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DRESDEN: DIE DRESDNER MUSIKFESTSPIELE IM LETZTEN DRITTEL – TEIL III

11.06.2018 | Konzert/Liederabende

Dresden: DIE DRESDNER MUSIKFESTSPIELE IM LETZTEN DRITTEL – TEIL III 30.5. ‑ 10.6.2018

Mit dem ABSCHLUSSKONZERT ging der 41. Jahrgang der Dresdner Musikfestspiele am 10.6. im Kulturpalst nach 32 Tagen voller Musik, Tanz und optischer Eindrücke zu Ende, mit 67 Veranstaltungen und 56 000 Besuchern aus nah und fern der umfangreichste und erfolgreichste seit Bestehen, ein Anlass, in Retrospektive auf einige Highlights der letzten zwei Wochen im Rahmen der breit aufgefächerten Festspiele zurückzublicken, nicht nur hinsichtlich des genreübergreifenden Charakters zwischen den verschiedenen Musikrichtungen, sondern auch der Sprache und nicht zuletzt der Wissenschaft.

„EIN SOMMERNACHTSTRAUM“ mit KLAUS MARIA BRANDAUER und dem KLAVIERDUO GRAU SCHUMACHER im neuen Haus der Staatsoperette (30.5. Kraftwerk Mitte) bescherte eine erneute Begegnung mit Wiens Schauspiellegende Klaus Maria Brandauer. Er rezitierte William Shakespeares Text in der – für sich eingerichteten – Schlegel-Tieck-Übersetzung, nicht etwa szenisch oder halbszenisch, nein, nur mit einem Notenpult und einem alten Klavierhocker ausgestattet – den neueren hatten die beiden Pianisten Andreas Grau und Götz Schumacher. Mit umso stärkerer persönlicher mimischer und gestischer „Illustration“ setzte er Shakespeares Komödie mit den Irrungen und Wirrungen der Liebe und einer „heiteren Tragödie oder traurigen Komödie“, wie er es nannte,

als One-Man-Show humorvoll in Szene.

Er begann mit einem (lebensecht vorgetäuschten) „Schläfchen“ während der berühmten, ursprünglich von dem 17jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy für Klavier zu vier Händen komponierten, „Sommernachtstraum“-Ouvertüre, bei der das Klavierduo GrauSchumacher in Repetitor-Art das (spätere) Orchester ersetzte, denn „bei sanfter Musik schläft sich‘s am besten“. Später geruhte er während der, auf Wunsch des kunstbeflissenen Preußen-Königs Friedrich Wilhelm IV hinzukomponierten, mehrsätzigen, vom Klavierduo mehr untermalenden als künstlerisch gestalteten, Schauspielmusik (op. 61; MWV M 13) erneut zu ruhen und legte sich – zur Handlung passend – auf der Bühne „schlafen“ (selbst wenn es nicht so leicht war, danach wieder aufzustehen).

Brandauer bleibt eben Brandauer bei allem, was er tut, eine starke künstlerische Persönlichkeit. Er versteht noch die selten gewordene Kunst der leisen Töne, auch der leisesten, wobei ihm auch die gute Akustik des Saales zugutekam. Bei ihm ist Sprache noch eine Kunst, auch wenn seine Darstellung jetzt lässig, „schlottrig“, modern, eine Verbindung aus bester Theatertradition und modernem Gestus geworden ist und er – im Gegensatz zu den Pianisten, die mit ihm konform im „Dialog“ agierten – noch ein weißes Hemd und Tüchlein trug. Er verkörperte die Gestalten alle, die Bewohner des Zauberwaldes und die liebestollen und liebeskranken Menschen in ihrem „wilden“ Treiben als kuriose Individuen, jeden mit einem anderen eigensinnigen, skurrilen Charakter. „Wir sind aus solchem Stoff, aus dem die Träume sind“ hieß es bei Shakespeare und schließlich auch bei Brandauer, womit er am Ende die Besucher mit entsprechenden Gesten zum „Hinausschleichen“ bewegen wollte, was nicht so leicht war, denn sie hätten gern noch weiter zugehört.

Die Begegnung mit einer anderen starken Persönlichkeit brachte das KLAVIERRECITAL MARTIN STADTFELD (31.5. Palais im Großen Garten), der mit seinem sehr persönlich zusammengestellten Programm, sehr persönlich interpretiert, für kontroverse Meinungen sorgte. Mit seiner starken, zwingenden Individualität nahm er sich alle künstlerischen Freiheiten – fern aller (puristischen) „Regeln“. Er spielte auch die „Passacaglia d-Moll“ (BuxWV 161) von Dietrich Buxtehude auf dem großen Konzertflügel von Steinway & sons, ganz und gar nicht an „historischer Aufführungspraxis“ orientiert. Mit unorthodoxem Accelerando und Diminuendo und reichlich Pedalgebrauch steigerte er „belebend“ die Dynamik des Stückes aus der Zeit vor Bach, ließ es damit sehr modern erscheinen und (fast) nahtlos in die „Berceuse Des-Dur” (op. 57) von Frédéric Chopin übergehen und diese wiederum unmittelbar in die “Klaviersonate Nr. 2 (op. 79) von Stefan Heucke (* 1959).

Damit schlug er einen großen Bogen um vier Werke aus vier Jahrhunderten, deren kompositorische Ansätze, so unterschiedlich Entstehungszeit und Anlass auch sind, auf ostinaten, durchgängigen Themen beruhen und die ursprünglich auf sehr unterschiedlichen Tasteninstrumenten: Cembalo, Orgel oder Klavier gespielt wurden. Er schloss einen Kreis um die Komponisten vor und nach J. S. Bach mit ihren vielfältigen Beziehungen zueinander, denn „Bach ist „Anfang und Ende aller Musik“, Ende und Höhepunkt der vorangegangenen Epoche und Anfang (fast) aller nachfolgenden Komponisten bis in die Gegenwart. Als junger Mann orientierte sich Bach an Buxtehudes Kompositionen und unternahm sogar eine 400 km lange “Fußreise” nach Lübeck zu dessen Wirkungsstätte. Für den Romantiker Chopin war wiederum Bach mit seinen Formen und Strukturen Vorbild, seine „Berceuse” ähnelt einer Passacaglia, und Heuckes, 2016 von Stadtfeld uraufgeführte, „II. Klaviersonate“, deren vier Sätze ebenfalls ineinander übergehen und deshalb wie ein in sich geschlossenes Stück wirken, ist von dem „Bach“-Choral „Nun danket alle Gott“ durchzogen.

Stadtfelds pianistische Fähigkeiten sind unumstritten, seine Gestaltung nicht unbedingt. „Werktreue“ ist nicht sein Ziel, eher Virtuosität. Er kann ein ganzes Orchester auf dem Klavier imitieren und auch Stimmen und Stimmungen, wie u. a. ein realistisches “Glöckchengeplänkel” in Heuckes Sonate, das plötzlich durcheinandergerät, um den Übergang in unsere Zeit widerzuspiegeln.

Nach der Pause (hier fand tatsächlich eine statt) steigerte er sich in Bach „pur“, in dessen feingliedrige „Goldbergvariationen, die „Aria mit verschiedenen Veränderungen sowie verschiedenen Canones über die ersten acht Fundamentalnoten vorheriger Arie“, die er – in seiner eigenen Fassung – jung, dynamisch, frisch und unkonventionell und jede Variation mit einem anderen Charakter bot, auch ein wenig verfremdend und mitunter an (Spät‑)Romantik erinnernd, aber immer virtuos, die Melodien und melodischen Linien klar betonend und trotz Lautstärke und „kernigem“ Anschlag mit gutem Klang. Er scheint kein Freund von Pausen zu sein, denn auch hier spielte er die Variationen ohne (kleine) Pausen ineinander übergehend.

Es war ein sehr persönlicher Bach, den er für sich „weiterentwickelt“ und in die Jetztzeit „übersetzt“ hat, weit entfernt von den zahlreichen gegenwärtigen „Originalklang“-Bestrebungen, eher ein Gegenpol, eine eigene, sehr persönliche Interpretation, der man sich schwerlich entziehen konnte und ein ungewöhnlicher, außergewöhnlicher Klavierabend, vielleicht auch eine Möglichkeit, die traditionsreiche „Klassische Musik“ für die Zukunft „aufzubereiten“ und für ein jüngeres Publikum attraktiver zu machen, was nur einer wirklich großen Künstlerpersönlichkeit wie Stadtfeld gelingt – für Epigonen deshalb nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen. Als Zugabe wählte er einen Choral aus Bachs letzten Lebensjahren, in dem ein Thema aus den „Goldbergvariationen“ und dem „Musikalischem Opfer“ „gleichzeitig“ verarbeitet wird.

Mit großer Werktreue brachte das MALMÖ SYMFONIORKESTER die konzertante Oper „La Damnation de Faust“ des, von Goethes „Faust“ begeisterten, Hector Berlioz (1.5.) in der Semperoper zur Aufführung, wo sie schon einmal im Spielplan stand (Pr.: 2007). Der Dirigent Marc Soustrot war hier ebenfalls kein Unbekannter, er gab sein Debüt am Pult der Sächsischen Staatskapelle 2015 mit Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“. Trotz Unwetter, das den MDR Rundfunkchor auf seiner Fahrt von Leipzig nach Dresden „bei Gewitter und Sturm“ im Stau stehen und den Beginn der Aufführung verzögern ließ, wurde es ein großartiges Ereignis, an dem neben Chor und Orchester vor allem zwei Protagonisten den „Löwenanteil“ bestritten.

Sophie Koch verlieh der Marguerite mit ihrer klangvollen Stimme und überaus kultiviertem Gesang tief-innige Empfindung und große Ausstrahlung. Bryn Terfel setzte sofort eine „Teufels“-Physiognomie auf, die ihn, noch bevor er den ersten Ton gesungen hatte, sofort den Méphistophélès auch ohne Kostüm und Maske glauben ließ. Allein mit seiner Mimik und sparsamen Gestik, erst recht mit seiner profunden, klangreichen Stimme und voller Power war er auch ohne szenische Umsetzung ein Méphistophélès par excellence. Mit vollem Einsatz, Klarheit und „Durchschlagskraft“ auch und besonders in extremer, zugespitzter Situation mit Orchesterlautstärke, bei Bedarf aber auch mit klangvoll verhauchendem Piano und Pianissimo, z. B. wenn er Faust etwas zuflüsterte, gestaltete er seine Partie souverän und perfekt – eine Leistung der Superlative. Bei seiner Kraft und Kondition konnte er sich eine „teuflische“ Überlegenheit leisten und erst recht bei Fausts „Höllenfahrt“ mit einem wahrhaft teuflischen Lachen, das bald einem enttäuscht-„unterlegenen“ Gesicht bei Gretchens Erlösung wich.

 Als Gegenspieler bemühte sich Paul Groves in der umfangreichen Rolle des Faust um exakten Gesang und ebenfalls (etwas) Gestaltung, konnte da aber nicht mithalten. Seiner Tenorstimme mit etwas rauem Timbre fehlte der gute Klang und in der Höhe die Sicherheit. Er wirkte wesentlich zurückhaltender und verkörperte nicht unbedingt den ewig suchenden, nach Erfüllung und Vollendung strebenden Menschen. Mit guter Baritonstimme und entsprechender Rollengestaltung überzeugte hingegen Edwin Crossley-Mercer– als Brander, auch wenn er stellenweise von Chor und Orchester übertönt wurde.

Der successive eintreffende Chor machte bereits in kleiner Besetzung seinem guten Ruf alle Ehre und ließ seine schönen Stimmen hören, auch als reiner Männerchor. Schließlich doch noch vollständig, brachte er seine künstlerische Kompetenz zum Ausdruck. Der durchdringende, entsetzte Schrei des Frauenchores „Wehe, weh!“ bei Fausts Höllenfahrt „ging durch Mark und Bein“. Der relativ harte Klang des Malmö Symfoniorkesters konnte sich rasch wandeln und in feine, oft klagende Passagen mit schönen Solobläsern und gezupften Streichern bei der Umrahmung der seelenvollen Auftritte Gretchens alias Sophie Kochs übergehen. Unter der umsichtigen Leitung von Marc Soustrot, einem Experten für die französische Oper, kam die Schönheit der Musik zwischen Oratorium, Nummernoper und sinfonischer Dichtung hochdramatisch und lyrisch bis lieblich, mit versöhnenden Harfenklängen und einem sanften „Ave Maria“ zum Schluss voll zur Geltung und hinterließ einen unvergesslichen Eindruck.

Einen nachhaltigen Abend ganz anderer Art, mit Kammermusik in kleiner, aber hervorragender Besetzung, versprach der Auftritt von „Janine Jansen & Elisabeth Leonskaja“ (4.6.), der jedoch krankheitsbedingt abgesagt werden musste. Da sprangen der Geiger RENAUD CAPUÇON und der Pianist Guillaume Bellom kurzfristig ein und sorgten nicht nur für „Ersatz“, sondern auch für ein besonderes Ereignis. Das Wetter spielte auch hier einen kleinen Streich. Die langsam untergehende Sonne schien dem Pianisten voll „ins Angesicht“, so dass er die Noten nicht erkennen konnte, was bei der Begleitung der Zugaben vom Laptop nicht passieren konnte (da war die Sonne auch schon untergegangen).

 Die beiden Musiker behielten einen Teil des ursprünglich klassisch-romantischen Programms bei und brachten zwei Werke französischer Komponisten mit. Mit äußerst geschmeidigem Bogenstrich und einschmeichelnder Tongebung brachte Capuçon „Drei Romanzen für Violine und Klavier (op. 22) von Clara Schuman zu Gehör, drei kleine, feine, liebenswerte Kompositionen, die den Geist der Romantik atmen, zart besaitet und durchaus hörenswert, schöngeistig unterhaltsam im besten Sinn und auf hohem Niveau, entsprechend sanft gespielt. Mit besonders feiner Tongebung durch „Langen Strich“ spielte Capuçon auch die „Sonate für Klavier und Violine Nr. 7 c‑Moll“ von Ludwig van Beethoven und schließlich die „Sonate für Violine und Klavier g‑Moll“ von Claude Debussy sowie die „Sonate für Violine und Klavier A‑Dur“ von César Franck.

Es war ein Hörgenuss der besonderen Arte, feinsinnig, klangschön und sehr ansprechend. Bellom, sein Begleiter am Klavier, bevorzugte hingegen „Power“ mit frappierender Technik bei oft hartem Anschlag und gelegentlichem Pianissimo, allerdings nicht mit so viel Feingefühl wie Capuçon. Er war weniger ein einfühlsamer Begleiter als vielmehr ein selbstbewusster Mitgestalter, der den Klavierpart gelegentlich auch in den Vordergrund rückte. Trotzdem harmonierten beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Sie spannten große musikalische Bögen und waren ein sehr gut aufeinander eingespieltes „Team“ mit gleicher Werkauffassung und gleichem Verständnis für die unterschiedlichen Stücke und deren Entstehungszeit, auch bei ihren beiden Zugaben, der Méditation ‘Thais“ von Jules Massenet und dem „Liebesleid“ von Fritz Kreisler.

Hochspannend wurde es in der, rot, grün, blau und gelb illuminierten, Hochspannungshalle der TU Dresden (5.6.), wo sich Dirk Mürbe, Professor und Direktor der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Charité Berlin und ausgebildeter Sänger, die Sopranistin Carolina Ullrich von der Semperoper und Bariton Olaf Bär, vormals ebenfalls Semperoper, jetzt Hochschule für Musik Dresden, zusammenfanden, um das Thema SOUND & SCIENCE: „FASZINATION GESANG“ aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht an Hand von projizierten Bildern, computer-animierten Übersichten und Live-Gesang zu erörtern und die Besucher ein wenig hinter die Kulissen blicken zu lassen, „praktisch“ untermauert mit Konzert- und Opern-Arien sowie einem Kunstlied, gesungen von Carolina Ullrich.

Was bei guten Opernsängern so leicht klingt, ist schwer zu machen, je besser die Sänger, je leichter und müheloser ihr Gesang klingt, desto mühsamer ist der Weg dorthin, es sei denn, es handelt sich um ein Naturtalent. Sänger der Rock-, Pop-und Jazz-Szene haben es da viel einfacher, da übernimmt das Mikrofon so manches. Opernsänger haben es dagegen ungleich schwerer. Trotzdem wird der klassische Gesang (hoffentlich) erhalten bleiben, werden sich auch weiterhin junge Sängerinnen und Sänger den Mühen und Strapazen für guten „Live“-Opern- und Konzertgesang unterziehen.

Eine große Künstlerpersönlichkeit der „Live“-Szene, einer der ganz großen Pianisten der Gegenwart, RADU LUPU, „der schon zu Lebzeiten eine Legende auf seinem Instrument ist“,  hatte sich bei seinem KLAVIERREZITAL (6.6.) ganz auf Franz Schubert konzentriert, ein Programm, das ihm „wie auf den Leib geschneidert“ ist. Mit bezaubernd schönem Anschlag (“alter Schule“), bei dem der Flügel bis in den letzten Ton und auch noch im feinsten Pianissimo wirklich klingt, vertiefte er sich in Schuberts sechs „Moments musicaux“ (D 780) sowie die Sonaten „a‑Moll“ (D 784) und „A‑Dur“ (D 959), Kompositionen aus verschiedenen Abschnitten eines kurzen Komponistenlebens.

Radu Lupu spielte wie für sich in einem „Privatkonzert“ im kleinen Kreis und ließ uns im großen Konzertsaal zuhören. Er genoss Schuberts Musik und ließ uns mitgenießen. Trotz des gut empfundenen Tempos hatte man den Eindruck der „Entschleunigung“. Obwohl jeder Ton zu hören war, verloren sich doch manche Feinheiten trotz guter Akustik im großen Saal. Es war eine feinfühlige, sehr individuelle Interpretation eines altersweisen Pianisten, jeder Ton ganz Schubert und doch sehr persönlich. Mit einem „Impromptu“ als Zugabe – wie könnte es anders sein – auch von Franz Schubert -, bedankte er sich für den herzlichen Applaus.

Fast während der gesamten Zeit der Musikfestspiele schien über Dresden die Sonne, während es andernorts heftige Unwetter gab. „Der Himmel lacht, die Erde jubiliert“ (Bach-Kantate) kam es da in den Sinn, und so fand denn auch die „Winterreise“ (D 911) von Franz Schubert mit IAN BOSTRIDGE & JULIUS DRAKE bei hochsommerlichen Temperaturen im Palais im Großen Garten statt (7.6.). Warum muss es eigentlich immer die „Winterreise“ sein, der anspruchsvollste und schwierigste Liederzyklus, wo es doch so viele gute, aufführungswerte Lieder – auch von Franz Schubert – gibt. Da liegt der Vergleich mit den besten Interpretationen sehr nahe.

Denkt man an Schuberts Winterreise, fallen gleich Namen wie Theo Adam, Hermann Prey, Dietrich Fischer-Dieskau, Kurt Böhme und auch Brigitte Fassbaender, Rosemarie Lang usw. ein, die alle in besonderer Weise diesen Liederzyklus interpretiert haben. Wer das Glück hatte, bei Peter Schreiers letztem (dreimaligem) Liederabend im Wiener Musikverein dabei zu sein, denkt da unweigerlich an die unumstrittene Idealinterpretation der „schauerlichen Lieder“, wie sie Schubert nannte. Gerade bei der stimmlichen und ausdrucksmäßigen Umsetzung der Gedichte von Wilhelm Müller, aber auch hinsichtlich Artikulation und Textverständlichkeit und vor allem Gestaltung hat Schreier weltweit höchste Maßstäbe gesetzt, die nicht zu toppen und noch immer in Ohr und Gedächtnis sind, und an denen – auch in Dresden – noch immer jede Interpretation gemessen wird.

Es ist nicht wesentlich, ob die Lieder von einer Bariton-, Tenor- oder gar Alt- oder Mezzosopran-Stimme gesungen werden, vielleicht künftig auch von Countertenor oder Altist – wer weiß? Der Text wirkt allerdings nur bei einem Sänger wirklich glaubhaft. Nun gab es ein Wiedersehen mit dem bekannten britischen Tenor Ian Bostridge, der sich schon seit gut 30 Jahren auch theoretisch mit der Thematik dieser Lieder befasst, was er in seinem Buch: „Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz“, das im Anschluss an den Liederabend von Musikjournalist, Moderator und Autor Marek Kalina, Bostridge und Drake diskutiert wurde, zu Papier gebracht hat. Leider fand der Disput nur auf Englisch statt, was mehrere enttäuschte Besucher zum vorzeitigen Aufbruch bewog.

Bostridge hat offenbar eine ganz eigene Vorstellung von diesen beeindruckenden und geheimnisvollen Liedern. Er sang mehr rational als emotional, mehr mit Kopf und Verstand als Herz und Gefühl und mit bewusster Diktion, nahm Text und Gesang leicht und glich es mit Dramatik und Theatralik, mitunter auch leicht „lamoyant“ („Auf einen Totenacker …“) aus. Zu Beginn der „Ersten Abteilung“ sang er mit, in kurzen Abständen aufeinanderfolgendem, Crescendo und Decrescendo, von (sehr) hartem Forte bis zum weichen Piano, das nicht selten trotz guter Akustik im Raum verschwand. In der „Zweiten Abteilung“ wurde es dann emotionaler. Hier ging dann auch der bis dahin solide und mit gutem Ton am Flügel begleitende, Julius Drake aus sich heraus und gestaltete in beeindruckender Weise die Vor- und Zwischenspiele („Letzte Hoffnung“). Dass seine Begleitung oft kräftiger wirkte als der Gesang, lag nicht unbedingt am Flügel. Dennoch herrschte am Ende die Begeisterung der meisten Besucher vor.

Irgendwie scheint die „Klassische-“, „E-“Musik oder wie man sie sonst noch nennen will, zumindest nach Meinung der Experten, in die „Sackgasse“ geraten zu sein. Deshalb gibt es nicht wenig Versuche, die scheinbare „Erstarrung“ aufzubrechen, obwohl die herkömmliche Art noch immer am besten „ankommt“. Dem neuen Trend, Musik durch optische Eindrücke, Illustrationen, Installationen, Projektionen usw. aufzulockern, entsprach der Abend mit HÉLÈNE GRIMAUD & MAT HENNEK (7.6. Kulturpalast).

Die schon oft bei den Musikfestspielen gefeierte Hélène Grimaud präsentierte in diesem Jahr mit „Woodlands and Beyond …“ ein reichlich einstündiges Klavierrezital mit der Musik ihres Albums “Water“, Werke romantischer und impressionistischer Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Umrahmt vom „Wasserklavier“ aus „6 Encors“ von Luciano Berio zu Beginn und „La cathédrale engloutie“ von Claude Debussy am Schluss, spielte sie „Rain Tree Sketcvh II“ von Toru Takemitsu (1930-1996), die „Barcarole“ Nr. 5“ von Gabriel Fauré sowie die „Wasser-“Stücke „Jeux d‘eau“ (M.30) von Maurice Ravel, “Almería“ aus der Suite “Iberia“ von Isaac Albéniz, „Le jeux d’eaux à la villa d’Este“ aus „Années de pèlerinage von Franz Liszt und den 1. Satz aus „Im Nebel“ von Leos Janácek und dazwischen jeweils eine der 7 „Translations“ aus „Water“ des britisch-indischen Komponisten Nitin Sawhney (*1964), dessen Musik asiatische Klänge mit Einflüssen aus aller Welt verbindet.

Ergänzt und untermalt wurden die musikalischen Darbietungen von einer Bildinstallation des deutschen Fotografen und Partners Mat Hennek (*1969), der 15 Jahre lang von Berlin aus mit seinen Künstlerporträts die Bildästhetik in der Musikindustrie prägte und seit 2005 den Fokus auf die Kunstfotografie verlegt hat. Auf einer großformatigen LED-Wand hinter der Pianistin wurde im Zusammenklang der Künste mit speziellen Natur- und Landschaftsaufnahmen aus aller Welt zum Thema „Wasser“ zusätzlich ein visueller Raum von abstrakter, poetischer Qualität und damit eine außergewöhnliche Atmosphäre geschaffen.

 Alles „Wasser“ und Wald zu allen Jahreszeiten, kahl, ganz oder nur noch teilweise begrünt, sonnendurchflutet oder verschneit, frostig und eisig, in sehr plastischen Naturaufnahmen bis zu grafischem oder gemäldeähnlichem Charakter und in ständigem Farbwechsel, auch verfremdender Farben und dekorativen Mustern, ineinander übergehend, überblendet, verlaufend und mitunter mit kleinen „Accessoires“ wie zwei (Fracht-)Schiffen für die „Barcarole“ oder (weißen) Wölfen, den Lieblingstieren von Hélène Grimaud – Illusionen zwischen Meer und Fluss, Himmel und Erde und immer wieder Wasser, Wasser, Wasser …, irrwitzig wie ein Traum und doch nachvollziehbar und im Einklang mit der Musik, die bis auf einige dezente Einspielungen von Naturstimmen zu den Naturstimmungen (aus der „Tonkonserve“) fast „nonstop dahinplätscherte“, impressionistisch, fast meditativ und wie die projizierten Bilder ineinander übergehend – ein beeindruckendes „Miteinander“ von musikalischer und visueller Interpretation.

Infolge geteilter Aufmerksamkeit lenkten die starken optischen Eindrücke aber auch von den, von Hélène Grimaud meisterhaft interpretierten Kompositionen ab. Als das Thema visuell erschöpft war, war auch die Musik und der Abend zu Ende, optimistisch ausklingend mit der Ansicht eines sonnendurchfluteten Waldes, ähnlich einem Gemälde von Ferdinand von Rayski (1806-1890) mit der Faszination von (nur) Baumstämmen. Die Verschmelzung der Künste, die Umsetzung der Musik als fotografische Wiederspiegelung der Natur in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen zwischen Frost und Frust und optimistischen, „sonnigen“ Hoffnungen als Spiegel zwischen menschlichen Empfindungen und Verstand erinnerte an die Metamorphose von Sein und Vergehen aller Natur mit einem Augenzwinkern für das persönliche Anliegen der Pianistin, die „Faszination Wolf“.

Im traditionellen ABSCHLUSSKONZERT DES DRESDNER FESTSPIELORCHESTERS (10.6.) unter der Leitung von Ivor Bolton konzentrierte man sich in diesem Jahr auf historische Instrumente und mit dem Programm auf das berühmte Dreigestirn der Romantik. Mit Leidenschaft und Lautstärke, die eher unserer Zeit entsprachen, aber stellenweise auch warmem, weichem Klang spielte das Orchester die “Ouvertüre“ aus der Schauspielmusik zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, der das “Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a‑Moll (op. 102) von Johannes Brahms folgte, ein Werk der Versöhnung zwischen dem damals berühmten Geiger Joseph Joachim, der es aus der Taufe hob, und Brahms, der ihm sein Doppelkonzert als „achtsaitige Riesengeige“ empfahl.

Jetzt setzte sich Thomas Zehetmair, ein eher zurückhaltender Geiger, aber ein Meister der feinen, leisen, klangvollen Töne, für das Werk im Dialog mit Jan Vogler ein, der mit herzhafterem, singendem Ton auf seinem Stradivari-Cello von 1707 mit ihm korrespondierte. Vermutlich wurden auch im 19. Jahrhundert (schon aus ökonomischen Gründen) Musikinstrumente aus allen Zeiten verwendet. Die „historische“ Aufführung war vor allem hinsichtlich ihres Klangcharakters interessant, auch wenn gerade Brahms‘ Kompositionen auf modernen Instrumenten noch besser zur Geltung kommen.

Erst bei der „Sinfonie Nr. 3 Es‑Dur (op. 97), der „Rheinischen“ des älteren Robert Schumann wirkten die historischen Instrumente mit ihrem wärmeren Klang vorteilhaft. In großer Besetzung, mit moderner Auffassung und viel Temperament, aber auch schönen, sanften, singenden Klängen entfaltete sich eine „Mischung“ aus vielen Einflüssen. Im 3. Satz blühte das exakt, sehr sauber und mit gutem Klang spielende, Orchester auf, kamen Feinheiten und Klangfarben zur Geltung die man sonst vielleicht weniger wahrgenommen hätte. Im 4. Satz bestachen die sehr sauber und großartig auf ihren, auf 438 Hz heruntergestimmten, Instrumenten (gegenwärtig sind 440 Hz üblich, im 19. Jh. 435 Hz) musizierenden Bläser, wenn auch mit instrumentenbedingtem, leicht „blechernem“ Klang. Hier konnte man sich in Schumanns Zeit mit ihren Aufführungs-Gegebenheiten und klanglichen Möglichkeiten zurückversetzt fühlen. Im 5. Satz wurde es dann wieder sehr lebhaft mit Pauke und Bläsern – wie gegenwärtig üblich.

Das Publikum war dankbar und zufrieden, nicht zuletzt wegen des ansprechenden Programmes und wurde für seinen herzlichen Applaus mit einer Orchester-Zugabe erfreut, mit „Nimrod“, der 9. Variation aus den „Enigma-Variationen“ von Edward Elgar. Fragt man sich aber, ob der große Aufwand einer historischen Aufführungspraxis für Musik der Romantik wirklich lohnt, neigt man doch zu der Meinung, dass es zwar interessant ist, sich in die Klangwelt des 19. Jahrhundert zurückzuversetzen, aber irgendwie lugte (möglicherweise auch damals schon) die Hoffnung auf bessere Klangmöglichkeiten hervor. Alles hat seine Vor- und Nachteile, auf der einen Seite der wärmere, intimere Klang, der jedoch nur in kleineren Räumen wirklich zur Geltung kommt, und auf der anderen die meist „klangbremsende“ Wirkung der alten Instrumente. Nicht ohne Grund wurde zu allen Zeiten eine Weiterentwicklung der Instrumente angestrebt, vor allem hinsichtlich der immer größer werdenden Konzertsäle. Es gehörte aber schließlich auch zur Vielseitigkeit der Dresdner Musikfestspiele, solche „Experimente“ vorzustellen.

Die nächsten Musikfestspiele finden in Dresden vom 16.5.-16.6.2019 statt, aber sie werfen bereits ab 1.9. mit den PALASTKONZERTEN ihre Schatten voraus. Dann werden als erstes Hilary Hahn und das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck erwartet.

 Ingrid Gerk

 

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