Dresden/Frauenkirche: KONZERT DER PRAGUE PHILHARMONIA IN DER REIHE „AKZENT – OSTWÄRTS“ – 24.8.2013
Die PKF (Prazská Komorní Filharmonie) – Prague Philharmonia wurde 1994 von dem bekannten Dirigenten Jirí Belohlavek gegründet und avancierte in kurzer Zeit zu einem der führenden tschechischen Orchester von internationalem Ruf. Sie gastiert regelmäßig bei namhaften Festivals und in den großen Konzertsälen der Welt.
Bei ihrem Konzert in der Dresdner Frauenkirche stand Petr Altrichter, einst Assistent von Vaclav Neumann beim Tschechischen Philharmonischen Orchester, jetzt Gast bei den führenden tschechischen Orchestern sowie in England, Deutschland, Japan, Israel u. a., am Pult. Mit ausladenden Gesten orientierte er das relativ große Orchester auch in dem barocken Raum der Frauenkirche bei der Wiedergabe der „Hebriden“ von F. Mendelssohn-Bartholdy und W. A. Mozarts „Jupiter-Sinfonie“ auf die Bedingungen des Konzertsaales, was vor allem beim Forte mit der Akustik des Kirchenraumes leicht „kollidierte“. Im 16./17. Jh. wurde auf relativ kleine Gruppen von Musizierenden orientiert, so dass es bei großen Orchestern in älteren Kirchen mitunter zu akustischen Problemen kommt.
Sieht man aber davon ab, erschienen „Die Hebriden“ doch als eine – wenn auch sehr eigene – Schilderung der Natur dieser Inseln und der Gefühle beim Betrachten der Landschaft auf hohem Niveau, wenngleich die Naturschilderung wesentlich dramatischer ausfiel als allgemein gewohnt und vielleicht auch anders, als es Mendelssohn bei seiner Reise empfunden haben mag. In ihrer Art beeindruckte sie trotzdem, wenn auch einmal aus einer ganz anderen Sicht.
Trotz angemessenem Tempo entstand die Vision einer rauen, aufregenden, fast bedrohlichen Felsenlandschaft mit bewegender Vergangenheit, in ihrer Herbheit nicht ohne Härten, aber auch mit sehr schönen, lyrischen Passagen im Wechsel der Stimmungen, Landschaftsansichten und Wiederspiegelung in der menschlichen Seele. In starkem Kontrast und mit einem Gespür für die Fremdartigkeit der Landschaft wurden die Klangfarben plastisch herausgearbeitet, wurde voller Spannung und mit einem großen Orchester-Crescendo ein Landschaftsbild – man möchte fast sagen, aus tschechischer Sicht – nachgezeichnet, jedenfalls anders, als es aus zahlreichen anderen Interpretationen in Erinnerung ist.
Ganz anders verhielt es sich hingegen bei Antonin Dvorák. Seine „Legenden“, die in Deutschland leider kaum zu hören sind, wurden von Dirigent und Orchester – einschließlich der sehr sauberen Bläser – liebevoll und durchsichtig musiziert. Die tschechische Musik liegt den Pragern eben doch mehr „im Blut“. Es war ein Gewinn, die „Legenden“ kennenzulernen, die Brahms als ein „reizendes Werk“ rühmte, dessen „frische, lustige, reiche Erfindung“ er bewunderte, und bei denen den Kritikerpapst Eduard Hanslick, dem sie gewidmet sind, vor allem der „erzählende, episch Maß haltende Ton“ begeisterte.
Peter Mikulas
Zum unbestrittenen Höhepunkt gestalteten sich Dvoráks, in Amerika in einer prekären Situation entstandene „Biblische Lieder“. Wegen der amerikanischen Wirtschafskrise hatte er nicht nur existentielle Probleme mit seiner achtköpfigen Familie. Ihn belastete auch die Trauer um seine verstorbenen Freunde P. I. Tschaikowsky und Hans von Bülow, die schwere Erkrankung seines Vaters, New Yorks hektisches Leben und ein zunehmendes Heimweh nach der Beschaulichkeit seiner böhmischen Heimat. Wieder endgültig in Europa, orchestrierte er die ersten fünf der, in Amerika für Singstimme und Klavier und in tschechischer Sprache verfassten, 10 „schmerzensreichen“ Lieder, die der vor allem mit einem breiten Konzertrepertoire europaweit gastierende, slowakische Opernsänger Peter Mikulás makellos, mit schöner, kraft- und klangvoller Stimme, sehr sicherer, wohlklingender Tiefe und ausgezeichneter Artikulation zu Gehör brachte. Die Dramatik des Ausdrucks stellte er ganz in den Dienst einer sehr kultivierten Liedgestaltung. Er ist zweifelsohne eine markante Sängerpersönlichkeit, prädestiniert sowohl für die Opernbühne, als auch für die intimere Form des Konzert- und Liedgesanges.
Das Orchester beeindruckte bei seiner eindrucksvollen „Untermalung“ der Lieder mit mancher sehr feinen, mitgestaltenden Passage. Angesichts dieser Werke hätte man sich gut einen „rein tschechischen Abend“ vorstellen können.
Für Dvorák war W. A. Mozart „die Sonne. Merken Sie sich das.“ Ganz so sonnig erschien dann aber Mozarts „Sinfonie Nr. 41 C Dur (KV 551) doch nicht. Den Beinamen „Jupiter-Sinfonie“ erhielt sie erst postum, vermutlich von dem Londoner Geiger, Dirigent und Konzertunternehmer J. P. Salomon, der einst Haydn nach London holte. Sie ist Mozarts letzte Sinfonie und stellt den Höhepunkt der klassischen Sinfonik vor Beethoven dar. Neben einer Synthese zwischen klassischer und barocker Kompositionsweise, klassischem und barockem Geist, deutet Mozart schon Neues an, das er aber durch seinen frühen Tod nicht mehr ausbauen konnte.
Altrichter nahm den Namen „Jupiter“, des obersten Gottes der römischen Religion, offenbar wörtlich und drängte das Werk – anders als hierzulande gewohnt – mit dem relativ großen Orchester und sehr viel Temperament in eine äußerst dramatische Richtung. Es gab schöne Momente, guten Orchesterklang und manchmal auch eine leichte Kollision mit der Raumakustik, aber Mozarts Musik verträgt viele Interpretationen und verfehlt ihre Wirkung eigentlich nie. Es war eine „Jupiter-Sinfonie“ aus großer sinfonischer Sicht, in angemessenem Tempo, aber mit sehr viel Dynamik und Dramatik, bei der insbesondere der 4. Satz mit seiner bruchlosen Vereinigung von Fuge und Sonate vor „Temperament sprühte“ – ein „Erfolgsrezept“, das jetzt von vielen Dirigenten gern praktiziert wird, auch wenn die Spezifik eines Werkes dabei nicht unbedingt im Vordergrund steht.
Ingrid Gerk