Dresden / Kreuzkirche: W. A. MOZARTS „REQUIEM“ ZUM EWIGKEITSSONNTAG – 24.11.2019
Es gibt wohl kaum ein musikalisches Opus, um das sich derart viele Mythen und Legenden ranken wie das „Requiem“ (KV 626) von Wolfgang Amadeus Mozart, das durch den viel zu frühen Tod des musikalischen Genies nur etwa zu zwei Dritteln tatsächlich von ihm stammt und durch die Instrumentierung und Ergänzung der bruchstückhaft hinterlassenen Skizzen und einzelnen Stimmen von zwei (oder mehr?) jüngeren Komponisten aus seinem Umkreis zu einem Ganzen zusammengefügt wurde. Trotzdem erfreut es sich größter Beliebtheit, wurde vermutlich am häufigsten beim Tod berühmter Musiker und Persönlichkeiten aufgeführt und hat bis heute seine Faszination nicht verloren.
Für Mitteleuropäer ist der Spätherbst mehr als in anderen Ländern eine Jahreszeit, mit der sich in den Tagen des abnehmenden Lichts und durch den Rückzug der belebten Natur Gedanken an Vergänglichkeit und Abschiednehmen verbinden, und so möchten die Dresdner und Gäste der Stadt am Ewigkeitssonntag die Aufführung eines Requiems in der Dresdner Kreuzkirche nicht missen.
Da sich der Kreuzchor zurzeit auf Reisen befindet und die Aufführung des, zur langen Tradition gewordenen, “Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms deshalb eine Woche vorher aufgeführt wurde, übernahm Peter Kopp, bisheriger Chordirigent und stellvertretender Leiter des Dresdner Kreuzchores, jetzt Rektor der Evangelischen Hochschule für Kirchenmusik Halle und (seit 2003) ständiger Gastdirigent der „Bach Society“ in Houston/Texas, mit seinem semiprofessionellen Vocal Concert Dresden diese Aufgabe und führte Mozarts „Requiem“ in einer Qualität auf, wie sie früher an dieser Stelle öfter zu erleben war, jetzt aber zur Seltenheit geworden ist.
Das Vocal Concert aus professionellen Sängern und Laien, das 1993 von Peter Kopp in Erinnerung an den geselligen Musizierkreis um Gottfried Körner, dem Vater des Dichters Theodor Körner, als „Neuer Körnerscher Singverein“ gegründet wurde, ließ seine hohen Qualitäten bereits bei drei vorangestellten Songs (2., 4. und 6. Song) aus den sechs „Songs of Farewell“ für Chor a capella, die Charles Hubert H. Parry (1848-1918) in seinen letzten Lebensjahren komponierte und bei denen nicht nur die Texte, insbesondere im sechsten Song, in direkter Nähe zu Brahms‘ „Deutschem Requiem“ stehen, sondern auch die Musik einen starken Brahms-Bezug aufweist (Parry war nebenbei auch begeisterter Wagnerianer), erkennen.
Bei dem A-capella-Gesang im großen Rund der Kreuzkirche, bei deren Akustik jede kleine Nuance hörbar ist, bestach der Chor bereits durch seine stilistische Sicherheit, intelligente Interpretation, klangliche Strahlkraft und Natürlichkeit, die dann auch das “Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart (Fassung Süßmayer/Beyer), zu einem bewegenden Ereignis werden ließen, mitgetragen von dem, ebenso stilsicher und klangschön mitgestaltenden Philharmonischen Kammerorchester Dresden aus Mitgliedern der Dresdner Philharmonie, die ebenso engagiert und sich in das Werk vertiefend, dabei waren.
Die menschliche Stimme wurde im „Requiem“ im Zusammenwirken mit dem Orchester zum direkten Mittler der Musik, die ganz vom Wort her bestimmt ist, zu einer intensiven, berührenden Begegnung mit Tod und Vergänglichkeit, auch und insbesondere mit dem persönlichen Erleben Mozarts in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Tod, die unüberhörbar eingeflossen ist.
Bei dieser Aufführung passte einfach alles harmonisch zusammen, Chor, Orchester und Solistenquartett, bei dem hervorragende, im Oratoriengesang sehr erfahrene Sängerinnen und Sänger, die schon oft an diesem und anderen Orten für faszinierende Aufführungen sorgten, ihre stimmlichen Qualitäten und herausragenden Leistungen hinsichtlich Gesangstechnik, Artikulation und vor allem Gestaltung einbrachten. Ihre Timbres harmonierten nicht nur ideal in Duetten und Ensembleszenen, ihre Soli waren selbst in kurzen Passagen von großer Faszination.
Es scheint ein Phänomen zu sein, wie die Sopranistin Ute Selbig mit sanfter, wohlklingender Stimme immer wieder klanglich unaufdringlich dominiert und die glanzvollen Akzente setzt, alles überstrahlt und jedes Oratorium zum unvergesslichen Erlebnis werden lässt. Sie berührt aus ihrer persönlichen Einstellung zum Werk, mit technischer Souveränität, der ihr eigenen, stimmlichen Leichtigkeit, die sie in keiner Passage vermissen lässt, am meisten aber mit der zu Herzen gehende Wärme und Innigkeit ihres Ausdrucks. Britta Schwarz brachte mit der Altpartie ihre ebenfalls ausgezeichnete Gesangstechnik und vor allem ihre warme Stimme mit dem samtenen Klang ein. Sie weiß, wovon sie singt und teilt es in überzeugender Weise mit.
Für den erkrankten Tenor Falk Hoffman war Sebastian Reim eingesprungen, der sich gut in das hervorragende Solistenensemble einfügte. Die Basspartie gestaltete Jörg Hempel, der schon als Kruzianer mit Oratoriengesang und der besonderen Akustik der Kreuzkirche vertraut wurde, mit seiner einprägsamen tiefen, klaren Stimme und guter Diktion als Teil des idealen Solistenquartetts.
Sooft man dieses Requiem voller menschlicher Empfindungen und Klängen der Verzweiflung, unabdingbarer Wucht und unausweichlicher Kraft auch hört, berührt es immer wieder ganz persönlich und erst recht in dieser, in allen Phasen so harmonischen, ausgeglichenen und eindringlichen Interpretation, bei der alle Ausführenden mit dem Herzen dabei waren und auf gleicher musikalischer Wellenlänge mit höchstem Engagement, Können und Anteilnahme ihre sängerischen bzw. instrumentalistischen Qualitäten einbrachten. Durch die hervorragende Wiedergabe wurden selbst die, durch die Handschrift mehrerer Komponisten entstandenen, Brüche nicht spürbar.
Es war eine jener prägenden, unvergesslichen Aufführungen, die alle Emotionen in sich trägt, hoffnungslos und hoffnungsvoll zugleich, Emotionen wie Angst, Verzweiflung und Traurigkeit zwischen Persönlichem und Jenseitigem, die den Menschen angesichts des Todes ereilen, aber auch vor allem Hoffnung und Trost für die Lebenden.
Ingrid Gerk