Dresden/Kulturpalast: „H-MOLL-MESSE“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER KAMMERCHOR UNTER HANS-CHRISTOPH RADEMANN
– 22.3.2018
J. S. Bach schrieb seine berühmte „h-Moll-Messe“(BWV 232) zunächst nicht nur aus idealistischen oder religiösen Gründen für den aus politischen Gründen katholisch gewordenen Dresdner Hof (die Bevölkerung und Teile des Hofes, darunter die Königin, blieben evangelisch), sondern um seiner Bewerbung für einen Titel als „Churfürstlich-sächsischer Hofkompositeur“ (den er später auch bekam) Nachdruck zu verleihen. Dennoch wurde diese Messe zum Inbegriff als „das größte Kunstwerk das die Welt je gesehen hat“ (Carl Friedrich Zelter, 1811)und „des grössten musikalischen Kunstwerks aller Zeiten und Völker“ (Hans Georg Nägeli, 1818).
Von den großen Werken Bachs wird diese Messe weltweit am häufigsten aufgeführt und erfreut sich auch in Dresden und Umgebung größter Beliebtheit, weniger in der Kathedrale, für die sie komponiert wurde, sondern in den evangelischen Kirchen. Jetzt fand eine Aufführung im neuen Konzertsaal des Kulturpalastes statt, genau einen Tag nach Bachs 333. Geburtstag. Die „h-Moll-Messe“ im Konzertsaal? Das ließ manchen Musik-Liebhaber skeptisch reagieren. Viele mögen die Aufführung geistlicher Werke im profanen Konzertsaal nicht, anderen hingegen erschließt sich damit die Möglichkeit, auch diese Werke kennenzulernen. Schließlich war das Interesse so groß, dass die Aufführung ausverkauft war. Bachs Musik berührt heutzutage konfessionsunabhängig immer wieder ganz unmittelbar, noch genauso wie oder sogar noch mehr als vor zwei- bis dreihundert Jahren.
Bei dieser Aufführung mit dem, leistungsfähigen Dresdner Kammerchor in der Einstudierung von Tobias Mäthgerund der Gaechinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann, die auch in Stuttgart stattfand, hatte man sehr bald alle äußeren Bedingungen vergessen und war nur noch gebannt von dieser intensiven, ausdrucksstarken Wiedergabe, die vor allem von dem,von Rademann gegründeten Kammerchor mit seinen 35 Sängerinnen und Sängerngetragen wurde. Mit dynamischer, von innigem Ausdruck getragenerPhrasierung, sehr guter Artikulation und Textverständlichkeit, feinsten lyrischen Szenen und vehementer Expressivität, sorgte der Chor in höchster Qualität für einen fundierten Rahmen, in den die Arien und Duette als lokale Höhepunkte eingebettet waren.
Zwischen Chor und Orchester bestand ein stilles Einvernehmen. Sie wirkten gemeinsam in gleichem Geist der musikalischen Interpretation. Die Gächinger Kantorei Stuttgart, 1954 an der Georgskirche in Gächingen (bei Reutlingen) von Helmuth Rilling gegründet, und seit 2013 von Rademann geleitet und reformiert, besteht jetzt aus dem Chor und einem neu gegründeten Barockorchester, das bei dieser Aufführung mitwirkte und Rademanns Ziel, das „ästhetische Klangideal des Barock“ zu erreichen, erfolgreich anstrebte.
Nicht immer gelingt bei Orchestern mit alten Instrumenten bzw.deren Nachbauten sofort alles. Die Instrumente sind wesentlich mehr als ihre modernen „Geschwister“ von Raumtemperatur und Umwelteinflüssen abhängig. Es muss oft nachgestimmt werden, aber wenn die Instrumente dann klingen und sich das Orchester, wie in diesem Falle, bis zum großartigen „Osanna“ immer mehr in seine Aufgaben hineinsteigert, dann klingen sie faszinierend, verleihen der Musik wohligen Klang und viel Wärme und Innigkeit. Dann gelingen berührende Momente und großartige Klangwirkungen.
Es wurde sehr stilvoll musiziert. Einzelne Instrumente, wie die Violine, die beiden Oboen mit ihrem lieblichem Klang, die beiden Flöten und die drei „echten“ Barocktrompeten traten wirkungsvoll auch solistisch hervor sowie auch das (nicht so ganz überzeugende) Horn, wobei sich die Musiker für ihre solistischen Passagen von ihren Plätzen erhoben, auch um den Ton besser im Raum sich ausbreiten zu entlassen. Insbesondere begeisterten die wunderbare Soloflöte und das Solo-Cello mit seinem warmen, beseelten Ton in dem, von Daniel Johannsen mit seiner geschmeidigen Tenorstimme und sehr klarer Höhe, sehr stilvoll, mit hervorragender Artikulation und Textverständlichkeit, ausdrucksstark bis zum feinsten Pianissimo gestalteten „Benedictus“, einem internen Höhepunkt dieser Aufführung.
Die Sopranpartie hatte die junge Sopranistin Johanna Winkel übernommen. Sie sang sehr zuverlässig die Arie im „Laudamuste“ mit schöner Stimme und sauberen Verzierungen, übernahm im Duett mit dem Alt (Countertenor) dezent die Führung und gestaltete das Duett Sopran-Tenor„Domine Deus, Rexcaelestis“ in gleicher Partnerschaft mit Daniel Johannsen und schöner Harmonie. Ihre Stärke ist nicht nur die Barockmusik in historischer Aufführungspraxis und das Oratorienfach bis hin zu Romantik und Moderne. Sie ist auch auf der Opernbühne erfolgreich, so dass sie Christian Thielemann 2017 als Gerhilde in der Salzburger „Walküre“ verpflichtete.
Die beiden Bass-Arien „Quoniamtosolus sanctus“ und „Et in spiritumSanctium“ sang der junge finnische Bariton Arttu Kataja, mit leichter, „flüssiger“ und gut klingender Stimme, jedoch mit wenig Textverständlichkeit und weniger Ausstrahlung.
Für die leider erkrankte Altistin Anke Vondung war der junge, aufstrebende Countertenor Christopher Lowrey eingesprungen. Zunächst im Duett von Sopran und Alt im „Kyrie“ in einer etwas anderen Interpretationsweise zurückhaltend, aber klangvoll untermalend, steigerte er sich von der exakt und mit allen Feinheiten gesungenen Alt-Arie“Quisedes“ und im Duett mit dem Sopran „Et in unumdominum“ bis hin zu einem genialen, berührenden„Agnusdei“ mit leise verklingendem Pianissimo, das dann nur noch von einem verhaltenen „Donanobispacem“ des Chores wie eine flehende Bitte in dieser von kriegerischen Auseinandersetzungen nicht freien Welt zu einem versöhnlichen Abschlussgeführt werden konnte.
Da die h-Moll-Messe im Konzertsaal stattfand, gab es die übliche Konzertpause, die aber weniger störte, da die Messe ohnehin aus zwei Teilen besteht. Entsprechend störten auch das Nachstimmen der Instrumente und die Pausen, die durch die Wege der Solisten von ihren Seitenplätzen bis zu ihrem Auftritt in der Mitte der Bühne zwischen Orchester und Chor erforderlich waren, bei dieser Aufführung nicht, da damit die ursprüngliche Anordnung der einzelnen Mess-Teile in der Liturgie verdeutlicht wurde und vor allem, weil die einzelnen Teile mit der von Rademann mit großer innerer Spannung und einem beispiellosen „Sich-ganz-in-das-Werk-hinein-vertiefenden Intensität erarbeitet und gestaltet wurden bis hin zu einer fast bis in die Bereiche des „Theatralischen“ reichenden Ausdrucksform eines unbeschreiblichen Jubelsdes „Et resurrexit“nach dem leise verklingenden, fast verhauchenden „… passus et sepultusest“. Unter Rademanns Leitung strahlte die gesamte Aufführung eine große Faszination aus.
Ingrid Gerk