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DESSAU: „GÖTTERDÄMMERUNG“ – Premiere

13.05.2012 | KRITIKEN, Oper

Mutiger Neu-Anfang: „Götterdämmerung“ als Auftakt zu einem „Ring“ in DessauPremiere am 12. Mai 2012


Arnold Bezuyen (Siegfried). Foto: Jan-Pieter Fuhr

Fast auf den Tag genau 49 Jahre ist es her, dass (am 26.05.1963) in Dessau die letzte  „Götterdämmerung“ verklang: das „Bayreuth des Nordens“, in der Mitte der fünfziger Jahre durch seine intensive Wagner-Pflege und die dazu veranstalteten jährlichen „Richard-Wagner-Festwochen“ ein wahres Mekka für alle Wagner-Freunde in Mittel- und  Ost- Deutschland, wurde nach dem Bau der Berliner Mauer als Wagner-Theater ausgebremst; nur mit Mühe gelang es dem damaligen Team unter Intendant Willy Bodenstein, im Wagner-Jahr 1963 noch einmal eine Wiederaufnahme des „Ringes“ durchzusetzen, der im Jahre 1958 Premiere gehabt hatte. Bodenstein hatte in den Jahren von 1950 bis 1954 den gesamten Wagner vom „Holländer“ bis zum „Ring“ in damals üblicher konventioneller Interpretation und als deutliches Zeichen gegen das Neue Bayreuth in Szene gesetzt und war damit beim Publikum, aber auch bei der Kulturpolitik der DDR erfolgreich gewesen; in nur zwei Jahren, von 1956 bis 1958,  erneuerte er das gesamte Wagner-Repertoire mit Inszenierungen, die – vorwiegend durch den Ausstatter Wolf Hochheim geprägt – Neubayreuther Erkenntnisse aufgriffen, erweiterte den Werk-Kanon um „Rienzi“ und „Parsifal“ und machte Dessau zu einer Art „Super-Bayreuth“, ohne der damals viel kritisierten Quantität eine neue Qualität geben zu können. Im Gegenteil: in ihrer ästhetischen Abhängigkeit von Neubayreuth boten die Inszenierungen keinen Gegenpol mehr, sondern wurden austauschbar und unverbindlich. Es war für die  Kulturpolitik der DDR nicht schwierig, dieser Übergewichtigkeit Wagnerscher Werke im Dessauer Spielplan ein Ende zu bereiten. Dessau spielte als Wagner-Theater nach 1961 keine Rolle mehr. Einzelne Inszenierungen in großen zeitlichen Abständen beschränkten sich zudem auf  „Tannhäuser“ (1971), „Holländer“ (1973, 1988), „Meistersinger“ (1983) und „Rheingold“ (1985). Auch nach der „Wende“ war an eine Neuauflage der „Wagner-Tradition“ zunächst nicht zu denken: ein sehr statischer „Rienzi“ (1992) und der durchaus als verunglückt zu bezeichnende  „Lohengrin“ (1995) bestärkten in ihren Ergebnissen eher die Gegner Wagners; Intendant Johannes Felsenstein versuchte mit dem „Holländer“ (1998), zwei konzertanten „Parsifal“-Aufführungen (2004),  sowie mit „Tristan“ (2006) und „Parsifal“ (2008) eine neuerliche Annäherung an das Thema Wagner.

Im Jahre 2009 übernahm André Bücker als Generalintendant die Leitung des Hauses und setzte mit seinem neuen GMD Antony Hermus erneut auf das Thema Wagner: der „Lohengrin“ im gleichen Jahre war ein deutliches Zeichen für einen Neubeginn – auch in der Spielweise; nun soll bis 2015 der gesamte „Ring“ folgen, der vergangenen Sonntag mit der „Götterdämmerung“ begonnen wurde. Ein mutiges Vorhaben und nicht unumstritten – ist doch im 50 km entfernten Halle ebenfalls ein „Ring“ im Entstehen. Nach langer Abstinenz ist Wagner in Sachsen-Anhalt nunmehr im Doppelpack auf dem Wege und die alten Rivalitäten zwischen zwei Städten, die beide nicht Landeshauptstadt sind, brechen erneut auf. Müßig und unnütz ist die Diskussion allemal, denn auch in Berlin schert sich ja keiner drum, dass man auf der Bismarckstraße rechts und links zwei verschiedene „Ringe“ sehen kann…

„Ein ‚Ring’ für und in Dessau ist heute nicht vorstellbar, ohne die Aufführungsgeschichte im ‚Bayreuth des Nordens’ zu reflektieren. Der ‚Ring der Bauhausstadt’ sucht die Nähe zur klassischen Moderne – der Ästhetik, die in ‚Neu-Bayreuth’ nach dem 2. Weltkrieg ein Ansatzpunkt  für die Befreiung von der ideologischen Umklammerung des Werkes von Richard Wagner durch den Nationalsozialismus war.“ So steht es als programmatische Erklärung im Spielzeitheft der 217. Dessauer Theater-Spielzeit 2011/12. Und – um es gleich vorweg zu sagen: André Bücker ist eine Inszenierung zu danken, die sich auf den Mythos beruft, die frei ist von politischen Behauptungen und szenischem Über-Aktionismus. In der Abstraktion ihrer Schauplätze wie der Personenbeziehungen, im „Weglassen“ alles dessen, was an Naturalismus erinnern könnte, ist sie wohltuend übersichtlich, schaut überwiegend gut aus – tut sich allerdings schwer mit dem Vermitteln der „Geschichte“, die eben nicht nur das Orchester erzählt, sondern die Wagner auch sinnbildlich auf der Bühne zeigen wollte. Speziell die in der „Götterdämmerung“ komplizierte Frage, wie das nun mit Siegfrieds „Gedächtnis“ beschaffen ist, bleibt dabei weitgehend auf der Strecke: man mischt keine Tränke und Gegentränke, man deutet mit sparsamsten Handbewegungen an, dass nun etwas „vergessen“ – oder später wieder „in Erinnerung gebracht“ wird; die „Wagner-Gemeinde“ reimt sich das schon richtig zusammen, was der unvorbelastete (und weitgehend unvorbereitete) Normalverbraucher davon versteht oder verstehen kann, steht auf einem anderen Blatt. Dafür sorgt die Lichtregie für Kurzweil, so sehr, dass man sich in Teilen, die gemeinhin als „langatmig“ gelten, belästigt fühlt. Die zwei langen Stunden des ersten Aktes werden doch nicht kurzweiliger, weil immer irgendwo eine Lichtprojektion für Bewegung sorgt, sie könnten allein durch Spannung und Intensität in den Personenbeziehungen „verkürzt“ werden – das allerdings versagt sich die Inszenierung. „Nicht psychologische Deutung dieser Kosmogonie von Göttern und Menschen oder politisierende Aktualisierung, sondern Untersuchung des Inneren von außen her, von seiner Erscheinungsform hin zu seinem Kern, die innere Wahrheit des Menschen als Geometrie, als äußere Wahrheit erfahrbar zu machen, ist ein Anliegen dieses Interpretationsansatzes“ meint der Regisseur im Programmheft – das klingt plausibel, allerdings wäre angesichts des Ergebnisses mit Joachim Herz zu fragen: „Wie macht man das?“  Diese Frage wurde weitgehend nicht beantwortet, vielmehr wäre zu bemerken, dass die hier gefundene äußere Form neue Rätsel aufgibt.

Dabei hat Jan Steigert durchaus beeindruckende Bilder geschaffen, die die Regie im Großen und Ganzen auch überzeugend bedient, die aber in der Fülle des Details doch einige Fragen offen lassen. Und dann gibt es natürlich wieder „Beiwerk“, das man als überflüssig empfinden muss, möglicherweise deshalb, weil die Umsetzung wenig überzeugen kann: der durchgängige Siegfried-Stechschritt zum Beispiel oder auch die parkinsonsche Etüde mit der rechten Hand Gunthers (und im 2. Akt des gesamten Chores) – man spürt die Absicht, begreift aber nicht, was damit gemeint sein könnte. (Kein Zuschauer ist verpflichtet, das Programmheft zu lesen – obwohl selbiges gerade in dieser Frage recht aufschlussreich argumentiert und man nach dessen Lektüre zumindest wissen kann, wie es gemeint gewesen sein könnte…) Dabei hat Suse Tobisch sehr ansprechende und wirkungsvolle Kostüme entworfen, die dem Ganzen Kontur verleihen und dem grundsätzlich interessanten Ansatz  entsprechen. Es wäre zu wünschen, dass in den folgenden Teilen deutlicher zum Ausdruck gebracht werden kann, was die einzelnen Personen beabsichtigen und vor allem, wie sie zueinander zwingender in Beziehung gesetzt werden können.

Die Anhaltische Philharmonie bewältigt den Abend achtbar; nach durchaus beachtlichem Beginn lässt die Kondition allerdings im Laufe des Abends nach; Antony Hermus hat das Ganze sicher im Griff, wählt durchweg flüssige Tempi und stößt bei einzelnen orchestralen Höhepunkten leider an Grenzen – besonders auch des Klanges. Weshalb man die „Bearbeitung von Gotthold Ephraim Lessing“ gewählt hat, bleibt in dem großen Haus ein Rätsel, ist aber möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass das Orchester in seiner Be-setzungsstärke – die ein Auswechseln einzelner Musiker im Laufe des Abends von vornherein verbietet – hier an objektive Grenzen stößt. (In der Rückerinnerung an die fünfziger Jahre mit ihrer intensiven Wagner-Pflege in Dessau muss ehrlicherweise angemerkt werden, dass dies auch damals bereits ein Problem war.)


Stephan Klemm (Hagen), Iordanka Derilova (Brünnhilde), Foto: Claudia Heysel

Auf der Bühne gibt es dagegen kaum Ausfälle: der Opernchor wird durch Extrachor und den „coruso“-Opernchor verstärkt, da stehen dann nicht nur an die siebzig Menschen auf der Bühne, sondern sie singen auch mit beeindruckender Klangfülle und präziser Musikalität. Dem Chordirektor Helmut Sonne gebührt uneingeschränkte Bewunderung. Von den Solisten überzeugt zuerst Stephan Klemm, der nicht nur die stimmlichen Voraussetzungen für einen wirklich „schwarzen“ Hagen mitbringt, sondern auch mit Musikalität und vorbildlicher Artikulation fesselt. Das ist ein erster Aktivposten für diesen neuen „Ring“. Nächst ihm wäre die hauseigene Brünnhilde zu nennen, die Iordanka Derilova mit wahren Leuchtraketen der Spitzentöne ausstattet, deren Ausdauer durchaus beeindruckt; um eine wirklich große Brünn-hilde zu werden, müsste sie an ihrer oft flachen Mittellage und der zum Teil gutturalen Tiefe arbeiten. Für den „Siegfried“-Teil empfiehlt sie sich schon heute, die „Walküre“ wäre noch ein arbeitsreiches Feld. Angelina Ruzzafante als Gutrune und Ulf Paulsen als Gunther erfüllten ihre Aufgaben mit substanzreichen Stimmen, die technisch ordentlich geführt wurden. Rita Kapfhammer, die Aktivistin des Abends im Mezzofach – 1.Norn, Waltraute und Floßhilde waren ihr in Personalunion anvertraut – hatte besonders in der Waltrauten-Szene des ersten Aktes Defizite in der Artikulation. Anne Weinkauf beeindruckte durch klare Diktion als 2. Norn und Wellgunde. Zuverlässig im Musikalischen, aber zu leichtgewichtig (vor allem in der Nornenszene) im Stimmlichen rettete Sonja Freitag als Woglinde und 3. Norn den Abend, indem sie für die erkrankte Cornelia Marschall einsprang. Nico Wouterse blieb als Alberich Randfigur.

Siegfried war mit Arnold Bezuyen besetzt. Seit Jahren ist er als Loge berühmt von Bayreuth bis New York; ob er diese Ziele  als Siegfried wird durchlaufen können, möchte ich eher mit Skepsis beurteilen; natürlich hat er das alles richtig und mit hellem Timbre gesungen – aber an Tiefe des Durchdringens fehlt es vorerst noch.

Genug der Einwände: für Dessau war es nicht nur ein großer Abend, sondern – was die Reaktionen des Publikums betrifft – ein rasender Erfolg. Und es war durchaus ein ernst zu nehmender Beginn, man sollte die völlig überflüssige Rivalität zum benachbarten Halle vergessen und sich vielmehr daran orientieren, was in Dessau bereits alles mit Wagner geleistet wurde. Daran anzuknüpfen ist das Verdienst von André Bücker und Antony Hermus; es sind nicht alle Blütenträume auf Anhieb gereift, aber ein gelungener Neustart war es allemal. Hoffen wir, dass nicht nur dieser „Ring“, sondern das Thema Wagner in Dessau in eine glückliche Zukunft geführt werden kann. Potential ist vorhanden – oder: um frei mit Wagner zu sprechen: „Sie haben gesehen, was wir können, nun liegt es an Ihnen, zu wollen – dann haben wir eine Kunst.“ Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ist der Schirmherr dieser Aufführung – möge es ihm gelingen, dem Anhaltischen Theater Dessau die Möglichkeiten zu schaffen, die es braucht, um seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen zu können.

Werner P. Seiferth

 

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