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DRESDEN/ Frauenkirche, Kreuzkirche: WIEDERENTDECKTE KLANGSCHÖNHEITEN DER MUSIK DES 16. – 18. JAHRHUNDERTS DURCH „IL POMO D’ORO“, DRESDNER KREUZCHOR UND CAPELLA SAGITTARIANA

24.03.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden/Frauenkirche, Kreuzkirche: WIEDERENTDECKTE KLANGSCHÖNHEITEN DER MUSIK DES 16. – 18. JAHRHUNDERTS DURCH „IL POMO D’ORO“, DRESDNER KREUZCHOR UND CAPELLA SAGITTARIANA – 22./23.3.2019

Innerhalb von zwei Tagen überraschten gleich zwei Ensembles für Alte Musik mit ungewöhnlicher Klangfülle und Klangschönheit bei der Aufführung von Kompositionen aus dem 16 ‑ 18. Jahrhundert.

Das, 2012 von international renommierten Spezialisten der historischen Aufführungspraxis gegründete, Kammerorchester „Il pomo d’oro“ war schon einmal in Dresden, um Joyce Didonato bei ihrem Konzert im Kulturpalast (28.5.2018) zu begleiten, als sie den 15. Glashütte Original Musikfestivalpreis erhielt. Ihren seltenen Namen entliehen die Musiker der Oper „Il pomo d’oro“ („Der goldene Apfel“), die 1666 anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten für Kaiser Maximilian und Margarita Teresa von Spanien aufgeführt wurde, eine der aufwändigsten, teuersten und spektakulärsten Produktionen der damaligen Zeit mit 24 verschiedenen Bühnenbildern, „Pferdeballett“ mit 300 Pferden, Feuerwerk mit 73 000 Raketen und unzähligen weiteren „special effects“.

So pompös ging es bei dem Konzert in der Frauenkirche (22.3.) unter dem Titel „ITALIEN AN DER ELBE“ mit einer Aufführung von sieben Werken der frühen italienischen Barockmusik nicht zu. Je nach Stück traten 5 –10 Musiker und der seit 2006 als Chefdirigent amtierende Maxim Emelyanychev am Cembalo auf, letzterer mit übertriebener, aber unnötiger Gestik, die das Publikum nervös machte und die versierten Musikerinnen und Musiker mehr irritierte als inspirierte.

Mitunter leitet die Konzertmeisterin Zefira Valova das Ensemble, das für seine Aufnahmen mit Joyce Didonato und dem jungen französischen Cellisten und Solisten des Abends, Edgar Moreau, jeweils den ECHO KLASSIK erhielt. Nach sehr leisem Anfang am Cembalo und anschließend akzentuierten Streichern fand das Orchester sehr bald zu schönem Streicherklang, dem „süßen“, weichen, geschmeidigen Klang der Barockzeit. Von den Qualitäten der Konzertmeisterin, die das Orchester zusammenhielt, konnte man sich im solistischen Zusammenspiel mit ihren Streicherkollegen und erst recht im kongenialen Zusammenklang bei den Solopassagen von Cello und Violine(n) im „Konzert für Violoncello und Streicher in D‑Dur“ (G.479) von Luigi Boccherini (1743-1805) überzeugen, dem „jüngsten“ unter den Komponisten des Abends, dessen Kompositionsstil schon bis in die Zeit der Klassik reicht.

Der 25jährige Edgar Moreau schöpfte die Vielfalt barocker Cellokonzerte in gleich vier Solokonzerten aus, die gefällige Musizierweise in dem, in flottem Tempo gespielten, „Konzert für Violoncello, Streicher und Basso continuo (B.c.) D-Dur (D-WD 650) des Italieners Giovanni Benedetto Platti (ca. 1697-1763), dessen Hauptwirkungsfeld Würzburg war, die Dynamik im Konzert für Violoncello, Streicher und B.c. a‑Moll“ (RV 419) von Antonio Vivaldi, die Eindringlichkeit im „Konzert für Violoncello, Streicher und B.c. A‑Dur“ von Giuseppe Tartini (1692-1770), von dem fast nur die „Teufelstriller-Sonate“ bekannt ist oder nicht einmal das, und die Eleganz im Konzert Boccherinis, das den glanzvollen Abschluss bildete.

Trotz seiner Jugend spielte Moreau sehr exakt und makellos, vertiefte sich ganz und gar in die Eigenheiten der einzelnen Solistenkonzerte und steigerte sich successive in die barocke Klangwelt, von gut klingender, herzhaft-kerniger Tongebung bis zu vollem, wohlklingendem und wunderbar singendem Ton, der nicht nur in ausgesprochenen Solo-Cello-Passagen zur Geltung kam, sondern auch in herrlicher Klangfülle und völligem Gleichklang im Zusammenspiel mit der Violine der Konzertmeisterin, vergleichbar menschlichen Stimmen in einem innigen Duett. Mit einer Zugabe für Cello solo von Johann Sebastian Bach unterstrich Moreau noch einmal sein bereits meisterhaftes Können.

Auch ohne solo virtuos und klangvoll spielten die Musiker zwischen den Cellokonzerten die „Sonate für zwei Violinen, Viola ad libidum und Basso continuo G‑Dur op. 5 Nr. 4“ (HWV 399) von Georg Friedrich Händel, der als junger Mann in Italien im italienischen Stil komponierte und die Italiener begeisterte, sowie die Sinfonia g‑Moll“ (op. 5 Nr. 6) von Johann Adolf Hasse, der einen Teil seines Lebens in Italien verbrachte. Etwas diffus und befremdlich erschien nur das Concerto secondo a quattro f-Moll“ von Francesco Durante (1684-1755), dessen raffinierte Effekte nicht so recht gelingen wollten.

Noch weiter zurück in der Musikgeschichte ging Kreuzkantor Roderich Kreile mit dem Dresdner Kreuzchor in einem Konzert (23.3.) aus Anlass des 400. GEBURTSTAGES von Johann Rosenmüller (1619-1684), dessen Bedeutung zwar von der Musikgeschichte relativ früh erkannt wurde, dessen Werke aber dennoch selbst bei Musikfreunden wenig bekannt sind. Neben vier Teilen aus seinen „Sechs lateinischen Vesperpsalmen“ („Dixit dominus A 18“, „Laetatus sum A 18“, Lauda Jerusalem A 19“ und „Magnificat A 18“) erklangen in wechselnder Folge von Claudio Monteverdi (1567-1643) „Laudate pueri“ aus „Selva morale e spirituale“ und „Nisi dominus“ aus „Messa a quattro voci et Salmi“.

Unterbrochen und ergänzt wurden diese sakralen Kompositionen für Soli, Chor und Orchester von drei rein instrumentalen Canzonen von Giovanni Gabrieli (1557-1612), bei denen die Klangqualitäten der auf Originalinstrumenten bzw. originalgetreuen Nachbauten spielenden Capella sagittariana aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie sowie freischaffenden Musikern, die sich 2006 aus zwei Ensembles für die Musik des 16./17. Jahrhunderts im Sächsischen Raum an symbolträchtigem Ort, der Kapelle des Dresdner Residenzschlosses zusammengeschlossen haben. Der Name bezieht sich auf den in dieser Kapelle über viele Jahrzehnte wirkenden Heinrich Schütz, lateinisch: Henricus Sagittarius, der schon zu Lebzeiten als „parens nostrae musicae modernae“ („Vater unserer“, d. h. der deutschen, „modernen Musik“ tituliert wurde.

Mit Posaunen, Krummhorn, Harfe, Violinen und Cello spürten die Musiker mit Kreuzorganist Holger Gehring an der Truhenorgel den Klangschönheiten der Alten Musik nach und brachten erstaunliche Klangwirkungen hervor, die diese Musik sehr lebendig, hinreißend und mitreißend wirken ließen, wie man sie trotz vieler Ensembles für Alte ;Musik und historischer Aufführungspraxis nur sehr selten erlebt. Sie bildeten auch das nahezu authentische Klangfundament für die geistlichen Gesänge, die von einem, in Stilistik und Aufführungspraxis Alter Musik sehr erfahrenden, Solistenensemble mit Jana Büchner und Marie Luise Werneburg – Sopran, Elisabeth Holmer und Stefan Kunath – Alt, Sebastian Reim und Oliver Kaden – Tenor, sowie Clemens Heidrich und Felix Schwandtke – Bass in erstaunlicher Kongenialität und Harmonie ausgeführt wurden. Sie alle passten in den sehr unterschiedlichen Besetzungen und Gruppierungen erstaunlich gut in Timbre, Technik und Gestaltung zusammen.

Der Dresdner Kreuzchor war in voller Stärke zugegen und ergänzte die solistischen und instrumentalen Klangwirkungen mit fast plakativer Wirkung und in den kleineren Sologruppen etwas zurückhaltend.

Mit beiden Konzerten wurde eine Lanze für die Wiederbelebung und Aufführung dieser Musik aus längst vergangenen Jahrhunderten gebrochen, die bei guter Interpretation – wie in diesen beiden Konzerten – erstaunlich lebendig und ergreifend wirken kann.

Ingrid Gerk

 

 

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