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DESSAU/ Kurt Weill-Fest: DER DIKTATOR von Ernst Krenek / DER ZAR LÄSST SICH PHOTOGRAPHIEREN von Kurt Weill

07.03.2016 | Oper

DESSAU / Kurt Weill Fest: DER DIKTATOR von Ernst Krenek, DER ZAR LÄSST SICH PHOTOGRAPHIEREN von Kurt Weill am 5.3. 2016 (Werner Häußner)

Nein, die Zeitoper ist nicht so zeitbedingt, wie die „Zeit“ 1960 mit Blick auf Kurt Weills Frühwerke konstatierte: „Der Zar lässt sich photographieren“, gemeinsam mit Ernst Kreneks „Der Diktator“ eines der Hauptprojekte des Dessauer Kurt Weill Festes, erweist sich auf der Bühne des Anhaltischen Theaters als vitale Mischung aus Groteske, Burleske und Nachweis eines originell schöpferischen Geistes. Georg Kaiser statt Bertold Brecht: Weills Musik zeigt sich stark auch dort, wo ihr das sozialkritische Wort fehlt, wo es um eine buffoneske Übertragung Offenbach’scher Demontage herrscherlicher Würden in den Kontext der zwanziger Jahre geht.

Denn der Zar, der sich – wo sonst als in Paris – in einem angesagten Fotoatelier porträtieren lassen will, hat viel mehr Lust am Leben und am Lieben als an der Ideologie, mit der Kreneks Diktator Friedrich Nietzsche, italienische Futuristen und faschistische Machtmenschen seiner Zeit in einer selbstherrlichen Figur amalgamiert. Weills Zar bandelt flugs mit der adretten Angèle an. Nur ist die Frau hinter der Linse Teil einer Bande von Attentätern und die Kamera zum Schussapparat aufgerüstet. Die echte Fotografin ist derweil, gefesselt und geknebelt, mit ihrem Team beiseite geschafft und durch die Gangster ersetzt. Die Lust am Amourösen rettet den Zaren vor dem Tod durch die Kugel aus dem Objektiv. Er hält nicht still, der Plan misslingt. Am Ende steht die echte Angèle hinter der Kamera und der Chor kommentiert, nicht weise wie in der antiken Tragödie, sondern mit der Lust an der Plattitüde, der Zar lasse sich nun photographieren …

Doris Sophia Heinrichsen, Dozentin für szenische Darstellung an der Hochschule für Musik und Theater in München, begibt sich in ihrer brechungsfreien Inszenierung weder in die bunte Welt der Burleske noch in die Sphäre grotesker Überzeichnung. Sie lässt eher an düstere Polit-Thriller oder an die lastende Atmosphäre tragischer Filme der Zeit denken. Das Atelier baut Nicole Bergmann auf der Bühne als provisorisch wirkende Konstruktion auf: Metallträger, Wanderbühnenvorhang, ein opulent gepolstertes rotes Sofa. Das könnte auch ein Filmset sein. Jessica Rohm realisiert in ihren Kostümen geschmackvoll die Epoche der lebensgierigen Zwischenkriegszeit. Die Projektionen im Hintergrund sind zu konkret und lehrhaft, um eine Deutungsebene zu eröffnen.

Wenn der Herrenchor zu Beginn in zwei Gruppen – mehr oder weniger – synchron aufmarschiert, um den Titel des Einakters – ebenfalls mehr oder weniger synchron – zu verkünden, signalisiert Heinrichsen Distanz von einer allzu realistischen Personenführung. Das gelingt an den inneren Scharnieren des Stücks – wenn die Attentäter das Fotografenteam ersetzen und wenn sie, während die Polizei schon vor der Tür steht, möglichst geräuschlos wieder verschwinden.

Es gelingt weniger, wenn es darum geht, im Flirt mit der Fotografin den Zaren zu charakterisieren, Spannung zwischen den Personen aufzubauen. In Kreneks „Diktator“ macht sich die blasse Interaktion noch nachteiliger bemerkbar: Ulf Paulsen als imponierende Gestalt im weißen Anzug wird nicht aus dem üblichen Verhaltensrepertoire der Opernschurken befreit. So bleibt die Anspielung auf Charlie Chaplins berühmte Szene aus „Der große Diktator“ – das Spiel mit der Weltkugel – bloßes Accessoire. Heinrichsen führt den dreißigminütigen Einakter Kreneks nicht über die Kolportage mit veristischem Anhauch hinaus.

Krenek behauptet zwar, der politische Aspekt am Charakter des „Diktators“ habe ihn weniger interessiert als dessen suggestive Wirkung auf die Frauen. Doch die psychologischen Muster von Dominanz und Unterwerfung, von Macht und sexueller Anziehung lassen sich nicht aus dem Kontext der entstehenden brutalen Diktaturen im Europa des jungen Krenek lösen. Er selbst gab einmal an, den Weiberheld Mussolini vor Augen gehabt zu haben; wir haben heute die Bilder im Kopf, wie blonde Mädels und stahläugige Germaninnen einem erotiklosen Biedermann wie Adolf Hitler anhimmelnd verfallen. Der Geschichte einer Frau, die ihren bei einem Giftgaseinsatz erblindeten Mann rächen und den Diktator erschießen will, dann aber seiner Faszination verfällt und sich für ihn opfert, ist schwerlich Relevanz abzugewinnen, wenn man sie in der Sphäre von „Il Tabarro“ – Krenek bezieht sich ausdrücklich auf Puccini – belässt.

Die Dessauer Idee, die beiden Werke unter dem Aspekt der Wirksamkeit von Macht zusammenzuspannen, macht Sinn, auch weil sie zeigen, welche Vielfalt die musikalische Landschaft der zwanziger Jahre prägte: Krenek orientiert sich unverkennbar an der italienischen Oper mit ihrer satten Melodik, ihrer dramatischen Nervosität, reichert sie an mit souverän eingesetzter Harmonik, mit chromatischer Finesse, mit der Lust an freitonaler Ungebundenheit. Weill dagegen setzt – darin dem 1927 uraufgeführten Erfolgsstück „Jonny spielt auf“ Ernst Kreneks ähnlich – auf den charakterisierenden Effekt zeitgenössischer Modetänze: Der Zar tritt mit einem Foxtrott auf, im Zentrum des Stücks steht ein Schlager, der als „Tango Angèle“ vor der Uraufführung 1928 in Leipzig auf Schellackplatte aufgenommen und auf der Szene eingesetzt wurde. Darüber hinaus ist Weills durchkomponierte Oper ein Zeugnis für die technische Meisterschaft, die der 27-Jährige mühelos anwendet. Von „überholt“, wie die „Zeit“ vor 56 Jahren nahelegte, kann keine Rede sein.

Unter Daniel Carlberg legt sich die Anhaltische Philharmonie ordentlich ins Zeug, um beiden Partituren zu ihrem klingenden Recht zu verhelfen, was trotz manch eingeflachten Kontrasts erfolgreich ausgeht. Gesungen wird auf Dessaus Bühne mit viel Druck: Ulf Paulsens machtvoller Bariton dröhnt auch mal mit forcierter Höhe, Dessaus Star, Kammersängerin Iordanka Derilova versucht sich als dem Diktator verfallende Maria mit weniger vibratoreicher Inbrunst als im „Zar“ als ständig am Zielen gehinderte falsche Fotografin Angèle. Auch Stefanie Kunschke (Charlotte/Angèle) setzt grelles Vibrato als vokales Imponiergehabe ein, bleibt aber so allzu einfarbig und hart.

Albrecht Kludszuweit hat als erblindeter Offizier in Kreneks „Diktator“ den Schlussauftritt, der die Faszination der Macht endgültig bricht; der Gast aus Essen zeigt sich auch als Anführer der Attentäter in Weills Oper als stimmstarker Darsteller. Leider war der zweiteilige Abend nur zwei Mal während des Kurt Weill Festes zu sehen – nicht zuletzt Folge der desaströsen Kürzungen Sachsen-Anhalts im Theaterbereich, die es nicht mehr zulassen, andere als massenkompatible Werke in Repertoire und Abonnement zu halten. An solchen Beispielen zeigt sich konkret, wie kulturelles Leben verarmt.

Werner Häußner

 

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