Dresden/Kreuzkirche: DIE „GROSSE MESSE IN C-MOLL“ VON W. A. MOZART IM KONZERT ZUM EWIGKEITSSONNTAG – 25.11.2018
Zwei wegen ihrer Qualität weltweit geschätzte Ensembles, das von Peter Kopp, der bei diesem Konzert auch die Gesamtleitung des Konzertes hatte, gegründete und geleitete Vocal Concert Dresden und die Dresdner Kapellsolisten, gestalteten schon zum zweiten Mal das Konzert am Ewigkeitssonntag in der Dresdner Kreuzkirche, das zuvor traditionsgemäß der Aufführung des „Deutschen Requiems“ von Johannes Brahms mit dem Dresdner Kreuzchor vorbehalten war, wegen der Reisetätigkeit des Kreuzchores jedoch wie im vergangenen Jahr eine Woche vorverlegt wurde und nun vielleicht eine „neue Tradition“ begründet.
Von Brahms wurde zu Beginn die Motette „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen“ aus „Zwei Motetten für gemischten Chor a capella (op. 74) aufgeführt. Das Vocal Concert Dresden, ein semi-professioneller gemischter Kammerchor aus professionellen Sängern und versierten Laien, der in diesem Jahr sein 25jähriges Bestehen feierte, brachte die Motette a capella mit seiner musikalischen Intelligenz, Stilsicherheit und natürlichen Musizierweise in ihrer Unmittelbarkeit zum Klingen, wobei sehr viel Wert auf besondere Exaktheit und Klangwirkung gelegt wurde. Die mitunter auch sehr zarten, klangvollen Frauenstimmen verliehen dem Werk Innigkeit.
Als Hauptwerk des Abends erklang die 1782/83 geschriebene „Messe c‑Moll (KV 427) von Wolfgang Amadeus Mozart, ein genial und groß angelegtes Werk, das aber leider Fragment blieb. Mozart hinterließ nicht nur sein „Requiem“ unvollendet, weil ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm, sondern auch diese Messe, für deren Nichtvollendeng persönliche und andere Gründe vermutet werden (anderweitige Verpflichtungen, keine Aufführungsmöglichkeit u. ä.). Er verlor diese Messe aber nicht aus den Augen, sondern verwendete später Teile daraus für andere Anlässe.
Unvollendete Werke großer Meister haben immer etwas Geheimnisvolles und Berührendes (Mozarts „Requiem“, Schuberts „Unvollendete, Bachs „Kunst der Fuge“). Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gibt es immer wieder Versuche, diese Werke zu ergänzen und zu „vervollkommnen“ oder die Ergänzungen und Verbesserungen noch weiter zu verbessern. Wagten Mozarts Schüler und Freunde diesen Schritt aus Ehrfurcht nicht oder nur sehr behutsam, gab und gibt es in neuerer Zeit zahlreiche Bestrebungen solcher „Vervollkommnungen“ und „Weiterentwicklungen“, sogar bei vollendeten Werken, auch bei denen von Richard Wagner! Vieleicht spielt da auch ein wenig der Ehrgeiz manches Komponisten mit, sich an ein solches Werk heranzuwagen und sich „gleichrangig“ zu fühlen.
Um die meisterhafte, aber nur fragmentarisch erhaltene, Mozart-Messe, obwohl unvollendet, eine der herausragenden Messvertonungen der europäischen Musikgeschichte, die bei Vollendung durch Mozart noch Größeres zu ahnen und zu hoffen berechtigten Anlass gibt, aufzuführen, wurden seit dem 19. Jahrhundert zwei Möglichkeiten praktiziert: Aufführungen im Konzertsaal als Fragment, nur behutsam um die fehlenden Instrumentalstimmen ergänzt, oder als ergänzte Fassungen in der kirchenmusikalischen Praxis. Für die Aufführung in der Kreuzkirche wählte Peter Kopp die Ergänzung von Richard Maunder von 1990 und fügte die Teile „Credo“ (ab „Cruzifixus etiam pro nobis“) und „Agnus dei“ aus der, für den Katholikentag 1990 in Berlin entstandenen, 1992 überarbeiteten “Berliner Messe“ von Arvo Pärt hinzu.
Neben dem Chor hatten die Dresdner Kapellsolisten, das Kammerorchester aus führenden Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle, als instrumentales Fundament großen Anteil an der eindrucksvollen Aufführung. Sie unterstützten und ergänzten Solisten und Chor nicht nur sehr zuverlässig in harmonischem Miteinander, sondern muszierten in reinen Orchesterpassagen sehr klangschön.
Die Solistinnen sorgten mit exakt ausgeführten Arien für Glanzpunkte, wobei die für die erkrankte chilenisch-italienische Sopranistin Catalina Bertucci eingesprungene, aus Schottland gebürtige, Carine Maree Tinney den Hauptanteil zu bewältigen hatte. Sie gestaltete das Sopran-Solo mit Chor im „Kyrie“ und vor allem die meisterhaft gesungene, mit Koloraturen und Schwierigkeiten gespickte Sopran-Arie „Et incarnatus est“ im „Credo“ mit Bravour und perfekter Gesangstechnik, exakter Phrasierung und klarer, leistungsfähiger, wenn auch weniger sensibler und unterschwellig ein wenig an feines Metall erinnernder, Stimme.
Mit strahlender Überlegenheit und einem öfters sehr freundlichen Lächeln, sang die kanadische Sängerin Julia Dawson ebenfalls sehr exakt und makellos, mit leichten, lockeren Verzierungen und sehr guter Korrespondenz mit dem Orchester die Arie des „Laudamus te“ im „Gloria“. Beim Duett der beiden Soprane im „Gloria“ und dem Terzett „Quoniam tu solus“ für zwei Soprane und Tenor-Solo orientierten die Solisten auf gutes Zusammenwirken.
Den beiden Männerstimmen, vertreten durch zwei sehr gute, im Oratorienfach versierte und erfahrene Solisten, kam hier die undankbare Rolle nur sehr kurzer Einsätze zu. Falk Hoffmann engagierte sich dennoch gewissenhaft für den Tenorpart und Andreas Scheibner mit seinen stimmlichen und gesangstechnischen Qualitäten und sehr guter Textverständlichkeit für seinen einzigen Auftritt im Solistenquartett im „Benedictus“, bis zu dem er dankenswerterweise die Männerstimmen im Chor verstärkte.
Die Kombination von Mozarts grandiosem Fragment mit Teilen aus Pärts Messe war ein Anstoß zur gedanklichen Auseinandersetzung. Für die einen wies sie den Weg in die Gegenwart, für andere war es ein Stilbruch, durch den das Sich-hinein-Versenken in Mozarts musikalische Welt irritiert wurde. Ungeachtet dessen, ist Mozarts Musik immer gegenwärtig. Seit ihrer Entstehung zieht sie die Menschen in ihren Bann, Laien und Fachleute, weniger anspruchsvolle Musikliebhaber und die anspruchsvollsten Experten gleichermaßen.
Ingrid Gerk