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DRESDEN/ Frauenkirche: PASSIONSMUSIK von Vater J.S.Bach und Sohn C.P.E.Bach

Dresden/Frauenkirche: „MATTHÄUSPASSION, „JOHANNESPASSION“ UND „PASSIONS-MUSIK NACH LUKAS“ VON VATER J. S. BACH UND SOHN C. P. E. BACH 12. bis 18.4.2014

 Um die Osterzeit gibt es vielerorts zahlreiche Passionsaufführungen, in Deutschland am häufigsten die beiden großen Passionen von Johann Sebastian Bach. In der Dresdner Frauenkirche gab es daneben auch eine Passionsmusik seines Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach, die zu interessanten Vergleichen anregte.

 Ludwig Güttler, der sich sehr um den Wiederaufbau der Frauenkirche verdient gemacht hat, hatte die Trompete mit dem Dirigentenstab vertauscht und führte Johann Sebastian Bachs “Matthäuspassion“ (12.4.) in einer etwas gekürzten Fassung mit geschickten, relativ unauffälligen Strichen und nur sehr kleinen Pausen zwischen den einzelnen „Nummern“ auf (Dauer: 2 ¾ Std.). Da nur unwesentliche „Nebenszenen“ gestrichen waren, war eine akzeptable Fassung dieser bekannten und beliebten Passion, ohne die für manche Musikfreunde kein Ostern ist, entstanden, die die Spannung auch bei den zahlreich erschienenen Touristen nie nachlassen ließ.

 Einem gegenwärtig allgemeinen Trend zufolge nahm Güttler den Eingangschor in rasantem Tempo, was kaum die im Text enthaltene Beschaulichkeit und innere Einkehr zuließ. Bachs Musik verträgt viel, auch ein überhöhtes Tempo. Sie verfehlt ihre Wirkung nie, aber ein gemäßigtes“ Tempo gibt erst Gelegenheit, auch die geistigen Tiefen auszuloten und die immanente Klangschönheit zu entfalten. Gerade, weil die Welt immer schneller und damit auch immer flüchtiger wird, sucht man in der Musik, insbesondere der Kirchenmusik, eine „Gegenbewegung“ zu der immer hektischer werdenden Lebenssphäre.

 Die meisten Ausführenden waren mit Barockmusik und speziell der Aufführungspraxis der Bachschen Passionen vertraut. Das Sächsische Vocalensemble ist bekannt für seine exakte Ausführung, gute Stimmen und sehr gute Artikulation. Durch das anfangs sehr hohe Tempo klangen vor allem die Männerstimmen ungewohnt herb. Selbst die dramatischen Chöre „Was gehet uns das an“ und „Weissage …“ waren (zu) schnell, laut und derb. Im Laufe der Aufführung fand der Chor mit „Sein Blut komme über uns“ und „Der du den Tempel“ sowie in den Chorälen zu seiner gewohnten Qualität. Als Cantus-firmus-Chor wirkte der Kinderchor des Heinrich Schütz-Konservatoriums mit, eine schöne Gelegenheit die Sänger der nächsten Generation schon mit einzubeziehen.

 Bei dem anfänglich sehr raschen Tempo war manches zunächst noch nicht so ganz ausgeglichen, gab es leichte Unebenheiten zwischen Gesangssolisten und Orchester und in manchem Duett, was aber bald einer entsprechenden Übereinstimmung wich. Das versierte Mitteldeutsche Kammerorchester spielte exakt und klangschön und konnte auch mit sehr schönen solistischen Arienbegleitungen von Flöte, Oboe und den beiden Solo-Violinen aufwarten.

 Die Solisten versuchten mit unterschiedlichem Erfolg ihre Partien in bewährter Tradition, entsprechend den besten Vorbildern, zu singen und zu gestalten. Trotz leichter Tempounterschiede zum Orchester bewältigte Nadja Mchantaf die Sopran-Partie. Susanne Langner mit ihrer schönen, hell-timbrierter Altstimme und Cornelius Uhle mit schlanker Bassstimme und sehr guter Tiefe beeindruckten durch ausgesprochen gute Textverständlichkeit und reife Gestaltung. Zum Höhepunkt wurde die Alt-Arie „Erbarme-dich“ mit leiser Trauer und in schöner Übereinstimmung mit der begleitenden Solovioline.

 Uwe Stickert sang die Evangelisten-Partie und die Tenor-Arien im Bemühen um eine gute Übereinstimmung von Wort und Musik, wenn auch stimmlich manches noch nicht ganz ausgeglichen war. Mit lauter, voller, gutturaler Stimme und auf gute Artikulation bedacht, widmete sich Daniel Ochoa der Christus-Partie. Es war kein milder, verklärter Christus, sondern ein sehr irdischer, bodenständiger, mitunter laut und heftig und sehr dramatisch. Kleinere Soli wie die Mägde und falschen Zeugen kamen überzeugend aus dem Chor.

 Dass J. S. Bachs „Matthäuspassion“ und „Johannespassion“ der Nachwelt in vollem Umfang erhalten blieben, ist seinem Sohn Carl Philipp Emanuel Bach zu danken, dessen 300. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Er führte neben seinen eigenen Werken auch die seines Vaters auf und hütete das Notenmaterial, das er von ihm geerbt hatte. Eine „Lukaspassion“ und eine „Markuspassion“, die sein älterer Bruder Wilhelm Friedemann geerbt hat, sind verschollen. Von der „Markuspassion“ sind lediglich noch einige Fragmente erhalten.

 Einen interessanten Vergleich zwischen den opulenten Passionen J. S. Bachs mit ihrer überwältigenden Dramatik in den Chören und Gedankentiefe in den Arien und Ariosi und dem Kompositionsstil der nachfolgenden Zeit, der als „Galanter Stil“ bezeichnet wird, bot die Aufführung (13.4.) der „Passions-Musik nach dem Evangelisten Lucas“ von Carl Philipp Emanuel Bach (H 784), komponiert 1771, unter der Leitung von Matthias Grünert. Diese Passionamusik enthält sehr ansprechende Musik, ist leichter, gefälliger und fasslicher, enthält aber nicht die Empfindungstiefe wie bei J. S. Bach, denn sie entspricht dem damaligen Zeitgeschmack. Sie entstand in einer anderen Zeit, als andere gesellschaftliche Bedingungen den Stil prägten. Gelegentlich aber meint man doch die Nähe zu Johann Sebastians Kompositionsstil herauszuhören, vor allem in den Chören und Duetten.

 Der Chor der Frauenkirche sang klangvoll, wenn auch wenig textverständlich. Das ensemble frauenkirche bot ein sehr sicheres, sehr klangschönes Fundament. Ungewohnt war die Verteilung des Erzählungsberichtes, der in etwa der Evangelisten-Partie entspricht, auf Männer- und Frauenstimmen.

 Ute Selbig sang nicht nur mit sehr deutlicher Artikulation den größten Teil dieses Berichtes, sondern auch mit sehr schöner, strahlender Stimme den „eigentlichen“ Sopranpart. Ewa Zeuner widmete ihre gut klingende, warme Stimme dem kleineren Teil der „Berichterstattung“ und der Altpartie. Kim Schrader hatte mit schlanker, klarer Stimme und guter Deklamation den Tenorpart übernommen. Nur Marek Reicherts schwere, gutturale Bass-Stimme wollte nicht so recht zum „galanten Stil“ passen und vor allem im Duett nicht zur Tenorstimme. Seltsamerweise sang Sebastian Richter die Vox Christi mit einem eigenartig fremd wirkenden „Dialekt“. Trotz dieser kleinen Einschränkungen war es sehr interessant, das Werk kennenzulernen.

 Für den Karfreitag hatte Matthias Grünert J. S. Bachs „Johannespassion“  (18.4.) gewählt, bei der er die Chöre in relativ zügigem Tempo nahm, das der Kammerchor der Frauenkirche auch gut gewältigte. Wie immer bildete das Ensemble Frauenkirche eine sehr gute instrumentale Grundlage und sorgte für den guten Klang.

 Antonia Bourvé verfügt über eine gut klingende Stimme und sang die beiden Sopran-Arien mühelos und mit klarer Artikulation. Klaudia Zeiner, Alt sang sehr konzentriert, wirkte aber in der Höhe manchmal leicht schrill. Bei Marcus Ullmann schien die Höhe nicht unproblematisch, aber er glich das aus durch sehr gute Textdeklamation, Lebhaftigkeit bei den Arien und gute inhaltliche Gestaltung der Evangelisten-Partie, wenn erforderlich auch lautmalerisch („ … und geißelte ihn…“). Er sang mit Kondition und langem Atem und spannte, entsprechend dem Inhalt, große musikalische Bögen. Die Arie „Erwäge“, wie sein blutgefärbter Rücken …“ gelang in sehr schöner Übereinstimmung mit der Instrumentalbegleitung. Matthias Weichert gestaltete mit seiner Erfahrung die „Nebenrollen“ mit entsprechender Charakterisierung, das Bass-Arioso „Betrachte, meine Seel“ ruhig und ausgeglichen und die Arie mit Chor „Eilt, ihr angefochtnen Seelen“ mit entsprechender innerer Dramatik.

 Die Vox Christi lag bei Andreas Scheibner in den allerbesten Händen. Absolut sicher, mit ausgezeichneter Artikulation, ausdrucksstark und kraftvoll, mit edler Ausstrahlung und Würde gestaltete er den Text, der von einer klangvollen Stimme getragen wurde. Hier stimmte einfach alles, die einzelnen Textpassagen und die gesamte Personifizierung. Eine ideale Gestaltung, wie man sie sich nicht stimmiger wünschen kann.

 Insgesamt war es eine sehr ansprechende Aufführung mit vielen besonders schönen Momenten.

 Ingrid Gerk

 

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