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DORTMUND: PETER GRIMES. Premiere

10.04.2016 | Oper

DORTMUND: PETER GRIMNES           Premiere am 9. April 2016

Kurz vor Dortmund wurde „Peter Grimes“ auch in Saarbrücken herausgebracht, was sich zu erwähnen lohnt, weil Brigitte Fassbaender Regie führte. Etwas internationaler wurde im vergangenen Dezember die Produktion im Theater an der Wien wahrgenommen. Hier setzte Christof Loy markante inszenatorische Akzente. Jetzt folgt Dortmund, wo TILMAN KNABE für das Bühnengeschehen verantwortlich zeichnet. Mit seinem Namen verbindet sich eine Vielzahl provokanter Arbeiten. Sogar im sonst eher als theaterbieder eingestuften Trier hat er das Publikum mit seinem „Fidelio-Projekt“ auf die Palme gebracht. Nichts davon in Dortmund, wo sogar die Bühne von ANNIKA HALLER von einem detailsatten Realismus geprägt ist, wie man ihn heute anderswo kaum noch antrifft.

Mit seiner Ausstatterin (wie auch der Kostümgestalterin EVA-MAREIKE UHLIG) will Knabe offenkundig couleur locale so präzise wie vielschichtig ins Bild setzen. Obwohl sich die Interieur-Bilder mitunter nach hinten weiten, fehlen optische Andeutungen des im Libretto immer wieder beschworenen Meeres, eine Ausblendung, welche auch in Wien auffiel. Als wirklichen Mangel muss man dies in Dortmund indes nicht empfinden; Knabes klaustrophobisch gezeichnetes Milieu besitzt eine eigene starke Wirkung.

Annika Haller gelingt es, die doch sehr große Dortmunder Bühne eng und sogar muffig wirken zu lassen, selbst beim ausgelassenen Dorffest. Der bei dieser Gelegenheit massiv ausgelebte Sex setzt sich auf der hohen Hinterbühne noch lange fort, während an der Rampe eine wild emotionalisierte Menschenmeute zum Rachefeldzug gegen Peter Grimes aufruft. Da wird doppelte Moral triftig ins Bild gesetzt.

Überhaupt: Sexualität. Dass in nahezu allen Brittens Opern homoerotische Gefühle wurzeln, dürfte nicht strittig sein, wobei „Death in Venice“ als finales Bühnenwerk des Komponisten ein mutiges Coming Out bedeutet. In Wien hat Loy eine Art schwules Dreiecksverhältnis von Grimes, Kapitän Balstrode und dem reif gezeichneten Gehilfen John konstruiert. Eine ungewöhnliche, aber durchaus akzeptable Lesart. Knabe denkt mehr, möglicherweise gelenkt durch die in letzter Zeit aufgedeckten Geschehnisse im kirchlichen Bereich, in Richtung Pädophilie. Während der Sturmesnacht im 1. Akt taucht ein Alter Ego von Grimes auf, auf dessen nacktem Oberkörper die Buchstaben „Pädo…“ und die Aufforderung „Kill him“ zu lesen sind, ein Szene des makabren In-Sich-Blickens. Die immer wieder beschworene Zuneigung zur der Lehrerin Ellen Orford ist also ebenso Selbsttäuschung wie deren Glaube an eine Heirat mit Peter (eine andere stumme Zwischenszene).

Die Beziehung von Grimes zu seinem adoleszenten Gehilfen demonstriert eine stumme Szene zur Musik eines der Sea-Interludes. Liebevoll streicht er hier einem spielenden Knaben durchs Haar. Was mit seinem Schützling geschah, für dessen Verschwinden sich Grimes in der Gerichtsverhandlung des Prologs verantworten muss, bleibt im Dunkel. Den zweiten sieht man, wenn sich der Vorhang über der Fischerhütte hebt, blutüberströmt auf einem Bett liegen. Lustmord sicher nicht, eher ein unkontrollierbarer Anfall von Brutalität, wie er dem Charakter von Grimes eigen ist (er versetzt sogar Ellen einen Kinnhaken und tritt die Zusammengebrochene auch noch in den Bauch). Auf andere Weise gilt für diesen zerrissenen Menschen, was einst Heinrich von Kleist über sich äußerte: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Balstrodes Rat, den Freitod auf dem Meer zu suchen, ist nur logisch. Am Schluss sieht man Grimes auf der leeren, nebelverhangenen Bühne liegen, während der Chor aus den Rängen des Auditoriums sein „Requiem“ intoniert. Da ist man als Zuschauer den Tränen nahe.

Unwägbarkeiten und Unsicherheiten von menschlichem Leben und Zusammenleben vermittelt Tilman Knabes Inszenierung außerordentlich einprägsam und schmerzlich. In der Milieuschilderung arbeitet der Regisseur fantasievoll und dazu so vielgestaltig, dass man – wie es die zufällig aufgeschnappte Pausenäußerung einer Besucherin überaus treffend formulierte – gar nicht weiß wo hinsehen, um den ganzen Details folgen zu können. Anteil an dieser Wirkung hat nicht zum Geringsten der von MANUEL PUJOL einstudierte verstärkte Chor des Hauses, welcher sich auch darstellerisch voll ausleben darf.

Endlich ist zu der längst fälligen Lobeshymne für GABRIEL FELTZ zu kommen. Der Dortmunder GMD zerfetzt sich geradezu am Pult, gibt mit fulminanter, vibrierender Gestik seine präzisen Einsätze und sorgt gleichzeitig für ein düsteres Farbenspiel im PHILHARMONISCHEN ORCHESTER. Ein grandioser, elektrisierender Eindruck.

Prägnante Charaktere bei allen Sängern, auch denen kleinerer Rollen. JUDITH CHRIST gibt mit sattem Alt die puffmütterliche Auntie (ihre Nichten TAMARA WEIMERICH und ASHLEY THOURET sind auch figürlich zum Anbeißen), MARTINA DIKE zeigt aufgekratzt eine schräge, geifrige Mrs. Sedley, KARL-HEINZ LEHNER überfällt als Swallow mit seinem raumfüllenden Bass die Zuhörer sogleich in der Gerichtsszene. Typen von Format sind auch HANNES BROCK (Pfarrer Adams), MORGAN MOODY (Apotheker Keene), THOMAS GÜNZLER (Fuhrmann Hobson) und HANS-PETER FRINGS (Dr. Crabbe). FRITZ STEINBACHER prägt mit seinem klaren Tenor grandios den hyperaktiven Apotheker Boles. Als Balstrode wirkt SANGMIN LEE mit seinem kraftvollen Bariton wie ein Fels in der Brandung. EMILY NEWTON gibt eine anrührende, bei aller Verletzlichkeit aber auch starke Ellen; betörend ihre Höhenpiani.

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Peter Marsh. Copyright: Theater Dortmund/ Thomas Jauk

An seinem Stammhaus Frankfurt ist PETER MARSH vor allem für Comprimario-Partien (etwa Tanzmeister in „Ariadne“, Bucklaw in „Lucia“) und Charakterrollen mit buffoneskem Einschlag (Mime, Knusperhexe) zuständig. Seine Leistung als Peter Grimes sollte dort neue Aufmerksamkeit bewirken. Mit seinem italienisch timbrierten Tenor ist er stimmlich kein so „rauer“ Grimes-Typ wie beispielsweise ein John Vickers. Er wirkt milder, deswegen aber keineswegs weniger affektgeladen. Seine Stimme vermag leidenschaftlich und verzweifelt zu glühen.

Der außerordentliche, berechtigte Erfolg des Dortmunder „Peter Grimes“ sollte sich herumsprechen und in den kommenden Vorstellungen für ein besser ausgelastetes Haus als bei der Premiere sorgen.

Christoph Zimmermann

 

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