Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DER RING IN BUENOS AIRES – einige subjektive Anmerkungen

29.07.2013 | KRITIKEN, Oper

Der „Ring“ in Buenos Aires – einige subjektive Anmerkungen

von Dr. Klaus Ulrich Groth

Mittlerweile dürfte den meisten Opernfreunden der Jubiläums-„Ring“ des Teatro Co-lòn durch die TV-Übertragungen, insbesondere von Sky Classica, bekannt sein. Das Teatro Colòn wollte seinem Publikum zum 200.Geburtstag Richard Wagners einen „Kompaktring“ anbieten. Das ist unter großen Schwierigkeiten letztlich auch gelungen. Eines der Probleme ging auf die Bayreuth-Chefin Katharina Wagner zurück, die rund vier Wochen vor der Premiere ihren Regieauftrag hinwarf und das mit organisatorischen Störungen im Probenbetrieb bzw. bei der Ausstattung begründete. Richtig ist in der Tat, daß es Reibungsverluste gab. Bayreuther Präzision kann man in Südamerika nicht erwarten, auch wenn Argentinien im Allgemeinen noch als das „deutscheste“ Land auf diesem Kontinent gilt. Gleichwohl war ihr Verhalten doch recht unprofessionell, denn dass es ohne weiteres gegangen wäre, bewies die daraufhin einspringende Ballett-Chefin Valentina Carrasco, der es unter den widrigen Bedingungen durchaus gelang, ein schlüssiges Regiekonzept – die Handlung wird in die Peròn-Ära verlegt – und eine subtile Personenführung auf die Bretter zu bringen. Letzteres war angesichts der mit eigenen Unzulänglichkeiten kämpfenden und zum Teil darstellerisch wenig begabten Sängern nicht einfach. So wirkten z.B. die steif über die Bühne wandelnden Brünhilde und Gutrune wie Fässer auf zwei Beinen, und das lag nur sehr bedingt an den Kostümen. Positives Gegenbeispiel war der Mime des agilen und stimmlich grandios auftrumpfenden Kevin Conners. Eine faszinierede Wirkung ging auch von dem berührenden Schlußtableau der Götterdämmerung aus, in dem das geschundene argentinische Volk mit zahlreichen Kindern die Bühne füllt.

Gegen die musikalische Leitung des auch hier gut bekannten Roberto Paternostro und des Orchesters des Teatro Colòn war nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Paternostro kennt den Ring schon aus seiner Kasseler Zeit bestens und dirigierte mit Verve. Das Orchester entfaltete mühelos jene klangliche Wucht, ohne die ein gelungener Wagner-Abend nicht vorstellbar ist.

Ein auch musikalisches Problem stellt aber bereits die angesprochene Kurzfassung dar. Sicherlich ist diese für ein die Musik Wagners nicht gewöhntes Publikum ein geeignetes Mittel, das Durchhalten zu erleichtern. Welcher Wagnerianer wüsste nicht, wie mühsam es ist, die Längen des Originalrings, so z.B. die ausgedehnten Szenen der Fricka, Erda oder Waltraute, „auszusitzen“ (und das gar auf den brettharten Sitzen im Bayreuther Festpielhaus). Gleichwohl haben die zahlreich gestrichenen Passagen einen durchaus handlungsfördernden Sinn. Was in Buenos Aires über die Bühne ging, war genaugenommen nicht mehr Wagners Ring,  sondern nur noch ein mehr oder weniger entfremdetes Skelett. Donner, Froh und Erda gab es nicht mehr. Auch die Nornen fielen den Kürzungen zum Opfer. Negativer Höhepunkt: Der Siegfried, sonst mit etwa vier Stunden Spieldauer abendfüllend, dauerte nur etwas mehr als eine Stunde(!). Kann man so tatsächlich an einem der renommiertesten Opernhäuser der Welt mit einem der wichtigsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte verfahren? Es käme sicherlich auch niemand auf die Idee, die Gemälde berühmter Künstler auf Ausschnitte zu reduzieren. Kaum jemand würde akzeptieren, wenn z.B. im Louvre nur noch Fragmente der Mona Lisa präsentiert würden.

Noch bedenklicher erscheint dem Rezensenten aber die Präsentation in unzureichender Besetzung. In diesem Punkt erweist sich selbst manches kleine Haus in Österreich oder Deutschland, welches sich an Wagners Monumentalwerk heranwagt, als kompetenter. An dieser Stelle können natürlich nicht drei Dutzend Solisten besprochen werden. Deshalb seien drei markante Negativbeispiele herausgegriffen. Da war zunächst der Siegfried des Leonid Zakhozhaev, eines russischen Tenors, der bemüht ist, das Heldenfach, zumeist in Übersee, abzudecken, der aber auch schon als Tristan in Düsseldorf gescheitert ist. Mit so wenig vokaler Substanz und heldischer Kraft, verbunden zudem mit der durch die dem Sänger offenbar selbst bekannten Schwächen ausgelösten Nervosität, läßt sich eine authentische Rollengestaltung nicht vermitteln. Als große Enttäuschung erwies sich auch Linda Watson (Brünhilde), eigentlich eine gestandene Bayreuth-Ikone. Im Kompaktring in Buenos Aires wirkte sie indisponiert und mehr oder weniger von ihrer Routine als von Souveränität lebend. Im Siegfried-Finale wirkte sie derartig entkräftet, daß´man um sie fürchten mußte. Hinzu kommt, daß sie zusammen mit ihrem Partner in diesem hocherotischen Finale eher wie ein Rentnerpaar wirkte, das mit den eigenen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, als ein mit geballter sexueller Energie zur Vereinigung schreitendes jugendliches Liebespaar. Da war wohl auch die Regisseurin machtlos.

Im Falle des Daniel Sumegi (Hagen) fragte man sich, was ihn in den Glauben versetzt haben könnte, mit solch begrenzter vokaler Substanz eine Rolle übernehmen zu können, die von den denkbar größten Bassisten des deutschen Fachs geprägt worden ist. Die Stimme tremoliert in Forte-Passagen unzumutbar. Das war aber voraussehbar, denn wer von ihm schon einmal Scarpias „Te deum“ gehört hatte, wusste, dass er selbst damit überfordert ist. Bleibt noch zu erwähnen, dass Sumegi mit seinem kuriosen Timbre, welches in seiner Färbung eher an einen Buffotenor als an einen seriösen Baß erinnert, den Fasolt und den Hunding fast zur Karrikatur gemacht hatte.

Zusammenfassend bleibt daher bedauerlicherweise der Eindruck, daß das argentinische Publikum Wagners Ring mit einem doppelten Defizit erleben mußte, nämlich zum einen mit den Streichungen eigentlich unentbehrlicher inhaltlicher und musikalischer Passagen, zum anderen mit der Belastung durch gesanglich unzureichende Vermittlung. Ein Geschenk für Richard Wagner zu seinem 200.Geburtstag war das jedenfalls nicht, ebensowenig wie ein Meilenstein in der Ring-Rezeption.

Klaus Ulrich Groth

 

 

Diese Seite drucken