Chemnitz: „FUNNY GIRL“ – 25. 5.2014
Mag man den Rezensenten auch der Ketzerei schelten, für mich bleibt diese Inszenierung die gelungenste der sich ihrem Ende nahenden Spielzeit (nur Orffs „Mond“ steht noch aus). Immerhin kann man mir nicht anlasten, wenn die Regisseure der zuvor gezeigten „schwereren Brocken“ weniger imponierende Lesarten vorlegten. Mit dem Schweizer Stefan Huber wurde für diese Gemeinschaftsproduktion der Theater Dortmund, Nürnberg und Chemnitz ein Könner ersten Ranges gewonnen, der bar billiger Anmache und dem für Unterhaltung der feineren Art gebotenem Stilempfinden dafür einstand, dass die liebenswerte Fanny Brice fünfzig Jahre nach ihrem Bostoner
Debüt nun erstmals auch dem hiesigen Publikum Genuss ohne Reue bescherte. Der Regisseur besitzt ein beneidenswertes Fingerspitzengefühl für die Erfordernisse der Gattung, lässt es während der über dreistündigen Aufführung nie am gebotenen Timing mangeln und nennt jenes so selten zu konstatierende Händchen sein Eigen, das es ihm ermöglicht, alle Mitwirkenden zu bis ins Detail ausgereiften Darstellungen zu beflügeln. Lediglich die Anlage des Nick Arnstein beschränkte sich etwas einseitig auf den liebenden Mann. Bühnenbildner Harald B. Thor und Choreograf Danny Costello assistierten Huber als fabelhafte Mitstreiter, die jeder auf seine Art, zum durchschlagenden Erfolg der Inszenierung beitrugen. Bei wenig Aufwand, doch mit beträchtlicher Fantasie entwarf Thor eine sich in Blitzesschnelle verwandelnde Szene, die die zahlreichen Handlungsplätze knapp und einprägsam verdeutlicht, aber auch dem bombastischen Glamour der Revue treffsicher gerecht wird. Die den sozialen Status der Figuren sorgsam erfassenden Kostüme waren Susanne Hubrich zu verdanken. Und was Danny Costello den ihm anvertrauten Sängern und Tänzern an einfallsreichem, den Körper vollauf beanspruchendem, sich freilich nie verselbständigendem Einsatz abverlangte, setzte den Punkt auf das I dieser vorzüglichen Aufführung. Da geriet nichts zur schnöden Einlage, entwickelte sich der Tanz vollkommen aus den Erfordernissen der Handlung. Im Hinblick auf Rhythmus und Sound erwies sich Tom Bitterlich am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie als der rechte Mann am rechten Platz. Allerdings sollte ihn die berechtigte Freude über diese dankbare Aufgabe nicht dazu verleiten, die Pferde in puncto klanglicher Ausgewogenheit durchgehen zu lassen.
Als Fanny Brice offerierte Katharine Mehrling den begeisterten Besuchern eine Leistung, die ohne die geringste Einschränkung das Prädikat „Sonderklasse“ verdient. Die tapsige Komik der anfangs unbeholfenen ersten Gehversuche des späteren Stars entsprach keineswegs billigem Buhlen um Publikumsgunst, sondern ging einfach ans Herz. Und dieser anrührenden Menschlichkeit blieb sie auch im weiteren Verlauf der Vorstellung treu, koppelte zudem ihr brillantes vokales Vermögen nie vom Dienst an der als richtig erkannten Sache ab. Hier blieben keine Wünsche offen. An ihrer Seite präsentierte sich ein gereifter Matthias Otte, der seinem zu sympathischen, leicht melancholischen Nick Arnstein die zwielichtigen Seiten der Figur (noch) vorenthielt. Marc Seitz erfreute als mit allen Musicalwassern gewaschener, seine Gefühle für Fanny an keiner Stelle mit gewiefter Buffo-Routine übertünchender Eddie Ryan. Gabriele Ramm gefiel als sympathisch gluckenhafte Mutter, und Matthias Winter gab einen Florence Ziegfeld von nobler Ausstrahlung. Alle anderen Beteiligten mögen es mir nachsehen, wenn ich sie nur mit einem Pauschallob bedenke. Immerhin leistete ein jeder von ihnen einen hoch anzurechnenden Beitrag zu einer Inszenierung, die im schönsten Sinne des Wortes von dem etwas abgenutzten Begriff „Teamwork“ getragen wurde.
Joachim Weise