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DORTMUND/ Opernhaus: PETER GRIMES – Mrs. Sedley hatte doch recht!

16.05.2016 | Oper

Dortmund Opernhaus   Peter Grimes – Mrs. Sedley hatte doch Recht!

 Besucht Premiere 9. April und Aufführung 15. Mai 2016

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Foto: Thomas M. Jauk Stage picture

 In Aufführungen von Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ auf den Text von Montagu Slater wird die Witwe Mrs. Sedley häufig als eine drogenabhängige Hobby-Miss-Marple dargestellt, die mit ihren Detektiv-Gehabe etwas Komik in die traurige Geschichte bringen soll. Ganz anders stellte Tilman Knabe dies in seiner Inszenierung am Opernhaus Dortmund  dar. Mit ihrem wiederholten Verdacht  – zusammengefaßt in „Murder most foul it is“,  –  rechthaberisch mit klangvollem Mezzo gesungen  von Martina Dike – sprach sie aus, was die Zuschauer im zweiten Akt in Grimes´ Hütte  sahen.  Grimes hatte seinen Lehrjungen ermordet  – wie frühere wohl auch – mit dem Messer, mit dem er im ersten Akt Fische zerteilte, und entsorgte ihn dann  im Meer, der Schrei des schon toten Jungen war trotzdem zu hören.  Im Gegensatz zur Oper, die das offen lässt, wurde Grimes so von Anfang an als gewaltbereiter  wohl auch pädophiler Psychopath dargestellt, wie heute üblich überdeutlich. So trat in der Kneipenszene ein Doppelgänger  mit Tattoo „Kill him“ auf.  Wenn alle Vorverurteilungen durch  den Haßprediger Bob Boles (mit passend hell timbriertem  grellem Tenor Fritz Steinbacher) und die Dorfbewohner von Anfang an berechtigt waren, wirkte sein Schicksal weniger tragisch, als wenn  diese ihn  dadurch erst in den Wahnsinn getrieben hätten, dass sie ihn als „anders“ ablehnten.

Die Bewohner dieses „Borough“, dieses Fischerdorfs am Meer, waren weniger hart arbeitende Fischer und ihre Honoratioren weniger Anwalt, Pfarrer oder Apotheker, sondern allesamt  ein   heruntergekommener rauf-, sex- und alkoholsüchtiger Haufen. Dieser trieb sich sich vorwiegend herum in der Kneipe „The Boar“ (Der Eber) und dem trostlosen Platz zwischen der Kneipe und dem wohl ironisch so genannten Kiosk „Ocean View“. Den Platz schloss nach hinten ab eine Art Deich, hinter dem man Meer ahnen konnte (Bühne Annika Haller). Für den Eingang zur Kirche war da kein Platz, der aus ihr ertönende Chor wurde ohne Erwähnung in den Übertiteln aus dem „off“ gesungen.

Die Kostüme von Eva-Mareike Uhlig passten auch nicht zu Fischern,  wohl aber zu dieser Freizeit-Gesellschaft. Wie wir wissen, kann aus Langeweile  Gewalt entstehen, insofern passten sie in etwa doch. Auf häufig umgeworfene Stühle oder beim Ball in der Kneipe auf die dreieckigen so lustigen Hütchen wurde nicht verzichtet. Wenn nach diesem Ball die Leute sich verabschiedet hatten, trugen sie maskiert zurückgekehrt in einer alptraumartigen Szene die aufgebahrte Leiche eines Jungen herein und schändeten diese mit Messer und Gabel, eine eklige  und überflüssige Szene, zu der  Pfarrer Adams (wie immer großartig Ks. Hannes Brock) dann sang, er wolle seine Rosen wässern. Dies wurde auch  durch Mrs. Sedleys  Bemerkung „So many guilty ghosts .. trouble my midnight thoughts“ (Viele schuldige Geister beunruhigen meine nächtlichen Gedanken ) kaum gerechtfertigt.

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Foto: Thomas M. Jauk Stage picture

Über diese vielleicht einseitig grausame Auffassung der Oper durch die Regie wurde bereits viel und auch begeistert  berichtet. Konsequent und eindringlich haben Regisseur, Solisten und Chor sie  mit genauer Charakterisierung aller einzelnen Personen verwirklicht. Wem dies zu extrem scheint, sollte den Rat einer begeisterten Besucherin  der Hauptprobe befolgen „Werde Peter Grimes noch einmal hören“ ( Internet der Oper Dortmund  bei „Peter Grimes“ unter Kommentare )

Musikalisch war die Aufführung nämlich äusserst gelungen, wie üblich in der späteren Vorstellung in Einzelheiten noch besser als in der Premiere.

In der Titelpartie mit dem grossen Stimmumfang überzeugte  ganz großartig Peter Marsh. Er verfügte über genügend Stimmkraft, sich gegenüber Chor und Orchester durchzusetzen, sang aber auch im p oder pp  und ohne Orchester lyrisches Legato,  manchmal  in wohlklingendem Gegensatz zu seinem gewalttätigen Charakter. Auch bei grossen Intervallsprüngen traf er die Spitzentöne, konnte aber auch lange Sätze auf demselben Ton singen. Unvergesslich bleibt sein letzter koloraturenähnlicher Ausruf „Peter Grimes“ ff vom hohen a   bis hin zum ppp auf dem tiefen es.

Wie in allen ihren Rollen beeindruckte Emily Newton als Grimes´angebetete Ellen Orford. Auch sie konnte sich stimmlich ohne Schwierigkeit gegen das Orchester durchsetzen, verfügte aber auch über perfektes Legato im p, beherrschte den grossen Tonumfang ihrer Partie von zwei Oktaven bis zu den tiefen Tönen. Ganz ergreifend gelangen ihr das einseitige Gespäch mit dem Lehrjungen am Sonntagmorgen und besonders die resignierende Betrachtung der Stickerei auf dem jetzt blutigen Halstuchs des Jungen – früher Traum vom besseren Leben, jetzt Beweis für Peters Schuld

Auch alle anderen Partien wurden ausnahmslos bestens gesungen, Erwähnt seien Sangmin Lee als kettenrauchender wie ein Hells Angel gekleideter Balstrode, der für Peter und Ellen aber auch warmherzige Töne fand oder Morgan Moody als Apotheker Keene. Judith Christ trat als Wirtin Auntie aufreizend lässig auf, konnte  ihre tiefe Altstimme (Contralto) rau aber auch mitfühlend färben. Erotisch und keck waren ihre beiden Nichten (Tamara Weimerich und Ashley Thouret.) erfreulich anzusehen. Sie  zwitscherten in der Ballszene bis hin zum hohen b, daß man sich zu zweit besser den Zudringlichkeiten der Männer erwehren könnte und zeigten das recht deutlich gegenüber Bürgermeister Swallow. Diesen sang mit mächtiger Stimme und angesichts der grossen Stimmintervalle seiner Partie treffsicher Karl Heinz Lehner, vor allem gleich zu Beginn der Oper in der Gerichtsszene. 

Wie immer müssen Chor und Extrachor, einstudiert von Manuel Pujol, sehr gelobt werden. Oft auf engem Raum zusammengedrängt meisterten sie die teilweise komplizierten kontrapunktischen Aufgaben, auch im für Sänger schwierigen Englisch – man singe einmal schnell und hintereinander „Grimes is at his exercise“. Solistische Aufgaben meisterten einige Chorsänger überzeugend.

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Foto: Thomas M. Jauk Stage picture

Daß Chor und Solisten die grossen Ensembles so gut bewältigten, lag natürlich auch und vor allem an der überlegenen musikalischen Leitung durch Motonori Kobayashi. die er von GMD Feltz übernommen hatte. Hervorgehoben seien die rhythmisch vertrackte Szene mit dem  Lied „Old Joe has gone fishing“ oder das mehrstimmige Staccato im III. Akt, bei dem nicht nur Grimes verflucht wurde, sondern dazu auch noch eine  ihn darstellende Puppe  erdolcht und verbrannt werden mußte.

Die berühmten sechs Zwischenspiele waren eine Freude für den Hörer, wurden wie heute leider üblich zum Teil bebildert Das  zweite, das den Sturm schildert, spielte das Orchester  sehr rasch und pointiert, das fünfte, das Mondlicht bedeuten kann, zart und zurückhaltend. Zum musikalischen Höhepunkt, der Passacaglia mit dem Thema des Knaben als Bratschensolo, schritt Dr. Crabbe (Hans Peter Frings) mit Hilfe seines Rollators über die Bühne, wohl als Hinweis darauf, daß der historische Träger dieses Namens mit seiner Erzählung den Stoff zur Oper geliefert hat.  Die Qualität des Orchesters zeigte sich vor allem in den zahlreichen Soli, besonders der Bläser, aber auch etwa der ersten Geige zur Begleitung von Ellens Gesang oder der drei Soloviolinen im Zwischenspiel vor Grimes´ Wahnsinn.

Unbeeindruckt vom Schicksal des einzelnen gehen die Küstenbewohner ihrem Beruf nach und unbeeindruckt von deren Schicksal wechselt das Meer zwischen Ebbe und Flut. Dieser gewaltige Schlußchor ertönte dank Chor und Extrachor machtvoll von den dafür freigehaltenen Rängen durch das Opernhaus, während auf der Bühne der tote Grimes einsam zurückblieb – ein starkes Schlußbild!

Bei der Vorstellung am Pfingstsonntag war das Haus verständlicherweise nicht so gut besucht wie bei der Premiere. Damals gab es Bravos und langen Applaus für alle Mitwirkenden, das gab es jetzt auch, besonders für die Sänger der beiden Hauptpartien. Nach der Vorstellung meinten zwei Besucher, das sei doch ein „prima Tatort – Ersatz“ gewesen- kann es in deutschen  Landen ein höheres Lob geben? Leider folgt nur noch eine Vorstellung der sehens- und besonders hörenswerten Aufführung – am 12. Juni 2016.

 Sigi Brockmann 16. Mai 2016

 

 

 

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