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DORTMUND/ Konzerthaus: I CAPULETI E I MONTECCHI. Konzertant

07.06.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Dortmund Klangvokal Musikfestival: Konzerthaus 6. Juni 2014 I Capuleti e i Montecchi  konzertant

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Copyright: B. Kirschbaum

 Wieder findet in Dortmund das Klangvokal – Musikfestival statt. An  vielen Orten wird auf  viele Weise gesungen, Jazz und Pop, „Weltmusik“ und vor allem Chormusik für Alt und Jung, für Laien und Professionelle,  draussen und drinnen, natürlich auch Oper: Monteverdis „Orfeo“ und ein Oratorium über die Sintflut von Falvetti in der Reinoldikirche, Cavallis „Calisto“ im Orchesterzentrum, italienische Operngala im Westfalenpark u.s.w. Ein Höhepunkt war wie in jedem Jahr die konzertante Aufführung einer  selten aufgeführten Oper im Konzerthaus mit WDR Rundfunk-chor und -orchester, in diesem Jahr von   Vincenzo Bellini die „tragedia lirica“ „I Capuleti e i Montecchi“ auf einen Text von Felice Romani unter der Leitung von Friedrich Haider. Es ist die traurige Geschichte von Romeo und Julia – hier benannt nach den beiden verfeindeten Veroneser Familien, zu denen jeweils einer der beiden Liebenden gehörte. Shakespeare war  um 1830 in Italien weitgehend  unbekannt, Quelle für die Oper war u.a. eine Version von Luigi da Porto (1530), auf die sich auch Shakespeare bezog. Wenn die Oper beginnt, lieben die beiden sich schon. Im ersten Teil versucht Romeo Julia zur Flucht zu überreden, diese ist aus familiärer Rücksicht unentschlossen. Der zweite Teil folgt dann der bekannten Geschichte mit Julias Scheintod und daraus folgendem Freitod Romeos und Liebestod Julias.  Weitere Besonderheit ist, daß Romeo von einer Mezzosopranistin gesungen wird, angeblich, weil Bellini zur Uraufführung  1830 am Fenice in Venedig keinen passenden Tenor zur Verfügung hatte, wohl aber eine erfolgreiche Mezzosopranistin – Giuditta Grisi. Die Rolle wurde von berühmten Sängerinnen interpretiert, darunter der Malibran und in Deutschland der von Wagner angebeteten Wilhelmine Schröder-Devrient.

Wie das mit Sängern so passieren kann, letztes Jahr mußte bei „Ernani“ kurzfristig ein Ersatz-Tenor für die Titelpartie gefunden werden, dieses Jahr ging es ähnlich mit der Sängerin des Romeo. Vivica Genaux sagte kurzfristig ab. Die zuletzt vor allem in Berlin auftretende slowakische Mezzosopranistin Jana Kurucová sang als Rollendebüt die Partie und wurde damit gleich zum Star des Abends. Stimmlich beherrschte sie alle Nuancen, die langen Cantabile-Bögen, so z.B. im 9/8 Takt der ersten Arie mit den folgenden Koloraturen der Cabaletta, den grossen Stimmumfang der Partie von fast zwei Oktaven ohne hörbaren Registerwechsel und das ganz zarte p bei der Klage an Giulettas Grab. Dies alles war ihr Mittel, um Romeos wechselnde Stimmungen zu zeigen, verführerisch, wenn es galt, Giuletta zur Flucht zu überreden, jugendlich-draufgängerisch gegenüber dem Rivalen Tebaldo und seinem Gefolge, erschütternd traurig über den vermeintlichen Tod Giulettas. Dies machte sie im passenden Hosenanzug auch durch wenige Gesten deutlich, ihr letztes gehauchtes „Gulie“ war erschütternd.

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Copyright: B. Kirschbaum

Die geliebte Giuletta wurde von Elena Gorshunova gesungen.. Auch sie vermochte die Legato-Bögen mit genau getroffenen Koloraturen zu erweitern, beherrschte den Tonumfang bis zum hohen c, sang vor allem wunderbar innig, als sie ihren Vater Capellio vor dem vermeintlichen Tod um Verzeihung bat. Ihr helles Timbre unterschied sich hörbar vom Mezzo des Romeo, was angesichts des ähnlichen Stimmumfang der Partien wichtig ist.  So wurden männliche und weibliche Partie hörbar.

Romeos Rivale Tebaldo, nun doch ein Tenor, wurde in bester Bellini-Tradition von Giorgio Berrugi gesungen, ebenfalls ein Rollendebüt. Seine einzige grosse Szene, die Cavatine im I. Akt, sang er wirklich „marziale“ mit gut getroffenen Koloraturen bis zum hohen C. Hinreissend kämpferisch gelang auch das Duett der beiden Kampfhähne um Giulietta im II. Akt mit dem abrupten Stimmungswechsel, wenn beide vom Tod Giulettas erfahren.

Der Bruder Lawrence bei Shakespeare heißt hier Lorenzo und ist Arzt, plausibel, daß der das Mittel für den Scheintod kennt. Gesungen wurde er mit mächtigem, voluminösen Baß vom Ensemblemitglied der Dortmunder Oper Wenwei Zhang, auch ein Rollendebüt. Er sang aber schon die entsprechende Partie in „Zaira“, einer erfolglosen Oper Bellinis, aus der dieser vieles für die späteren „Capuleti“ übernommen hat. Auch schien ihm Italienisch als Gesangssprache besser zu liegen als Deutsch. Giulettas bösen Vater und Anführer der Capulets Capellio sang ebenfalls als Rollendebüt Thomas Laske.  Für diesen selbstgerechten unbeugsamen Charakter hätte man sich etwas mehr bösartige Schärfe in der Baßstimme gewünscht.

Der Rundfunkchor des WDR war präzise einstudiert von Robert Blank.  Fast nur als Herrenchor sang er kriegerisch einmal die Capuleti und dann als Romeos Vertraute die Montecchi, als letztere auch ergreifend p in der  Szene in der Grabkammer.

Friedrich Haider leitete temperamentvoll und überlegen das musikalische Geschehen, nahm gleich in der einleitenden „Sinfonia“ und auch später zügiges Tempo mit italienischem Brio, setzte passend Ritardandi und begleitete einfühlsam die Sänger. So wurde das Quintett am Ende des I. Aktes schliessend mit der strahlenden, unisono gesungenen Kantilene der beiden Liebenden über Ensemble und Chor der Feinde ein musikalischer Höhepunkt. Das WDR Rundfunkorchester führte seine Anregungen präzise aus. Sein Solisten glänzten in den Vorspielen der Arien, genannt sei die Hornistin  – auch eine Einspringerin – im Vorspiel zu Giulettas Romanze, die Harfenistin in der Begleitung dieser Romanze, das Solo-Cello zu Beginn des II. Aktes und die Holzbläser in der Szene der Grabkammer.

Das Publikum im vollbesetzten Konzerthaus spendete Zwischenapplaus nach Arien von Romeo, Julia und Tebaldo und vor der Pause. Daß die Aufführung beeindruckte, zeigte sich auch dadurch, daß nach dem tragischen Schluß es etwas dauerte, bis Applaus und Bravos zur vollen Stärke anschwollen.

 

Sigi Brockmann 8. Juni 2014

 

Fotos S. Spitzner (Gesamtansicht) und B. Kirschbaum   

 

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