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DÖBELN: EUGEN ONEGIN

08.04.2013 | KRITIKEN, Oper

Döbeln: „EUGEN ONEGIN“ – 7. 4.2013

 Vor rund zehn Jahren legte Arila Siegert schon einmal eine insgesamt schlüssige „Onegin“- Inszenierung in Chemnitz vor. Wer nun annahm, sie würde am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln auf Bausteine dieser ersten Auseinandersetzung mit dem Tschaikowskischen Opus zurückgreifen, sah sich getäuscht. Zu erleben war nämlich eine vollkommen andere, den Gegebenheiten minimalerer Bühnenverhältnisse tragende Sicht, die selbst den damals noch betonten Verweis auf russisches Kolorit (die Volksszenen wurden in der Originalsprache vorgetragen) ausspart. Lediglich einige Tupfer bei den Kostümen der Landbevölkerung lassen slawisches Milieu erahnen. Der für diese Kostüme gleichfalls verantwortlich zeichnende Bühnenbildner Moritz Nitsche siedelt das Geschehen in einem hermetisch anmutenden Raum an, dem er nur in emotionalen Ausnahmesituationen der Figuren eine verblüffende perspektivische Öffnung gewährt. Diese fast durchgehend beibehaltene Enge symbolisiert die Befangenheit der Protagonisten in gesellschaftlichen Konventionen, ein Eingezirkeltsein, dem zu entrinnen nahezu unmöglich ist.

 Arila Siegert arbeitet die Konflikte dieser Protagonisten auf den Punkt genau heraus, verzichtet auf eine vordergründige Denunziation des Titelhelden, dem sie Gerechtigkeit zugesteht. Selbst bei seiner Tatjana zuinnerst treffenden Antwort auf deren Liebesgeständnis, offenbart sich dieser Onegin keineswegs als gefühlskalter „Kotzbrocken“, sondern eher als jemand, der eine Bindung scheut, die im Widerspruch zu seiner Lebensauffassung steht. Während Tatjana ihren berühmten Brief schreibt, vollzieht sie quasi in Trance die Vereinigung mit dem Ersehnten, der ihr nun leibhaftig begegnet – ein ebenso berührendes wie sinnreiches Detail dieser Regiearbeit. Weniger gelungen dünkt mich der Einfall, den Inhalt dieses Briefes auf die Szene zu „beamen“ – denn erstens würde das Mädchen diese Zeilen kaum in deutscher Sprache zu Papier gebracht und zweitens sich dabei gewiss nicht einer derartigen „Klaue“ bedient haben. Nach dem erneuten Zusammentreffen Onegins mit Tatjana im letzten Akt strapaziert die Regisseurin diesen Einfall nochmals, indem der Titelheld mittels roter Tinte, aber ebenso unleserlich, das seit damals von ihm aufbewahrte Schreiben mit Randbemerkungen über seinen ihn überwältigenden emotionalen Zustand versieht. Gut gelöst die diesen Petersburg-Akt eröffnende Polonaise – ein der „Großen Oper“ konsequent entratendes Psychogramm Gremins als Gefangener einer Hofkamarilla, der nur im Privaten zu sich selbst findet. Auch hier wartete die Mittelsächsische Philharmonie unter der Leitung von Ido Arad mit einer exzellenten klanglichen Leistung auf, die ihr gleichfalls für die vorangegangenen Akte zu bescheinigen ist, wobei dem Dirigenten die orchestral auftrumpfenden Passagen des Werkes mehr zu liegen schienen als deren lyrische Komponente. Die Chöre hatte Tobias Horschke solide einstudiert.

 Im Mittelpunkt der Vorstellung stand wieder einmal Lilia Milek, deren Tatjana (die sich verwunderlicherweise eingangs in eine deutsche Reclam-Ausgabe vertieft) alle Facetten der Seelenschönheit dieses Menschenkindes über die Maßen glaubwürdig vermittelt. Da genügt ein Blick, eine Geste, um diese wunderbare Gestalt der genialen Russen Puschkin und Tschaikowski voll gültig vor uns erstehen zu lassen. Mit ihrem wunderbar pastos dunkel erglühenden und aufblühenden Sopran wird sie beispielgebend den vokalen Anforderungen des Parts gerecht, sollte allenfalls noch um eine kontrolliertere Formung des Fortebereiches Sorge tragen; denn (und nur) hier waren einige Schwächen, die Textbehandlung inbegriffen, hörbar. Als Tatjanas sehr direkt agierende Schwester Olga vermochte Annette Pfeifer durchaus zu gefallen. In der Titelpartie bemühte sich Guido Kunze dank einer perfekten Technik erfolgreich, sein eher charakteristisches denn klangschönes Stimmmaterial für eine überzeugende Charakterisierung jenes zerrissenen Individualisten einzusetzen, der letztlich, wie die übrigen Beteiligten, an gesellschaftlichen Zwängen scheitert. Für den romantischen Schwarmgeist Lenski brachte Christoph Schröter im 1. Akt beträchtliche Spielfreude ein, blieb seiner Arie vor dem Duell allerdings einiges an Differenzierungskunst schuldig. Ingo Witzke gab einen in den Tiefen seines Basses wohlbehausten, in den übrigen Lagen jedoch ziemlich unausgegorenen Gremin.

 Das zahlreich erschienene Döbelner Publikum dankte ovationsfreudig für die ihm seit Jahrzehnten vorenthaltene Begegnung mit einem Werk, von dem Boris Assafjew rechtens behauptet: „Die unversiegbare Frische dieser Musik empfinden wir immer wieder von neuem, so wie uns jedes Jahr die Frische des Frühlings entzückt.“

 Joachim Weise

 

 

 

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