Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Frauenkirche: „FRAUENKIRCHEN-BACHTAGE“ 2015

12.10.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden/Frauenkirche: „FRAUENKIRCHEN-BACHTAGE“ 2015 – 3. bis 10.10.2015

In Korrespondenz mit dem etwa zur gleichen Zeit stattfindende Heinrich Schütz Musikfest und des Internationalen Heinrich-Schütz-Festes (s. „Der Neue Merker“-online), bei dem u. a. das Ensemble La Chapelle Rhénane mit „Magnificat“-Vertonungen von Heinrich Schütz sowie sieben weiteren Komponisten des 16./17. Jh. vor und nach Schütz in der Frauenkirche gastierte (8.10.), lag der Schwerpunkt der 5 musikalischen Veranstaltungen der FRAUENKIRCHEN-BACHTAGE neben Heinrich Schütz auf dem Schaffen von J. S. Bach und seiner Söhne.

Für ein Konzert unter dem Titel MAGNIFICAT standen Ludwig Güttler mit dem Sächsischen Vocalensemble (Einstudierung Matthias Jung) und den von ihm gegründeten und geleiteten Virtuosi Saxoniae zwei Ensembles zur Verfügung, die für ihre hohe Qualität bekannt sind, zwei „Säulen“, die mit ihren Erfahrungen, ihrer Gewissenhaftigkeit der Ausführung und Klangschönheit die Grundlage für eine hohe Qualität der Aufführung sorgten.

In sehr raschem Tempo, aber gerade so, dass die Klarheit nicht darunter litt, wurde das Konzert unter Güttlers Leitung mit dem „Magnificat in  C“ für Doppelchor und Orchester (in einem Satz), das Johann Christian Bach, der jüngste Sohn des großen Johann Sebastian, in Mailand (1758) komponierte, eröffnet. Mit Klangschönheit und Klarheit widmeten sich das ausgezeichnet musizierende Kammerchororchester aus führenden Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden, und der Chor in sehr gutem Zusammenwirken dieser relativ kurzen „Magnificat“-Vertonung.

Eine andere Vertonung des Lobgesanges der Maria verfasste Carl Philipp Emanuel Bach, der zweitälteste Sohn. Sein „Magnificat“ für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Chor und Orchester (Hamburger Fassung, 1779) beschloss das Konzert mit Trompeten- und Hörnerglanz und „gut dosierter“ Pauke.

Umrahmt von den beiden „Magnificat“-Vertonungen seiner Söhne kam die Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ (Leipziger Fassung – BWV 147), ebenfalls für 4 Solisten, Chor und Orchester vom Vater Johann Sebastian Bach zur Aufführung. Anfangs leicht diffus, in sehr raschem Tempo, „glätteten sich“ bald „die „Wogen“ und Chor, Orchester und Solisten konnten ihr Können, Werkverständnis und gutes Stilempfinden entfalten. Nicht nur physikalisch, sondern auch in der Musik, beim Tempo scheint der „Schwerpunkt“ in der Mitte zu liegen. Extreme können älterer Musik, die auf innerer Harmonie beruht, schaden.

Das von Matthias Jung sehr gut vorbereitete Sächsische Vocalensemble sang auch hier mit all seinen Tugenden, schwungvoll und mitreißend und mit relativ guter Textverständlichkeit. Die Sängerinnen und Sänger harmonierten ausgezeichnet mit den Streicher-betonten Virtuosi Saxoniae, die auf modernen Instrumenten das Flair Alter Musik einzufangen und zu vermitteln vermögen, trafen sie doch genau den Nerv der Zeit, in der diese Musik entstand. Genussreich waren wie immer die Instrumental-Soli, da dieses Kammerorchester über ausgezeichnete Solisten von den Ersten Pulten der Sächsischen Staatskapelle verfügt. Allein der 1. Konzertmeister, sowohl der Staatskapelle als auch der Virtuosi Saxoniae, Roland Straumer, fasziniert immer wieder mit seinem wunderbaren Geigenton, vielleicht vergleichbar den „alten Italienern“. Mit seiner klangschön und innig gestalteten Begleitung der Sopran-Arie sorgte er für musikalischen Glanz, und auch die aus nur 3 Instrumenten bestehende Continuo-Gruppe musizierte mit schönem, ausgewogenem Klang.

Das Solisten-Quartett bestand aus mit Barockmusik vertrauten Sängerinnen und Sängern. Barbara Christina Steude singt sehr oft in der Frauenkirche. Sie hat das richtige Gespür für Lautstärke und Diktion in Anbetracht der Akustik des von der großen Kuppel dominierten Kirchenraumes und das entsprechende Stilgefühl für Kirchenmusik, speziell auch für die Musik Bachs. Ihre sanfte, „engelhafte“ Sopranstimme scheint speziell für Alte Musik prädestiniert. Sie sang mit viel Innigkeit und Einfühlungsvermögen bis hin zum feinsten Pianissimo, spannte große musikalische Bögen, ließ sich von der Musik „tragen“ und sorgte für Höhepunkte innerhalb der Kantate. Ihre Stimme harmonierte in schöner Weise mit dem Orchester.

Susanne Langner begann die Alt-Arie zunächst etwas herb, wobei ihre Stimme leicht guttural wirkte, bis sie in gewohnter Weise mit sehr schöner Stimme, guter Gesangstechnik und einigen Verzierungen die Arie sehr klangschön und scheinbar mühelos gestaltete, wobei sich ihre Stimme in Harmonie mit dem Instrumentenklang verband.

Ebenso derb begann auch Matthias Weichert das Bass-Rezitativ, hatte aber dann ebenfalls bald zu seiner gewohnten Gesangsqualität gefunden. Möglicherweise lassen sich die Solisten von der Größe der Kuppel irritieren. Der Tenor Stephan Scherpe sang hingegen sehr zurückhaltend und war dadurch nicht immer durchgehend zu hören, aber er sang durchaus stilbewusst und mit angenehmer, wenn auch etwas leiser Stimme.

Nicht zuletzt stellte dieses Konzert auch eine schöne Ergänzung zu dem gleichzeitig stattfindenden Heinrich Schütz Musikfest dar, da hier die Weiterentwicklung der von Schütz begründeten Musiktradition mit klingenden „Beweisen“ belegt wurde.

Für die 14täglich stattfindende SONNTAGSMUSIK (4.10.) hatte Frauenkirchenkantor Matthias Grünert ebenfalls Werke von J. S. Bach sowie Heinrich Schütz ausgewählt. Das ensemble frauenkirche, ein Kammerorchester aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle, Dresdner Philharmonie u. a. setzte sofort mit Spielfreude ein, um mit Günert am Cembalo die Sonntagsmusik mit der „Ouvertüre C‑Dur(Orchestersuite) von J. S. Bach (BWV 1066) in  festlichem Schwung und sehr schnellem Tempo, aber dennoch „sauber“ gespielt, zu eröffnen.

Es folgte die Kantate „Meine Seele erhebet den Herren“ von J. S. Bach mit den Solisten Ute Selbig Sopran, Bettina Ranch – Alt, Eric Stokloßa Tenor und Andreas Scheibner – Bass. Bei dem vorgelegten Tempo konnte sich die Musik trotz der erfahrenen und sehr sicheren Ausführenden nur bedingt entfalten. Es klang alles gut, mit fließenden Übergängen, aber die Musik konnte nicht „ausschwingen“. Unsere Zeit ist schnell geworden, flüchtig, aber muss sich das auch in der Musik wiederspiegeln? Der Zuhörer sucht eher einen Ruhepol, zumal bei Kirchenmusik. Schnelles Tempo wirkt virtuos, fordert viel von den Ausführenden und Bewunderung bei den Zuhörenden, übersteigt aber auch oft deren Empfinden, wenn nicht sogar „Fassungsvermögen“.

Die Solisten sangen dennoch mit gewohnter Exaktheit und guter Artikulation. Das ensemble frauenkirche musizierte in gewohnter Weise. Der Projektchor anlässlich der Heinrich-Schütz-Musiktage in Dresden der Internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft tat sein Möglichstes. Als Abschluss sang er 2 Motetten für fünfstimmigen Chor von Heinrich Schütz aus der „Geistlichen Chormusik 1648 (op. 11) mit sehr viel Anteilnahme, zunächst die Motette „Herr, auf dich traue ich“(SWV 377) und als stimmungsvollen Abschluss mit schönen, hellen Frauenstimmen und sehr viel Hingabe die Motette „Verleih uns Frieden“ (SWV 372).

In einem ORGELKONZERT (7.10.) spielte Irena Budryte-Kummer Orgelwerke von J. S. Bach, Gerard Bunk, Charles-Marie Widor und Juozas Naujalis.

Zum Höhepunkt der BACHTAGE gestaltete sich das „Atmosphärische Recital“ in der Unterkirche der Frauenkirche mit Ton Koopman & Tini Mathot (seiner Gattin und Duopartnerin), die an zwei optisch sehr anspruchsvollen Kopien alter Cembali mit sehr gutem Klang J. S. Bachs KUNST DER FUGE „zelebrierten“. Nicht nur die Spieler waren präzise aufeinander eingestimmt, auch die Cembali ergänzten sich im Klang.

Es ist nicht überliefert, für welche(s) Instrument(e) Bach sein zusammenfassendes und bekrönendes Werk des Kontrapunktes und der Vielstimmigkeit schrieb, weshalb es vermutlich lange Zeit als rein theoretisches Studienwerk genutzt wurde. Die Anzahl der Bearbeitungen für Orgel, Kammerorchester, Streichquartett, 2 (moderne) Klaviere oder – wie hier – 2 Cembali ist groß. Dank der außergewöhnlich guten, klangvollen, vor allem klaren und sehr abwechslungsreichen Interpretation schien die Wiedergabe der beiden Koopmans eine ideale zu sein, was nicht nur von den Instrumenten, sondern vor allem vom Können der beiden Interpreten abhing.

Tini Mathots Spiel zeichnet sich durch große Klarheit und Klangschönheit aus. Mit ihren Erfahrungen und besonderen technischen und manuellen Fertigkeiten vermag sie die harmonischen und melodischen Strukturen sehr sorgfältig zu durchleuchten und sehr präzise in Klänge umzusetzen. Mit außergewöhnlicher Sensibilität, differenziertem Anschlag und enormem Einfühlungsvermögen legte sie die Welt der Polyphonie mit scheinbarer Leichtigkeit in ihrer feingliedrigen Strukturierung dar.

Ton Koopman ergänzte am anderen Cembalo mit männlich kräftig kontrastierendem Spiel und setzte Akzente, so dass immer wieder kleine und größere Höhepunkte und viel Abwechslung den Abend bestimmten, Klangschönheit und Vitalität ineinanderflossen und ein – mit Verlaub – sehr ansprechendes und kurzweiliges Musizieren den Abend sehr angenehm erleben ließ, der wie ganz nebenbei die hohe Kunst der Polyphonie vermittelte – keine Spur von trockener Theorie mit Kontrapunkt, die dennoch zu ihrem Recht kam und fast „spielerisch“ vermittelt wurde.

Noch nie erschien Bachs „Kunst der Fuge“ mit ihren vielfältigen Strukturen so klar und selbstverständlich und dabei so klangvoll wie an diesem Abend. Es war ein ideales Zusammenwirken zweier Duopartner, die musikalisch und sensibel inspirierend die hohe Kunst Bachs in 14 Fugen und Kanons „offenlegten“ und den aufmerksam Zuhörenden die einzelnen, ineinander verwobenen, melodischen und harmonischen Linien nachvollziehen ließen, sie mit feinem, zartem Klang, er mit kraftvolleren, temperamentvolleren Passagen, alles in einträchtiger Harmonie und doch eigenständig und gut zu unterscheiden.

Statt der fehlenden Quadruple-Fuge, die das Werk bekrönen sollte, die Bach aber vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen konnte – das Werk blieb unvollendet – brachte Ton Koopman als Abschluss und “Zugabe“ eine Überraschung mit, ein in einer Brüsseler Bibliothek von ihm entdecktes „C-Dur Präludium“ für Orgel (BWV 547) J. S. Bachs in einer Bearbeitung für 2 Cembali, um 1800 von einem Unbekannten (vermutlich Belgier) verfasst.

Ein weiteres Konzert mit „Magnificat“-Vertonungen von J. S. Bach und seiner beiden Söhne C. P. E. Bach und Johann Christian Bach fand unter dem Thema „MAGNIFICAT“ mit dem Kammerchor der Frauenkirche, dem ensemble frauenkirche und Solisten unter der Leitung von Matthias Grünert statt (10.10.).

 Ingrid Gerk

 

 

Diese Seite drucken