Dresden/Frauenkirche: THOMAS HAMPSON UND DIE SINFONIETTA AMSTERDAM – 9. 4. 2016
Es war ein sehr ungewöhnliches Programm, das Thomas Hampson als Gastsolist und die Sinfonietta Amsterdam, das 1988 von Lev Markiz gegründete, einzige professionelle Streichorchester der Niederlande, in der Dresdner Frauenkirche boten. Die zwanzig, vorwiegend jungen Musiker aus aller Welt musizieren ohne Dirigent, geleitet vom 1. Pult aus von der charmanten, enthusiastischen Geigerin Candida Thompson auf ihrer Violine von Jean-Baptiste Vuillaume. Seit 1995 ist sie Konzertmeisterin und seit 2003 Künstlerische Leiterin dieses Orchesters.
Sie ist eine begeisterte Kammermusikerin und hat schon früh verschiedene europäische Kammerorchester dirigiert. Für ihr Konzert in der Frauenkirche bevorzugte sie für ihr nunmehr sehr „großes Kammerorchester“ auch „ins Große übersetzte“ Kammermusikwerke, die dadurch allerdings ihren Charakter verändern. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jh. waren Bearbeitungen, Transkriptionen u. ä. geradezu verpönt, jetzt begegnet man ihnen ziemlich oft. Auf der Suche nach neuen Wegen und Bereicherung der Konzertprogramme scheinen sie bei den Musikern sehr beliebt.
Candida Thompson legt großen Wert auf die Einbindung und künstlerische Energie jedes einzelnen Orchestermitglieds und deren individuelle Beiträge, womit sie entsprechendes Engagement und Hingabe aller Beteiligten erreicht, was jedoch bei dem eingangs in sehr zügigem Tempo muszierten „Streichquintett Nr. 2 G Dur“ (op. 111) von Johannes Brahms in einem Arrangement für Streichorchester der Amsterdam Sinfonietta trotz gutem Klang einen irgendwie aufgeregten, nicht ganz einheitlichen Eindruck hinterließ, da offenbar jeder Musiker sein individuelles Werkverständnis einbrachte, abgesehen davon, dass die extrovertierte Bearbeitung dem subtilen Charakter des originalen Streichquintetts nur bedingt gerecht wird, da bei einer solchen Bearbeitung zwangsweise von der, dem Streichquintett immanenten, inneren Harmonie abgewichen wird.
Trotz schöner Klangfülle war das spezifische Element der Brahms’schen Musik, sein persönlicher Charakter nur schwer zu erkennen. Es war ein neuartiger, ganz anderer, ungewohnter Eindruck, mehr unterhaltend als eine direkte, adäquate Umsetzung der Gedankenwelt des Komponisten.
Sehr ausgeglichen, mit sehr klangvoller, ausdrucksstarker Stimme und mit tiefauslotender Gestaltung und Ernsthaftigkeit widmete sich danach Thomas Hampson den „Vier ernsten Gesängen“ (op. 121) von Brahms, bearbeitet für Bariton und Streichorchester von David Matthews. Das Orchester nahm sich sehr zurück, versuchte sich anzupassen, aber trotz schönem Streicherklang blieb es bei einer etwas aufgeregten, vielleicht auch „belebenden“ Untermalung der Gesangsstimme, mit der sich Hampson in aller Ernsthaftigkeit mit diesen tiefgreifenden Gesängen auseinandersetzte. Er lotete diese, auch unter sehr persönlichem Eindruck komponierten Gesänge in all ihrer bitteren gedanklichen Tiefe und gefühlten emotionalen Härte aus.
Obwohl er sich mühelos gegen das relativ große Orchester durchsetzen und Klarheit und gute Textverständlichkeit beibehalten konnte, klang seine Stimme im Mezzoforte und Piano doch am schönsten. Gesangsstimme und Gestaltungsqualitäten eines Sängers kommen nun einmal mit originaler Klavierbegleitung noch besser zur Geltung. Trotz dieser Einschränkungen hinterließ Hampsons Interpretation der vier, sehr ernsten Gesänge, in denen sich Brahms am Ende seines Lebens mit dem nahenden Tod auseinandersetzt, einen tiefen Eindruck, der in schönem Streicherklang seinen Nachklang fand.
Hampson verfügt nicht nur über eine sehr schöne Gesangsstimme, sondern auch über eine gute Sprechstimme, mit der er in das 1931 von dem damals 21jährigen Samuel Barber (1910-1981) vertonte Gedicht „Dover Beach“ (op. 3) des viktorianischen Dichters Matthew Arnold einführte. Gedicht und Vertonung sind ein Musterbeispiel für die bei Barber schon früh entwickelte Durchdringung von Vokal- und Instrumentalsatz mit langen, lyrischen Linien, guter Textdeklamation und gekonntem Einsatz der Techniken und Klangwirkungen der Instrumente für die Wiedergabe einer Verbindung von Naturbildern und Reflektionen des Lebens, auch ein Sehnen nach älteren Zeiten, ein subjektiver Gefühlsausdruck, der menschliche Aggression, aber auch Toleranz einschließt, die in allen Zeiten eine Rolle spielten. Ursprünglich für Streichquartett komponiert, wurde es hier in einer interessanten, farbigen Fassung für Streichorchester von der Amsterdam Sinfonietta mit gutem Klang und von Hampson mit ausdrucksvoller Stimme und einfühlsamer Gestaltung geboten.
Die „Italienische Serenade G Dur“ (1887) von Hugo Wolf, ebenfalls arrangiert für die Amsterdam Sinfonietta, leitete zu weiteren Liedbearbeitungen für Orchester und Gesang von David Matthews über: „Fußreise“ und „Auf einer Wanderung“ (beide nach Eduard Mörike) und „Der Rattenfänger“ (nach Goethe) von Hugo Wolf sowie von Franz Schubert „Memnon“ (nach J. B. Mayrhofer) (D 541 op. 6,1) und „Geheimnis“ (nach Goethe) (D 719 op. 14,2). Für die Arrangements schienen die Orchesterlieder von Gustav Mahler, Richard Wagner („Wesendonck-Lieder) und Richard Strauss schon vorweggenommen, obwohl die bearbeiteten Original-Lieder doch von intimerem Charakter sind.
Hier kamen sich Solist und Orchester näher. Das Orchester hielt sich oft dezent zurück, und riskierte auch mal ein musikalisches „Schwänzchen“ zwecks Illustration. Thomas Hampson, neben seiner Tätigkeit als ausgezeichneter Opern-, Operetten-, Musical- und Oratorien-Sänger und -gestalter auch ein begnadeter Liedsänger, setzte seine immer wieder begeisternde Stimme und sein äußerst vielseitiges Gestaltungsvermögen für eine differenzierte Gestaltung jedes einzelnen dieser Lieder ein und verlieh auch dieser ungewöhnlichen und ungewohnten Interpretation bekannter Lieder eine nachhaltige Wirkung.
Mit zwei Zugaben: „An Anakreons Grab“ (Goethe) von Hugo Wolf und „An die Leier“ (Bruchmann) von Franz Schubert verabschiedeten sich Thomas Hampson und die Amsterdam Sinfonietta, die mit ihrer innovativen Programmgestaltung, bei der bekannte Kompositionen mit Auftragswerken kombiniert und selten aufgeführte Werke sowie Bearbeitungen und Arrangements geboten werden, in den vergangenen Spielzeiten unter Mitwirkung sehr bekannter Gast-Solisten durch Europa, China, die USA und Australien tourte.
Ingrid Gerk