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DRESDEN/ Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ VON J. S. BACH – TEIL II MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR

08.01.2017 | Konzert/Liederabende

Dresden/Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM“ VON J. S. BACH – TEIL II MIT DEM DRESDNER KREUZCHOR – 7. 1. 2017

Während die Kantaten  I ‑ III des „Weihnachtsoratoriums“ von J. S. Bach in Dresden vor Weihnachten jedes Jahr zwei- bis dreimal in der Kreuzkirche. mindestens viermal in der Frauenkirche (teilweise auch mit den Kantaten IV – VI kombiniert) immer ausverkauft sind, und in und um Dresden noch weitere Aufführungen hinzukommen, genügt für die Aufführung der Kantaten IV – VI in der Zeit nach Weihnachten, wofür das gesamte „Weihnachtsoratorium“ ursprünglich gedacht war, eine Aufführung in der Kreuzkirche für Kenner und Liebhaber, zu der Kreuzkantor Roderich Kreile und der Dresdner Kreuzchor eingeladen hatten.

Wer sich vom unfreundlichen Wetter nicht aufhalten ließ, wurde in diesem Jahr besonders belohnt. Es war eine sehr schöne, klangvolle und in sich geschlossene Aufführung, bei der auf die lästigen kürzeren oder längeren („Verschnauf“- oder “Neuordnungs“-)Pausen zwischen den einzelnen Nummern innerhalb einer Kantate verzichtet wurde, was hohe Konzentration und entsprechendes Leistungsvermögen voraussetzt. Die Arien, Duette, Chöre und Choräle, deren Wirkung u. a. auch auf dem unmittelbaren Kontrast zur vorhergehenden “Nummer“ und dem direkten inhaltlichen Zusammenhang beruhen, und erst recht der Gesamteindruck gewannen dadurch ungemein. Pausen gab es sinnvollerweise nur zwischen den Kantaten, um die Zuordnung zu den drei verschiedenen Festtagen und die Themenkomplexe zu verdeutlichen.

Was bei den Oratorienaufführungen des Dresdner Kreuzchores allgemein und immer wieder im Besonderen beeindruckt, ist der wunderbar warme Klang der Dresdner Philharmonie, die hier vom ersten Ton an in exakter Ausführung und mit innerer Anteilnahme, ohne die kleinste Unstimmigkeit musizierte, obwohl doch die Besetzung zwischen den Jahren immer wieder wechselt. Es gab wunderbare instrumentale Vorspiele und Begleitungen der Arien und Duette bzw. des Terzetts seitens der Soloinstrumente wie man sie sich nicht schöner wünschen kann.

Da waren die beiden Solo-Violinen bei der Begleitung der ersten Tenor-Arie („Ich will nur dir zu Ehren leben“ – Kantate IV) mit ihren unterschiedlichen Klangfärbungen, die 1. Violine sehr klar, mit hellem Klang und die 2. Violine mit ihrer warmen, dunkleren Färbung und berührendem Klang, die Solovioline beim Terzett (“Ach, wenn wird die Zeit erscheinen?“ – Kantate V), die beiden Oboen d’amore mit ihrem wunderbaren Feingefühl, die sehr sauberen Hörner und die festlichen Trompeten sowie die Violinen der Philharmonie im tutti bei der Einleitung zum Chor „Ehre sei dir, Gott gesungen (Eröffnung Kantate V) in raschem Tempo. Sie alle musizierten mit so wunderbarem Klang und Präzision, wie sie J. S. Bach zu seinen Lebzeiten wahrscheinlich nie gehört hat.

Die Musiker brauchen keine alten Instrumente und aufführungspraktische Orientierung, um die Musik Bachs überzeugend und mitreißend zu interpretieren. Sie spielen auf modernen Instrumenten mit so viel Anteilnahme und dem richtigen Gespür für Bachs Musik, dass man vor allem in diesem großen Kirchenraum dieser Aufführungspraxis gegenüber manchem historisierenden Ensemble unbedingt den Vorzug geben muss. Wenn der Paukist auch noch eine Idee zurückgenommen hätte, so dass man die einzelnen Einsätze, insbesondere einzelnen Töne, die zur Unterstützung des Orchesterklanges  gedacht sind, nicht separat wie ein kleines Solo gehört hätte, wäre der Gesamteindruck vollkommen gewesen.

Der Dresdner Kreuzchor stimmte in diesen Klangcharakter (nach anfänglich sehr kurzzeitigen kleinen Temposchwankungen) kongenial und klangschön ein und steigerte sich in Exaktheit und Ausdruckskraft bis zum Schluss mit nicht nachlassender Frische und bewusster Mitwirkung. Besonders innig sangen die Knabensoprane im Choral mit ihren jungen schönen Stimmen und trotz ihrer natürlichen Zartheit durch die Vielzahl der sicheren kleinen Sänger auch mit der nötigen durchdringenden Kraft. Neben anderen strahlenden Chorälen wurde der Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“, mit besonderer Innigkeit gesungen.

Von den vier Solisten verlieh Patrick Grahl der Aufführung mit seiner Gestaltung der Evangelisten-Partie besonderes Profil. Als ehemaliger Thomaner lag die Orientierung an vielen guten und sehr guten Evangelisten, die er miterlebt oder vom Tonträger kennt (unverkennbar auch Peter Schreier) sehr nahe, aber er fand auch zu seiner eigenen Ausdrucks- und Gestaltungsweise.

Mit innerer Ruhe, schlanker, gut klingender Tenorstimme, schöner Klarheit und ausgezeichneter Textbehandlung brachte er die Erzählung der Weihnachtsgeschichte neu, fein nuanciert, frisch und interessant zu Gehör, keine ermüdende Deklamation, sondern eine ausgeglichene Balance zwischen frischer, interessant wirkender Berichterstattung, nebenbei etwas tonmalerischer Schilderung der Situationen und vor allem Musikalität. Er sang die Partie, ohne zu übertreiben. Mit kleinen Verzierungen an den richtigen Stellen bekräftigte er taktvoll die Aussage.

Man kann nicht leugnen, dass man bei dieser Partie noch immer Peter Schreier im Ohr hat, aber Patrick Grahl ist ein neuer, in seiner Art idealer Evangelist, der in einer schönen Balance zwischen Tradition und dem Empfinden unserer Zeit die Weihnachtsgeschichte vermitteln kann, und er hat auch die stimmlichen Voraussetzungen dazu, die Orientierung an den höchsten Maßstäben, die in dieser Partie gesetzt wurden, musikalisches und inhaltliches Verständnis, intensiven Gestaltungswillen und eine flexible Stimme, mit der er scheinbar mühelos seine Intentionen umsetzen kann.

Die anspruchsvollen Arien sang er ebenfalls sehr gewissenhaft und mit leichter, flexibler, gut klingender Stimme, aber am meisten beeindruckten doch seine intensiven Secco- und Accompagnato-Rezitative.

Als ehemaliger Kruzianer gestaltete Sebastian Wartig die Basspartie souverän, würdevoll und mit ebenfalls guter Textverständlichkeit in den Accompagnato-Rezitativen sowie der Arie „Erleucht auch meine finstre Sinnen“.

Die Sopranistin Hanna Herfurtner sang gewissenhaft und mit sensibler Stimme, allerdings etwas zu wenig Volumen für den großen Kirchenraum der Kreuzkirche. In der Echo-Arie“ (Kantate IV) korrespondierte ein Knabensopran vom Kreuzchor aus der Ferne mit klarer, sicherer Stimme.

Mit gutem Stimmvolumen, innerer Ruhe und Kraft wartete die Altistin Marlen Herzog auf, die auch im Dialog mit dem Chor in jeder Phase gut vernehmbar war.

Mit dem, alle vier Solisten noch einmal vereinigenden Secco-Rezitativ „Was will der Hölle Schrecken nun“ und dem von Chor und Orchester mit festlichem Trompetenglanz, Pauken, Oboen d‘amore und Streichern in einträchtiger Gemeinsamkeit gestalteten Schluss-Choral „Was will der Hölle Schrecken nun“ endete eine sehr klangschöne, in sich geschlossene Aufführung des 2. Teils des “Weihnachtsoratoriums“ am Tag nach Epiphanias (6. Januar), für den die letzte Kantate (Kantate VI) gedacht war.

Ingrid Gerk

 

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