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DRESDEN/ Semperoper: 10. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE/ Thielemann

23.05.2022 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: ZWEI SEHR GEGENSÄTZICHE LYRISCHE SYMPHONIEN UNTER CHRISTIAN THIELEMANN IM 10. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 22.5.2022

„Morgenstund‘ hat Gold im Mund“, aber nicht unbedingt auch die Inspiration für die Gestaltung großer Symphonien, schon gar nicht, wenn Gewitterschwüle in der Luft liegt. Dennoch taten Musiker und Dirigent bei der zweiten Aufführung des 10. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden, das bereits am Abend zuvor mit überwältigendem Erfolg stattgefunden hatte, am Sonntagmorgen alles, um zwei, von ihren Komponisten besonders emotional und persönlich stark geprägte Symphonien in guter Qualität aufzuführen.

Unter der Leitung von Christian Thielemann begann bereits mit den ersten Tönen besonders klangschön Felix Mendelssohn-Bartholdys romantische „Sinfonie Nr. 3 a‑Moll (op. 56), die „Schottische“, deren Bezeichnung nicht von ihm autorisiert wurde, die aber seine Eindrücke während einer Reise, bei der er als 20jähriger zum ersten Mal die britischen Inseln besuchte, wiederspiegelt,

Nach erfolgreichen Konzertauftritten in London brach er mit einem Freund nach Schottland auf, um Stätten der Erinnerung an Maria Stuart, die nördlichen Highlands und die Hebriden zu besuchen, und verarbeitete seine Eindrücke und Empfindungen im Verlauf von 13 Jahren zu seiner größten und bedeutendsten Sinfonie. Die düstere Natur des Landes zog ihn unmittelbar in ihren Bann. Die Ruinen der Kapelle von Holyrood Palace, „wo Königin Maria gelebt und geliebt hat“, wie er in einem Brief schrieb, inspirierten ihn unmittelbar zu dieser Symphonie.

So wie Mendelssohn Charakter und Natur, Landschaft und Historie dieses Landes erfasst und in Musik ausgedrückt hat, so vollzogen es Thielemann und die Musiker der Sächsische Staatskapelle in diesem Konzert nach. Mit kantablem Tonfall, weichem Klang der Oboen, Klarinetten, Hörner und Bratschen, klangvollen lyrischen und temperamentvoll-leidenschaftlichen Passagen bis zum „Donnergrollen“ in der lautmalerischen „Gewitter“-Szene, guten instrumentalen Soli und angemessener Pauke zeichneten sie ein eindrucksvolles Bild von dieser „wilden“ geschichtsträchtigen Landschaft mit ihrer stark zerklüfteten Küste, stark erodierten Gebirgsformation, zahlreichen Seen, baumlosen Mooren, Ruinen, verfallenen Burgen und Schlössern und den Spuren einer großen Vergangenheit.

Vom 19. ins 20. Jahrhundert, von der Romantik in die Moderne wechselte die Stimmung mit der „Lyrischen Symphonie“ (op. 18) für Sopran, Bariton und Orchester von Alexander von Zemlinsky, ein Pendant zu Mahlers „Lied von der Erde“ und Schönbergs „Gurreliedern“, in der er seine leidenschaftliche, aber unglückliche Liebe zu einer wesentlich jüngeren Frau, der jungen Alma Schindler, später Mahler-Werfel, verarbeitete.

Er verbindet darin sieben sehr gefühlvolle, empfindsame Liebeslieder von „Sehnsucht“, „Erfüllung“ und „Abschied“ des indischen Dichters und Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagore, abwechselnd gesungen von Mann und Frau, jedoch nicht wie in einem Duett, sondern getrennt voneinander, jeder in seiner eigenen Gefühlswelt, verbunden durch gewaltige Orchestersätze mit einem großen, spätromantischen Orchesterapparat, um den aufgewühlten Gefühlen in einem großen breiten musikalischen Erzähl- und Emotionsstrom Ausdruck zu verleihen, der bei Thielemann in den besten Händen lag. Er formte dieses ungeheure  Spannungsfeld mit Können und fundierter Erfahrung und sorgte für Transparenz in dem riesigen Orchesterapparat mit Schlagwerk, Harfe, Celesta und Harmonium zusätzlich zu einem Riesenaufgebot an üblichen Orchesterinstrumenten.

Für den erkrankten Christian Gerhaher war kurzfristig Adrian Eröd eingesprungen, der die Texte in deutscher Übersetzung sehr exakt, wenn auch nicht ganz frei in der Höhe, aber dennoch eindrucksvoll gestaltete. Sehr glaubhaft verkörperte Julia Kleiter die junge Frau mit mühelos „fließender“ Stimme, die keine Schwierigkeiten zu kennen scheint und deren etwas kühl wirkendes Timbre perfekt zu der Rolle passte, emotional und anmutig.

Zemlinsky vereint in seiner „Lyrischen Symphonie“ nicht nur unterschiedliche Richtungen der Spätromantik, sondern gibt auch der Moderne Raum. In seiner Jugendzeit sehr erfolgreich, später wenig beachtet – auch infolge politischer Umstände – und weitgehend vergessen, prophezeite sieben Jahre nach seinem Tod (1949) sein Schüler und Schwager Arnold Schönberg: „Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen, als man denkt.“ Sie kam erst in den 1970er/80er Jahren. Danach wurde es wieder still um ihn. Jetzt versucht man erneut, seine Kompositionen wieder in den Blickunkt der Öffentlichkeit zu rücken.

Ingrid Gerk

 

 

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