Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Kulturpalast: 2. PALASTKONZERT / BARBARA HANNIGAN UND DIE BAMBERGER SYMPHONIKER UNTER JAKUB HRŮŠA

26.10.2018 | Konzert/Liederabende

Dresden/Kulturpalast: BARBARA HANNIGAN UND DIE BAMBERGER SYMPHONIKER UNTER JAKUB HRŮŠA IM 2. PALASTKONZERT DER DRESDNER MUSIKFESTSPIELE – 25.10.2018

Im Vorfeld der Dresdner Musikfestspiele stimmen die Palastkonzerte mit renommierten Künstlern bereits ein reichliches halbes Jahr vorher auf einen neuen Jahrgang des Festivals ein. Das 2. Palastkonzert brachte die Begegnung mit der herausragenden, temperamentgeladenen kanadischen Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan, die bereits seit vielen Jahren als Dirigentin mit renommierten Orchestern auftritt und auf den Bühnen dieser Welt als Stimmvirtuosin und großartige Darstellerin gefeiert wird.

Sie ist eine furiose Protagonistin der musikalischen Moderne. Jetzt sang sie, mitgestaltet von den Bamberger Symphonikern unter Jakub Hrůša, den dreiteiligen Liederzyklus „Let me tell you“ von Hans Abrahamsen (*1952), den der dänische Komponist und Musikpädagoge, einer der führenden Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musikszene in Dänemark und der international am meisten anerkannten Komponisten Skandinaviens, im Auftrag der Berliner Philharmoniker und der Danish Arts Foundation eigens für die Sopranistin geschrieben und auf ihre Stimme zugeschnitten hat. Er war zum ersten Mal in Dresden, wo ihn besonders beeindruckte, dass „Robert Schumann hier gelebt“ hat.

Sein Kompositionsstil wurde am Beginn seines Wirkens der Neuen Einfachheit zugeordnet. Im Laufe der Zeit entwickelte er jedoch einen eigenen Kompositionsstil, den er u. a. vor diesem Konzert im Zusammenhang mit dem Inhalt der Lieder kurz erläuterte und hoffte, mit seinem deutsch-englischen Sprachgemisch verstanden zu werden. Seine Gesprächspartnerin fasste das Gesagte dann noch einmal in deutscher Sprache zusammen. Der Text des Liederzyklus stammt von Paul Griffiths (*1947), der in seiner Novelle die Worte Ophelias aus Shakespeares „Hamlet“ zu einem Monolog zusammengestellt und ihre Seelenzustände von Liebe, Hoffnung, Verzweiflung und Wahn offengelegt hat.

Passend für die zurückhaltende, fast schüchterne Liebeserklärung der Ophelia erschien Barbara Hannigan in unschuldigem Rosa und stimmte mit entsprechender Mimik sich und das Publikum auf die feinsinnigen, sehr gefühlvollen Lieder ein. Sie konzentrierte sich intensiv auf die Worte und die Musik, die zunächst wie aus dem Nichts kam. Magische Flötenklänge, flirrende Streicherklänge und Celesta „malten“ Unsicherheit und vagen Mut der Ophelia, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Barbara Hannigan gestaltete am Beginn die ständigen Wiederholen eines Tones, eine alten Kompositionstechnik, die auf Monteverdi zurückgeht, als Ausdrucksmittel für das Zögerliche, die Unsicherheit der Ophelia bei dem Geständnis ihrer unerfüllten Liebe zu Hamlet. Die Musik wirkt fast banal, naiv wie Ophelias Gemüt, aber immer wieder erscheinen Brüche als Konfrontation mit der Realität.

Sie sang auswendig und setzte ihre große Stimme gezielt für Emotion und Expressivität ein, verdichtete die fragilen Klänge zu intensivem Ausdruck, sprang mühelos in absurde Höhen und bewegte sich in außergewöhnlicher körperlicher und vokaler Agilität mit dem Orchester in völliger Übereinstimmung. In Teil I gab sie den Inhalt der Worte und der Vertonung verinnerlicht wieder, die Verschiedenheiten, wie Hamlet auf Ophelia in ihrer Liebe gewirkt und sie beflügelt hat. In Teil II wird es turbulent, Ophelia begibt sich in die Realität, ist aufgeschlossen, will ihre Liebe erklären. Das Orchester wird sehr aktiv.

Es gibt Getümmel, Lärm, bis im Teil III ein sanftes Piano einsetzt, tonmalerisch / lautmalerisch, und die traurige Situation charakterisiert. Die Sängerin wirkt hingebungsvoll, versonnen, „spielt“ auch ein wenig Theater im besten Sinne, vertieft sich ganz in die Rolle der Enttäuschten, „zelebriert“ die Worte, bis der Text schließlich zur Tür  hinaus führt. Sie sieht die Schneeflocken fallen, versucht symbolhaft eine einzelne zu verfolgen, was ihr nicht gelingt, gibt schließlich auf und wandert in die unendliche Weite hinaus – Liebe – Hoffnung – Enttäuschung – Tod. Ihre Welt wird im Laufe der Lieder zerstört, die Tonalität immer wieder aufgehoben und aufgebrochen. Man hört das Knirschen des Schnees, musikalisch sehr einfach und wirkungsvoll umgesetzt. Die Musik verklingt leise, so wie sich Ophelias Spuren im Schnee verlieren, hoffnungslos, im Unendlichen – lange Stille – bevor der begeisterte Applaus einsetzt.

Die Bamberger Symphoniker präsentierten sich dem Dresdner Publikum erstmals mit ihrem jungen tschechischen Chefdirigenten, der sich im ersten Teil ganz auf die gefühlsbetonten Lieder und die Gestaltungskraft der Sängerin einstellte. Im zweiten Teil des Programms gestaltete er dann die „Sinfonie Nr. 4 Es‑Dur“ (WAB 104, Fassung, 1878/80 – Nowak) von Anton Bruckner, neben der „Siebenten“ seine beliebteste Sinfonie, der er selbst den Beinamen „Romantische“ gab, mit einer wohl durchdachten, wenn auch nicht unbedingt romantischen, sondern mehr grandiosen Gesamtkonzeption.

Das, für seinen charakteristischen dunklen, weichen und zugleich strahlenden Klang, berühmte Orchester in großer Besetzung folgte ihm in jeder Phase, wenn auch die vielbeschäftigten Bläser mitunter etwas dumpf klangen. Es machte seinem Ruf vor allem in den Piano-Passagen alle Ehre, klang aber im Forte sehr hart. Hrůša legte, dem gegenwärtigen Zug der Zeit folgend, sehr viel Wert auf Lautstärke und starke Kontraste, aber auch schöne Piano-Passagen und Details, immer mit gewaltigen Steigerungen und fließenden Übergängen.

Man meinte mitunter, gut gestaltete Naturbilder und Naturerscheinungen wahrzunehmen, schöne Echowirkungen, feine Paukenklänge wie verhaltene Glockenschläge und im „Scherzo“ des sehr klar und durchsichtig gestalteten 3. Satzes das Herannahen einer Jagdgesellschaft, wie man sie bei dieser Sinfonie selten, so liebevoll und deutlich gezeichnet, wahrnimmt. Unbedingt aber wurde immer wieder Bruckners pantheistische Euphorie und phantastische Schwärmerei beim Anblick der Natur eingefangen und mit Klängen und Steigerungen bis zu immer wieder monumentaler, überbordender Lautstärke mit starken Paukenschlägen und großer Dramatik nachgezeichnet.

Hrůša konzentrierte sich auf jeden Satz und bezog auch Pausen in die Gestaltung mit ein. Mit seinem elegant-geschmeidigen Dirigierstil machte er ganz nebenbei auch Figur, jung schlank und rank und beendete mit großer Geste den 1. Satz, die Musik schwungvoll nachzeichnend, was die Unverbesserlichen unter den Zuhörern leider zu verfrühtem, wenn auch verhaltenem Beifall anregte, was jedoch bei seiner ruhigen, aber spannungsreichen Interpretation, bei der er große musikalische Bögen spannte und spannungsreiche Linien nachzeichnete, sehr bald vergessen war. Es war eine sehr farbige, grandiose Wiedergabe in einer gewaltigen, von starken Kontrasten geprägten Konzeption.

Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken