Dresden/Frauenkirche: EMMANUEL PAHUD UND DAS FRANZ LISZT KAMMERORCHESTER BUDAPEST MIT „MUSIK AM HOFE FRIEDRICHS DES GROSSEN“ – 7.4.2018
Der schweizerisch-französische, viel gefragte und mehrfach ausgezeichnete Solist und Erster Flötist der Berliner Philharmoniker, Emmanuel Pahud hatte mit dem Franz Liszt Kammerorchester Budapest für ein Konzert in der Dresdner Frauenkirche Werke ausgewählt, wie sie zu den musikalischen Abendgesellschaften am Hofe des musikliebenden Preußenkönigs Friedrichs II., genannt Friedrich der Große, der von sich behauptete „Der Staat, das bin ich“ und als Inbegriff preußischer Disziplin und Ordnung gilt, aufgeführt wurden.
Diese exklusiven Abendgesellschaften, bei denen auch Opern aufgeführt wurden, gönnte sich der Monarch nach seinem täglichen, selbstauferlegten, strengen Arbeitspensum zur Entspannung und trat selbst als Flötist auf. Er liebte die Schönen Künste, insbesondere die Musik, seit seiner Jugend und gründete schon als Kronprinz trotz seines strengen, spartanischen Vaters, des „Soldatenkönigs“, im brandenburgischen Ruppin eine eigene (kleine) Kapelle mit begnadeten Musikern, die er später nach Rheinsberg, und als er König wurde, nach Berlin und Potsdam mitnahm.
Zu dieser Kapelle gehörten einige der bedeutendsten Musiker der damaligen Zeit. Sie waren nicht nur hervorragende Instrumentalsolisten, sondern auch berühmte Lehrer und Komponisten. Ihr Ruf ging weit über die Grenzen Preußens hinaus und hat noch heute unter Musikliebhabern einen guten Klang. Damals verließen die Musiker noch nicht irgendeine Hochschule als Komponist, der nach Kompositionsaufträgen sucht, sondern erlernten erst einmal verschiedene Instrumente bis zur Perfektion, bevor sie sie sich mit ihren praktischen Erfahrungen ans Komponieren wagten und ihnen der Erfolg Recht gab. Durch das Wirken dieser Musiker und Komponisten entwickelte sich im Gegensatz zu der auf Themendualismus orientierten Mannheimer Schule zeitgleich die Berliner Schule in galanter Monothematik – mit Rücksicht auf den schlichteren königlichen Geschmack.
Die Musiker des Franz Liszt Kammerorchesters spielten einige „Sinfonien“ dieser Meister – der Begriff „Sinfonia“ wurde damals noch sehr frei verwendet, u. a. auch als Einleitung für eine Oper – in ausgewogener Balance zwischen sehr zügigem Tempo bei den schnellen Sätzen und musikalischem Empfinden bei den langsamen Sätzen, wunderbarer Klangfülle, schöner Klarheit und vitaler Frische. Obwohl ihr Repertoire alle Epochen der Musikgeschichte umfasst, hatten sie auch ohne alte Instrumente und betont historische Aufführungspraxis das richtige Gespür für den Musizierstil. Hier führten musikalisches Empfinden und Musizierfreude zu einer sehr ansprechenden Wiedergabe.
Von Carl Heinrich Graun (1704-1759), mit seinen weit über 30 Opern erfolgreichster und bedeutendster Opernkomponist seiner Zeit und Kapellmeister der Königlichen Hofkapelle, wurde die „Sinfonia in C-Dur“ aufgeführt, von Franz Benda (1709-1786), einem böhmischen Musiker, der über Dresden, Wien und Warschau in die Hofkapelle kam und als Violinen-Solist und späterer Konzertmeister wirkte, eine „Sinfonie in A-Dur“ (L1.8), von Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788), zweiter Sohn Johann Sebastians und Kammercembalist, die „Sinfonie für Streicher und B.c. in B-Dur (Wq 182/2) und vom Potentaten selbst die „Sinfonie in G-Dur, Nr. 1“, bei der, wie bei all seinen Kompositionen meist Meister-Flötist und „Lehrer“ Johann Joachim Quantz (1697-1773) hilfreich zur Seite stand und „assistierte“.
Bei J. J. Quantz‘ originalem „Konzert für Flöte, Streicher und B.c. in G-Dur“ (Qv 5:174) sowie dem „Konzert für Flöte, Streicher und Bc. in d-Moll (Wq 22) von C. P. E. Bach übernahm Pahud, dessen Repertoire von der Barockmusik bis zum Jazz und in die Moderne reicht, die Rolle des Flöte spielenden Monarchen. Barocke Beschaulichkeit und die Lieblichkeit des Rokoko ließen er und das begleitende Orchester aber hinter sich. Ohne „alte Perücke“ (im musikalischen Sinn) wie Johann Christian Bach, der jüngste Sohn Johann Sebastians, einst über seinen Vater gesprochen haben soll, brillierte Pahud mit schönem, hellem, ungemein vitalem Klang, großer Sorgfalt, scheinbar endlosem Atem, spielerischer Virtuosität, Selbstverständlichkeit, Leichtigkeit und Eleganz, wobei ihm Spieltechnik und Fingerfertigkeit die entsprechende Voraussetzung boten, die der Flöte spielende Monarch auch in den für ihn zugeschnittenen „königlichen“ Fassungen wohl nie erreicht hat.
Solist und Orchester musizierten dabei in kongruenter (deckungsgleicher) Übereinstimmung und konnten auch frappierende Schnelligkeit mit atemberaubendem Tempo entwickeln wie bei dem sehr virtuos gespielten (aller-)letzten Satz des Konzertes, dem letzten Satz aus dem Flötenkonzert von C. P. E. Bach. Da ging kein Ton verloren. Erst bei der von Pahud sehr aufs Tänzerische orientierten Zugabe aus einer „Orchestersuite“ von Johann Sebastian Bach (die mehr zum Zuhören gedacht war) ging er – sehr zur Freude des Publikums – zu übersteigerter Virtuosität mit geradezu vulkanischem Temperament über und ließ naturgemäß einige Töne „schleifen“ – eine individuelle Sicht und eigene Art der Interpretation.
Auch wenn das Konzert (einschließlich Pause) nicht sehr lang war (1.45 h) und durch die kurzweilige, spannende Wiedergabe der Werke die Zeit wie im Fluge“ verging, hatten Pahud und die Musiker des Kammerorchesters alles in ihren Bann und mit viel Gespür für die damalige Musizierpraxis, aber auch eigene Sicht die Zuhörer in die Musik vergangener Jahrhunderte hineingezogen und die Kompositionen, die viel Progressives enthalten, unmerklich und nachdrücklich in unsere Zeit geholt und alle Anwesenden begeistert.
Ingrid Gerk