Dresden/Kulturpalast: JULIA FISCHER BEI DER DRESDNER PHILHARMONIE MIT DEM „VIOLINKONZERT“ VON P. I. TSCHAIKOWSKI
Nach Meinung des vielzitierten Theodor W. Adorno sei alles, „was beliebt sei, auch flach“, was für die beiden sehr bekannten und beliebten Werke, die im jüngsten Konzert der Dresdner Philharmonie auf dem Programm standen, ganz und gar nicht zutrifft, weder für das „Konzert für Violine und Orchester D-Dur“ (op. 35) von Peter Iljitsch Tschaikowski, eines der bekanntesten und meistgespielten Violinkonzerte überhaupt, noch für die „Symphonie Nr. 5 c‑Moll“ (op. 67) von Ludwig van Beethoven, deren Popularität aus der glücklichen Verbindung von hohem kompositorischem Anspruch und der unmittelbaren Verständlichkeit, auch für den unvorbereiteten Hörer, resultiert, der großen Kunst, die schwer zu machen ist. Zudem hängt die Wirksamkeit und Beliebtheit eines Werkes auch sehr von der künstlerischen Umsetzung bei der Ausführung ab.
Der einflussreiche und gefürchtete Kritiker Eduard Hanslick ging bei Tschaikowskys Violinkonzert sogar noch weiter und meinte: „die brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes …lauter wüste und gemeine Gesichter … rohe Flüche“ assoziieren zu müssen. Es brachte ihn „auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“. Bei Julia Fischer, der Solistin des Konzertes unter Michael Sanderling, die erfreulicherweise dank einer langjährigen künstlerischen Partnerschaft jedes Jahr in Dresden bei der Philharmonie aufritt, „duftete“ die Musik eher zart und verströmte, um bei diesem Bild zu bleiben, ein „wohlriechendes Aroma“.
Bei ihr konnte man das Konzert, das sie brillant, mit feinster Nuancierung und schönem Ton, Energie und Grandezza spielte, mit allen Sinnen genießen, sogar auch optisch, denn sie machte trotz aller ausführungstechnischen Schwierigkeiten immer eine gute Figur. Bei ihr sah alles so leicht, so unbeschwert und mühelos aus, jeder Bogenstrich – ein ästhetischer Anblick und erst recht ein Hörgenuss, selbst bei den (aller-)höchsten, leisesten Tönen der ausgiebigen Kadenz, was wahrscheinlich selbst Herrn Hanslick überzeugt hätte. In der Tat hatte Tschaikowsky das Konzert innerhalb von drei Wochen in einer für ihn glücklichen Zeit in einem kleinen Winzerort am Genfer See geschrieben. Man meint eher, in der Fantasie bei dieser Musik die Eindrücke einer herrlichen Landschaft vor dem inneren Auge entstehen zu sehen. So können Kritiker auch irren!
Sanderling unterstütze die Solistin mit dem Orchester, das sich nur in solofreien Passagen kraftvoll entfaltete sich sonst aber dem dominierenden Solopart sehr einfühlsam unterordnete, in harmonischer Ergänzung.
Für den enthusiastischen Applaus bedankte sich die Stargeigerin, die auch als ausgezeichnete Pianistin auftritt, mit einer ebenso begeistert aufgenommenen Zugabe, der „Caprice h-Moll“ von Nicolo Paganini, bei der sie noch einmal ihre großartigen künstlerischen Fähigkeiten Revue passieren ließ.
Temperament- und kraftvoll, aber auch mit schönen Pianissimo-Passagen gestaltete Sanderling mit der Dresdner Philharmonie Beethovens „5. Sinfonie“ (op. 67) in einer anspruchsvollen und ansprechenden Wiedergabe „wie aus einem Guss“. Schöne solistische Passagen von Flöte und Oboe, insgesamt gute Bläser und feine Streicher mit dem berühmten, der Philharmonie eigenen warmen Ton, sehr gut integrierte Pauke und gutes Zusammenspiel prägten eine Wiedergabe voller Leidenschaft und Enthusiasmus. Sanderling gestaltete Beethovens geniale Sinfonie in einer sehr ansprechenden Grundhaltung, ganz im Dienste des Werkes, in keiner Richtung übertrieben oder „verbogen“, sondern in schöner Balance zwischen Temperament und Emotion. Auch wenn noch so oft gehört, überraschte diese Wiedergabe durch ihre Frische, Schönheit der Tongebung und Klarheit, durch die so manche, bisher kaum wahrgenommene geniale Wendung und so manches „Geheimnis“ vor allem in den, mit gutem musikalischem Gespür ausgeführten, Kantilenen des langsamen Satzes zu entdecken waren.
Ingrid Gerk