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DORTMUND: OTELLO – mit viel Blut

Opernhaus Dortmund Verdi „Otello“ – mit viel Blut

Besucht Premiere 26. März 2017 und Vorstellung am 15. April 2017

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Foto: Thomas Jauk Stage picture

Aus den über 3.000 Versen von Shakespeares Tragödie „Othello der Mohr von Venedig“ schuf der Komponist und Dramatiker Arrigo Boito ein die Handlung operntauglich zusammenfassendes Libretto, das Giuseppe Verdi zur Komposition des genialen „Dramma lirico“ in vier Akten „Otello“ inspirierte. Ein Bühnenwerk dieser drei Grössen – erfahren in theatralischer Wirkung – ist in jedem Sinne „fertig“, wie Regisseur Jens-Daniel Herzog nach der Premiere am Opernhaus Dortmund zu Recht bemerkte. Es bietet somit dem heutigen Regie-Theater-Spezialisten wenig Raum, die bekannte Handlung mit neuen Nuancen zu versehen. Herzog versuchte es trotzdem – die musikalische Leitung hatte GMD Gabriel Feltz.

Otello war hier ein Feldherr, der sich durch Erfolge im Krieg in die bessere Gesellschaft Venedigs hochgedient hatte und mit Berichten seiner Heldentaten Desdemona zur Frau gewinnen konnte. Äusserlich zeigten sich dies an einer kaum verheilten Wunde am Kopf – vielleicht auch neurologische Verletzung dabei – und durch blutige Narben am ganzen Körper unter der ihn den anderen Spitzenmilitärs als gleichrangig ausweisenden prächtigen Uniform. (Kostüme Sibylle Gädeke) Nach errungenem Sieg gab es keine Heldentaten mehr zu vollbringen. Ohne kriegerische Herausforderung schwand seine Selbstachtung und wurde er leicht zum Opfer von Jagos fadenscheinigen Lügenmärchen und Intrigen. Konsequent wurde weitgehend verzichtet auf romantische Darstellung der anfänglichen Liebe zwischen Otello und Desdemona, die blieb der Musik überlassen. Zu letzterer paßte auch nicht besonders, daß Otello während Desdemonas „Lied vom Weidenbaum“ und Gebet im letzten Akt am Boden liegend anwesend war, sie schon vor Beginn des folgenden „Duetts“ mit dem Dolche blutig verletzte, um sie dann zum Schluß mit selbigem ganz umzubringen – statt wie vorgeschrieben sie unblutig zu erwürgen, was zur blutigen Inszenierung auch nicht gepaßt hätte – auch Jago wurde einmal von Otello im Jähzorn blutig geschlagen.

Gefühlskälte strahlte auch aus der in gleissendem Weiß gehaltene Bühnenraum von Mathis Neidhardt, der durch Raumteiler in drei Räume aufgeteilt werden konnte, passend für die häufigen Szenen mit Verbergen und Belauern. Der rechte diente vor allem Jago zur Durchführung und Beobachtung seiner Intrigen. So blendend hell war die Beleuchtung, daß Besucher sich beschwerten, die Übertitel nicht alle lesen zu können (Licht Ralph Jürgens)

Während seines ersten Auftritts mußte Otello einen Wolf als Totemtier des besiegten „orgoglio musulmano“ (türkischen Stolzes) mit viel Blutverlust schlachten und seinen Kopf am Bühnenhintergrund aufhängen, wo er während der gesamten Vorstellung zu sehen war. Das erschwerte natürlich dem deshalb knieenden Sänger, nach der gewaltigen orchestralen Vorbereitung das triumphierende „Esultate“ entsprechend gewaltig in den Raum zu singen.

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Fot0: Thomas Jauk Stage picture

Über die notwendige Stimmkraft verfügte Lance Ryan, der den Otello vor seiner grossen Wagner-Karriere bereits 2005 in Münster sang. Allerdings – vielleicht auch Folge der Wagner-Karriere – geriet in den f-Passagen sein forcierter Gesang manchmal fast in die Nähe des Schreiens, passend vielleicht für die „sangue“ (Blut) .- Schreie im II. Aufzug, weniger für die vorangegangene Arie „Ora per sempre“ , wo er das Ende seines Ruhms voraussieht. Für leisen Gesang, etwa in der dritten Szene des III. Aufzugs (Adagio), wo Verdi auch für den Tenor pppp vorschreibt, war die Gefahr, daß die Stimme fahl und ausdruckslos klang. Dafür war es erschütternd, wie eindringlich er die Partie spielte, dabei etwa singend im Kriechen und im Liegen.

Wie man schauspielerisches Können selbst als teuflischer Intrigant mit grosser Gesangskultur verbinden kann, zeigte Sangmin Lee als Jago. Im Trinklied des I. Aktes gelangen Triller und abwärts gesungene chromatische Tonleitern. Für das „Credo“ hatte er trotz des hier manchmal zu lauten Orchesters die nötige Stimmkraft und traf den letzten ganz tiefen Ton. Daß er dabei in einen Spiegel schaute, war passend, weniger, daß er sanitärtechnisch darunter einen Spülstein anbringen mußte, in dem er dann seine nur im übertragenen Sinne blutigen Hände waschen konnte. Ganz großartig geriet die Erzählung von Cassios angeblichem Traum mit den ganz leisen Schlußversen – Verdi schreibt pppppp vor. Auch das höhnische schnelle parlando im Gespräch mit Cassio gelang vortrefflich. Teuflisch triumphierend und stimmlich gewaltig klang zum Schluß sein „Ecco il leone“ (Da liegt der Löwe ), den Fuß auf den am Boden liegenden Otello setzend..

Ausser kurzen verzweifelten Gefühlsausbrüchen beglückt Verdi die Partie der unglücklichen Desdemona immer mit innigen, Unschuld verratenden kantablen Melodien. Deshalb auch wohl im Gegensatz zur kriegerischen Männerwelt in weiß gekleidet war Emily Newton dafür eine großartige Interpretin. Dabei traf sie im III. Akt die hohen Spitzentöne und verfügte über genügend Stimmkraft, um das folgende Ensemble zu überstrahlen. Höhepunkt war im IV. Aufzug das „Lied vom Weidenbaum“ Allein das dreimalige jeweils leiser gesungene „salce“ (Weide) zum Schluß der Strophen mit dem folgenden Echo im Orchester klang zutiefst berührend, ebenso wie das „Ave Maria“, zuerst betend auf demselben Ton gesungen dann mit ausdrucksvollem Legato endend.

Die kleineren Partie waren passend besetzt wie etwa Marc Horus als Cassio. Wie immer treffsicher mit individuellem Timbre singend sorgte Fritz Steinbacher in der undankbaren Partie des Roderigo für die einzige wenn auch wohl unfreiwillige Komik, da er als Folge der Schlägerei im I. Akt den Rest des Abends mit einem Pflaster auf der Nase spielen mußte. Almerija Delic war trotz Alkohol-Problems zum Schluß eine fürsorgliche Emilia, Karl-Heinz Lehner hatte den mächtigen Bass für den Ludovico.

Für einen gewaltigen Gewitter-Beginn sorgten Chor und Extrachor ( Einstudierung (Manuel Pujol) aus dem Zuschauer-Raum heraus singend. Auch der folgende schwierige Feuer-Chor und die grosse Chorszene im III. Aufzug klappten ohne nennenswerte Unstimmigkeiten.

Dafür sorgte natürlich auch die überlegene musikalische Leitung durch GMD Gabriel Feltz. Auch das Orchester ließ er zum gewaltigen Anfang richtig knallen, wählte passende Tempi, konnte in breiter Dynamik das Orchester ganz zurückhaltend klingen lassen – als Beispiel sei genannt der Beginn des III. Aktes. Hier zeigte sich das Können der Dortmunder Philharmoniker, wie auch in den instrumentalen Soli. Erwähnt seien beispielhaft die Trompeten aus dem Zuschauerraum heraus geblasen, Mandoline und Gitarren auf der Bühne zum Lobgesang des Chors auf Desdemona im II. Aufzug, das Solo-Cello zu Beginn des Liebesduetts im I. Akt, das Englisch-Horn gefolgt von Flöten und Klarinetten zur Einleitung des „Lieds vom Weidenbaum“ oder das Solo der Kontrabässe vor Otellos Auftritt im IV. Akt, letzteres leider ohne Entsprechung auf der Bühne.

Auch dem Schluß nahm der Regisseur einen grossen Teil der versöhnenden Wirkung, indem etwa Jago nicht davon gejagt wurde, sondern vor der ersten Zuschauerreihe sich durch Grimassen und Gesten über den auf der Bühne leidenden Otello lustig machte und erst kurz vor dessen letztem „un altro baccio“ (einen letzten Kuß) verschwand..

Auch das führte sicher dazu, daß es in der gut verkauften Premiere für die Regie einige Buhs gab, dafür umso mehr und langen Beifall für die Sänger, allen voran Jago und Emilia, auch Otello, besonders auch für den Dirigenten, Chor und Orchester. Letzteres wiederholte sich in der schlechter verkauften Karsamstags-Aufführung, wenn auch nicht lange andauernd.

Sigi Brockmann

16. April 2017 (Ostersonntag)