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DORTMUND: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL. Premiere

18.05.2014 | KRITIKEN, Oper

Dortmund: Die Entführung aus dem SeraiL                Premiere am 17. Mai 2014

 Vor drei Wochen bekam JENS-DANIEL HERZOG für seine szenische Adaption von Joseph Haydns „Jahreszeiten“ (Dortmunder Originalinszenierung) vom Publikum eine heftige Abfuhr erteilt, nach der Premiere von Mozarts „Entführung“ (Übernahme aus Mannheim, 2004) wurde er wieder ans Herz gedrückt. Eigentlich seltsam, denn er mutet dem Zuschauer Einiges an Drastik zu. Dazu gehört die Selbsttötung von Bassa Selim per Pistole und der als Rachefeldzug umgedeutete Schlussgesang, angeführt von einem cholerischen Osmin mit Knarre in der Hand.

 Wie viel sich bei Herzogs Regie von damals bis heute im Einzelnen verändert hat, tut wenig zur Sache; für Dortmund ist sie neu. In besonderem Falle durch die Besetzung des Bassa mit SERDAR SOMUNCO, einem Türken in Deutschland und hier als Allround-Theaterblut erfolgreich. Die Andeutung, er würde in seiner Eigenschaft als Kabarettist möglicherweise mit routinierter Improvisation seinen Sprechpart kritisch akzentuieren, realisiert sich freilich kaum. Kurz geht der Darsteller darauf ein, dass sich die Türken hierzulande nicht angemessen verstanden fühlen (Herzog verlegt die Handlung natürlich ins Heute) und ruft den verängstigten Liebespaaren ein barsches „Haut ab“ zu. Danach wie oben beschrieben. Es ist ehrenwert vom Dortmunder Opernintendanten, dass er Mozarts „Türkenoper“, deren exotische Färbung einer euphorischen Modeempfindung von damals entspringt, sozialkritisch aktuell erden möchte. Aber das Singspiel macht diesen Transfer nur bedingt mit.

 Das “Serail“ hat Ausstatter MATHIS NEIDHARDT zu einem heutigen Hinterhof eines wie auch immer gearteten Unternehmens umfunktioniert, in dem Selim als offenbar als vielgeliebter Arbeitgeber fungiert (Chor „Singt dem großen Bassa Lieder“). In dem Betrieb sind auch Konstanze (Herzog: „arbeitet in Selims Büro mit“) und Blonde („bei Osmin angestellt“ wie auch Pedrillo) tätig. Pardon: wir kennen deutsch-türkische Arbeitsverhältnisse nicht so genau, hegen aber vermutlich mit einiger Berechtigung Zweifel, dass deutsche Arbeitnehmer bei Schuldverhalten die Todesstrafe zu gewärtigen haben. In diesem Zusammenhang wäre auch – auf mehr privater Ebene – die Gestaltung der „Martern-Arie“ anzusprechen. Eine Büroangestellte wird vom Chef so stark bedrängt, dass sie um Leib und Leben fürchten muss? Dabei hat Herzog diese Szene durchaus spannungsreich und beklemmend inszeniert. Die „Martern“ werden Konstanze nicht nur angedroht, sie fügt sie sich verzweifelt mit dem Messer selber zu. Der Regisseur lässt hier (noch einmal) deutlich werden, dass Konstanze/Selim eine erotisch tiefgehende Beziehung  verbindet, von der Belmonte ausgegrenzt ist. Das Hin-und-Her-Gerissen-Sein Konstanzes zwischen den beiden Männern wird insgesamt aber mehr angedeutet als psychologisch geschärft ins Bild gesetzt.

 Eine andere Sache gelingt Herzog dann wieder gut und sogar verstörend. Am Ende des Trink-Duetts (für sich allein genommen buffonesk konventionell arrangiert) verwechselt Osmin im Suff Pedrillo mit Blonde. Pedrillo reagiert auf die plumpe körperliche Annäherung mit Eifersucht, schlägt Osmin brutal zusammen und versteckt ihn dann unter Müll. Der revanchiert sich später in gleicher Weise bei seiner Triumph-Arie. Nein, auch bei Schnaps kommen Deutsche und Türken nicht zusammen, möchte Herzog wohl sagen. Es gäbe noch andere Details zu erwähnen, welche dieses Konzept unterstreichen. In toto will der Regisseur von Mozarts Oper allerdings mehr, als sie herzugeben imstande ist.

 Wenn man von dem zumal in der Pedrillo-Arie überforderten FRITZ STEINBACHER absieht, vermag Dortmund ein beachtliches Mozart-Ensemble zu offerieren. ELEONORA MARGUERRE bezwingt die teuflisch schwere Partie der Konstanze mit souveräner Koloratur und lyrischem Leidensausdruck. Die Blonde gibt TAMARA WEIMERICH ohne Fehl und Tadel; den Aufstieg zum hohen E bei „Durch Zärtlichkeit“ versagt sie sich freilich. LUCIAN KRASZNEC ist der lyrische Tenor des Hauses. An die leicht metallische Timbrierung seiner Stimme gilt es sich im Falle des Belmonte zu gewöhnen, aber das geschieht rasch. Die Osmin-Tiefen behauptet Wen Wei Zhang mehr als dass er sie singt; ansonsten eine pralle Figur. Die Dortmunder Philharmoniker formt MOTONORI KOBAYASHI zu einem schlanken, vibrierenden Mozart-Orchester. Leider übernimmt der Dirigent die wohl seit Harnoncourt grassierende Manie, in der „Martern-Arie“ die Seufzer-Terzen zu ritardieren, was den musikalisch Fluss empfindlich stört.

Christoph Zimmermann

 

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