Dresden/Frauenkirche: CECILIA BARTOLI – DIE UNBESTRITTENE MEISTERIN DES BELCANTO – 15. 11. 2013
Cecilia Bartoli
Sie trat zur großen Freude der Dresdner schon in der Frauenkirche auf, als diese im Inneren noch eine große Baustelle war und die Gerüste die Sicht versperrten. Seitdem kommt Cecilia Bartoli immer wieder an diesen Ort zurück, um die Dresdner und zahlreichen Touristen mit der Kunst des Belcanto-Gesanges zu erfreuen.
In bester Erinnerung ist noch ihr Konzert mit Bravourarien der Barockzeit. Jetzt widmete sie sich der Wiener Klassik und erfreute die Besucher, die die Kirche bis unters Dach füllten, mit ihrer unnachahmlichen Präzision und sehr geschmeidigen, klangvollen Stimme, die etwas von der unwiderstehlichen Süße des Kastratengesanges ahnen lässt, der die Menschen vergangener Zeiten in Ekstase versetzt haben soll.
Mit langem Atem singt sie halsbrecherische Koloraturen, deren Blütezeit vom 17. Jh. bis in die 1. Hälfte des 19. Jh. reichte, und die bei ihrer Wiedergabe auch heute noch begeistern und zu Beifallsstürmen hinreißen. Schließlich sind es bei ihr nicht nur reine Bravourstücke der Gesangstechnik, mit denen sich die Sänger „produzieren“ können. Das gab und gibt es wohl auch, aber Haydn und Mozart nutzten die Belcanto-Arien auch als Möglichkeit – wie einst G. F. Händel – Gedanken und Gefühle in höchster Intensität auszudrücken. Selbst G. Verdi blieb bei seinen ersten Opern der Belcanto-Tradition noch treu und baute sie dann immer mehr zu dramatischen Höhepunkten aus.
Mit Mozarts berühmtem „Exultate, jubilate“(KV 165), drei Arien des Sesto aus „La clemenza di Tito (KV 621): „Parto, parto“, „Se mai senti“ und „Deh, per questo istante solo“ sowie Rezitativ und Rondo „Ch’io mi condi di te … Non temer, amato bene“ zu „Idomeneo“ (KV 490) stellte die Bartoli einmal mehr ihre große Gesangskunst (mit und ohne Noten) unter Beweis, immer mit Engagement und großem Können und mit ihrer besonders schönen Stimme in den vielen Klangfarben. Sie beherrscht die große Kunst der weichen, fließenden und „perlenden“ Koloraturen, die keine Schwierigkeiten erkennen lassen und erst recht keine Spur von nur Routine.
Sie beschränkte sich nicht nur auf den Schöngesang im eigentlichen Sinne des Belcanto, sondern gestaltete die Arien auch entsprechend ihrem Inhalt, wobei ihr ihre ausdrucksfähige und sehr klangvolle Stimme, die sie wie selbstverständlich einsetzen kann, sehr zugutekommt. Sie beherrscht das feinste Piano und Pianissimo genauso wie den temperamentvollen, stürmischen Überschwang der Gefühle, dezente Triller und echte überschwängliche Koloraturen in geschmeidigen Übergängen und mit staunenswerter Kondition und frappierender Technik.
Begleitet wurde sie vom kammerorchesterbasel, dessen Klangfarben wunderbar mit der Singstimme harmonierten und das mit ebensolcher Geschmeidigkeit und einheitlichem Orchesterklang unter der inspirierenden Leitung des renommierten chinesischen Dirigenten Muhai Tang einen „Schönklangrausch“ hervorzauberte, der sich mit der Singstimme wie zu einem einheitlichen „Organismus“ verband.
In einer wohldurchdachten Programmkonzeption, bei der neben der exponierten Rolle der Sängerin auch die Qualitäten des Orchesters und seiner Solisten, geschickt mit einbezogen wurden, erklangen zwischen den glanzvollen Bravourarien reine Instrumentalstücke: von J. Haydn die „Sinfonie Nr. 52 c Moll, H, I:52, von dem seinerzeit europaweit berühmten und in Italien sehr geschätzten böhmischen Komponisten Josef Myslivecek (1737-1781), an dessen Musik der 19 Jahre jüngere Mozart vor allem „Feuer, Geist und Lebendigkeit“ schätzte, die Ouvertüre zu dessen Opera seria „Medonte“, von dem aus Ostböhmen stammenden und in Wien lebenden Johann Baptist Vanhal (1739-1813), der gemeinsam mit Mozart, Haydn und Carl Ditters von Dittersdorf Streichquartette spielte, das Finale aus seiner „Sinfonie g-Moll“ und von Joseph Martin Kraus (1756-1792), dem „Odenwälder Mozart“ mit fast den gleichen Lebensdaten wie Mozart, der am schwedischen Königshof Furore machte und erst jetzt, nach 250 Jahren, wirklich wiederentdeckt wird, die Ouverüre zum Schauspiel „Olympie“ von J. H. Kellgren (VB 29).
Mit seiner besonderen Klangschönheit und Kantabilität ließ auch das Orchester die „Herzen höher schlagen“. Vom beschaulich klangschönen bis zum schnellen, gerade noch an der Grenze des Machbaren (und vor allem vom Hörer erfassbaren) Tempo beherrschte das Orchester auch in den reinen Instrumentalstücken alle Nuancen von Klang und Gestaltung.
Einzelne Orchestermusiker hatten zudem Gelegenheit mit ihrem Können bei solistischen Auftritten hervorzutreten, so die ansprechende Solovioline (Konzertmeister Stefan Barneschi), das Solovioloncello mit seinem warmen Ton und die Soloklarinette, die dezent mit dem Mezzosopran der Bartoli wie eine zweite Singstimme korrespondierte.
Den glanzvollen Abschluss bildete J. Haydns Kantate „Berenice, che fai?“ (Hob XXIVa:10), für die sich die Bartoli zur optischen Untermalung in große Damenrobe „geworfen“ hatte, nachdem sie für die „männlichen Arien“ im samtenen Outfit der Rokokozeit erschienen war. Selbst bei den hier hochdramatischen, zugespitzten Ausbrüchen verlor ihre Stimme mit dem „gewissen Etwas“ nicht ihren schönen Klang.
Zur Freude aller Anwesenden sang sie als 1. Zugabe die bekannte und sehr beliebte Arie des Cherubino aus W. A. Mozarts „Le nozze di Figaro“, bei deren fließender Kantilene sich die Klangsinnlichkeit ihrer Stimme aufs Schönste entfaltete.
Bei ihrer 2. Zugabe, Mozarts „Halleluja“, das sie noch einmal mit perlenden, fließenden Koloraturen sang, wandte sie sich besonders an die optisch benachteiligten Zuhörer auf den obersten Emporen. Da war Jubel in ihrer Stimme – und Jubel im Publikum, der noch lange nachklang.
Ingrid Gerk