viel von ihrem berühmten Klang.

 Viviane Hagner begann ihren Solopart mit herzhaftem, aber auch klingendem Strich und setzte sich mit ihrer ganzen außergewöhnlichen Persönlichkeit für dieses Konzert ein. Mit ihrer frischen, unkonventionellen Interpretation wirkte sie den „Schwächen“ dieses Violinkonzertes entgegen und verlieh ihm Profil. Ihr Ton hat etwas Geheimnisvolles, magisch Anziehendes. Mitunter gab es „fast verträumte“ Passagen in völliger Übereinstimmung mit dem Orchester. Der dunkel gefärbte Geigenton ihrer Stradivari, ihr Temperament, der herzhafte, und doch auch gefühlvolle Strich und gleichzeitig hochsensible Klang verliehen ihr und ihrer Interpretation eine geheimnisvolle, von ihrer starken Persönlichkeit geprägte, Aura. Im Vergleich mit Interpretationen berühmter und bekannter Geigerinnen und Geiger war ihre Wiedergabe zweifellos eine besonders markante und interessante, die in der Vielzahl der möglichen, sehr guten Wiedergaben dieses Konzertes einen besonderen Platz einnimmt und die Palette der Interpretationen um einen besonders interessanten, individuellen „Farbton“ bereichert.

 Viviane Hagner spielte die erst 2009 als verlässliche Urtextausgabe erschienene Fassung. Die Geigenstimme der Uraufführungsversion war 1937 im Rahmen einer Bearbeitung für eine Propagandaaufführung gegenüber dem Original (unter anderem wohl, um die Brillanz zu steigern) von dem Geiger Kulenkampff und keinem Geringeren als Paul Hindemith (anonym, weil dieser beim NS-Regime in „Ungnade“ gefallen war) stark verändert worden.

 In diesem Symphoniekonzert war Hindemith gleich mit zwei Werken vertreten, mit denen er während seines amerikanischen Exils unter Beweis stellte, dass auch ihm, seinerzeit einer der wichtigsten Komponisten der Moderne, seine schöpferische Kraft immer wieder aus der musikalischen Tradition erwuchs. Mit seinen „Symphonischen Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber“ wurde das Symphoniekonzert eröffnet, und die „Symphonie in Es“ erklang nach der Pause.

 Doch zuvor erfreute Viviane Hagner das andächtig lauschende Publikum noch mit einer Zugabe, „ein bisschen Bach“, wie sie es ankündigte, für Violine solo, aber dieses „bisschen Bach“ wurde zu einem eindrucksvollen Hörerlebnis. Mit warmem Ton, weich und schön und wie „aus einem Guss“ gestaltete sie die einzelnen Stimmen in ihrem polyphonen Zusammenwirken. Wie in guter Kammermusik mit mehreren Violinspielern hörte man jede einzelne Stimme im Mit- und Gegeneinander sich ergänzen, entfernen und wieder zusammenfinden – eine groß(artig)e musikalische „Welt“ in einem „kleinen“ Satz.

 Bei Hindemith war Eschenbach, der im Mai mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis ausgezeichnet wurde, in seinem Element. Er baute die Interpretation dieser beiden Werke in seinem Personalstil auf starken Kontrasten und einer wie in einem großen Crescendo angelegten Steigerung vom Anfang bis zum Schluss auf. Es gab lautstarke Einsätze von großer Trommel, Becken und viel Schlagwerk, u. a. auch mit „schrägen Glockentönen“, aber die Staatskapelle wäre nicht Staatskapelle, wenn die Musiker nicht auch diese Kraftanspannung mit ihrer Gewissenhaftigkeit und ihrem Können ausgeführt hätten und ihrerseits mit schöner Soloflöte, fein dosiertem Schlagwerk und feinstem Abstimmen im  Zusammenspiel von Streichern und Bläsern mit ihrer besonderen Qualität.

Ingrid Gerk

 

Ingrid Gerk

 

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