DORTMUND / KONZERTHAUS: DORTMUNDER PHILHARMONIKER mit ANDREAS BOYDE und Clara Schumanns Klavierkonzert
am 17.4.2018 (Werner Häußner)
Am 13. September 2019 wird die musikalische Welt ein ungewöhnliches Datum feiern können, den 200. Geburtstag von Clara Schumann, geborene Wieck. Als Klaviervirtuosin wie als Komponistin kann sie eine unübersehbare Größe in der Musik des 19. Jahrhunderts für sich beanspruchen. Und sie ist eine Frau, die durch ihr Lebensschicksal, durch ihre Ehe mit Robert Schumann, durch die vielfältigen Konflikte zwischen herkömmlichem Rollenbild und moderner Emanzipation, in der Spannung zwischen liebender Gattin und arrivierter Künstlerin auch für die Gesellschaftsgeschichte bedeutsam ist.
Die Dortmunder Philharmoniker nahmen das Jubiläum schon vorweg und setzten das einzige komplette Klavierkonzert Clara Schumanns, ihr Opus 7 in a-Moll, ins Zentrum ihres siebten Sinfoniekonzerts. „weit_sicht“, so das typographisch etwas künstlich aufgepeppte Motto, ist nicht nur im Blick auf 2019 berechtigt, sondern auch in Bezug auf die Musik Schumanns. Das Konzert wirkt alles andere als bloß im damaligen Musik-Mainstream mitschwimmend: Die gerade mal 16jährige Clara Wieck zeigt sich auf Augenhöhe mit Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, dem Dirigenten der Leipziger Uraufführung, mit ihrem künftigen Gatten Robert Schumann oder mit komponierenden Klaviervirtuosen wie John Field. Weitsichtige Musik also, die erahnen lässt, wohin es Clara hätte bringen können, wenn sie nicht „eine Dame“ gewesen wäre und ihr Robert Schumann nicht das Komponieren ziemlich radikal ausgetrieben hätte.
Der Pianist Andreas Boyde öffnet also im Konzerthaus eine musikalische Welt, die geschickt zwischen brillantem Virtuosentum, klassischer kompositorischer Dichte und bewegenden romantischen Anflügen pendelt. Boyde sieht das Stück offenbar weniger in die Farbe sehnsuchtsvoller Romantik getaucht. Die kraftvollen Triolen-Akkorde des Beginns werden nicht durch das glitzernde Leggiero der in die Virtuosenhand geschriebenen Zweiunddreißigstel kontrastiert. Auch die weit ausschwingenden Melodien stellt Boyde eher sachlich fest als sich ihrem schwärmerischen Sog zu überlassen. Aber das „risoluto“ im ersten Satz nimmt er beim Wort, auch den geforderten markanten Anschlag setzt er um.
Die Crescendo-Decrescendo-Angaben, die scheinbares bloßes Spielwerk beleben sollen, gehen oft unter. Das liegt wohl auch an Dirigent Cristian Mandeal, den das „Maestoso“ des ersten Satzes zu satt-fülligem Orchesterklang verleitet, der auch ein zähes Tempo wählt, das keine Innenspannung aufkommen lässt. Dem Mittelsatz fehlt die Innerlichkeit, da ist der distanzierende Zugriff zu weit getrieben. Leider fehlt eine Angabe zu der sensiblen Solo-Cellistin – war es Franziska Batzdorf? Und die „Polacca“ im Schlusssatz hätte rhythmischen Biss durchaus vertragen. Man wird, so ist zu hoffen, das Klavierkonzert Clara Schumanns in ihrem Jubiläumsjahr öfter hören und dann vergleichen können.
Passend eröffneten die Philharmoniker ihr Konzert mit Carl Maria von Webers nicht eben häufig gespieltem Konzertstück f-Moll op. 79, ein Werk, das sich eher dem erzählend-variativen Fortspinnen als einer materialorientiert-thematischen Ausarbeitung widmet und das damit für 1821 „modern“ war. Wieder fällt auf, dass die Philharmoniker ihren Klang kaum plastisch staffeln und das ölige Tempo die Wellen spannungsfördernder Agogik glättet.
Boyde realisiert am Flügel die verhaltene Delikatesse, die an den irischen Virtuosen John Field erinnert, auch die innere Dynamik seines Parts, vernachlässigt aber das Cantabile und scheut sich davor, auch mal leuchtende Brillanz um ihrer selbst willen zu zeigen. Ein schönes Fagott-Solo und die weich rhythmisierenden Streicher sprechen für die Philharmoniker und ihre Sensibilität für den klanglichen Hintergrund von Webers Musik.
Die Erste Symphonie Johannes Brahms‘ war ebenfalls eine sinnige Wahl, war der gebürtige Hamburger doch offenbar sehr verliebt in Clara Schumann, lebte zeitweise in einer Wohnung mit ihr und ihrer Familie und verkehrte mit ihr, wie viele Briefe bezeugen, als intimer Seelenfreund fördernd, stützend und wohl auch tröstend. Cristian Mandeal, kurzfristig für den erkrankten Leo McFall eingesprungen, hatte wohl kaum Zeit, das komplexe Werk auszuarbeiten: So blieb es bei einem soliden Dirigat eines erfahrenen Routiniers, ohne persönlich Note, wenn man das ungestaltete Tempo nicht als solche nehmen möchte. Fülliger, pastoser Klang, saftig ausgebreitet, ohne innere Differenzierung, orientiert an den vordergründigen Melodiestimmen, wenig Tiefenstruktur und Trennschärfe: Ein Brahms, der auch in der Behandlung etwa von Bläserstellen im dritten Satz oder den breit ausgekosteten Hörner – die Philharmoniker sind voll bei der Sache – ein wenig „old fashioned“ wirkt. Immerhin gibt’s eine grandiose Steigerung im Finale – der Beifall war gesichert!
Werner Häußner