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COTTBUS: GÖTTERDÄMMERUNG. Wiederaufnahme

03.03.2014 | KRITIKEN, Oper

COTTBUS / Staatstheater: GÖTTERDÄMMERUNG – WA am 1.3.2013

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Schlussapplaus. Marlene Lichtenberg, Sabine Paßow, Evan Christ. Foto: Dr. Klaus Billand

 Als ich vom Cottbuser Bahnhof auf das immer wieder auch optisch faszinierende und wie die Berliner Lindenoper völlig frei stehende Staatstheater Cottbus zugehe, gewahre ich emsig an einer in grellem Rotweiß geschmückten Tribüne beschäftige Arbeiter – die Luftballons wehen im Wind. Eine Übertragung der wirklich sehenswerten Produktion des „Ring des Nibelungen“ des Intendanten und Regisseurs Martin Schüler mit seiner Dramaturgin Carola Böhnisch aus dem engen Cottbuser Umfeld heraus?! Oder gar eine Programmänderung? Hinter den Luftballons prangt aber tatsächlich in großen Lettern auf der Tafel „Heute: Götterdämmerung“. Stärker könnte der Kontrast ja nicht sein: Der Lausitzer Karnevalsverein e.V. probt just am Abend der „Götterdämmerung“ vor dem Theater für den Umzug tags drauf… Man hat Humor in Cottbus und lässt sich durch (zumindest scheinbar) paradoxe Umstände nicht aus dem Konzept bringen, wie im übrigen auch ein Plakat plastisch vor dem Haupteingang des Hauses verkündet: „Überlebenskünstler“.

 Fast genau ein Jahr nach der Premiere der „Götterdämmerung“ (detaillierte Rezension in Merker-online März 2013) zeigt Schüler, was Wagners opus magnum auch mit den beschränkten Mitteln eines Hauses der sog. Provinz überzeugend, ja emotional mitreißend darstellen kann. Was man in Cottbus bescheiden eine semiszenische Aufführung nennt, zumal das recht große Orchester nicht in den hiesigen Graben passt und auf die Hinterbühne verlegt wird, kann mit szenischen Produktionen anderer und auch größerer Häuser absolut mithalten, selbst nach einer fast zehnjährigen Schaffensphase an diesem „Ring“.

 Um mit so wenigen Requisiten wie in Cottbus einen ganzen Abend lang Spannung zu erzeugen und aufrecht zu halten, braucht man neben einem guten Wagner-Orchester und SängerInnen eine stringente Dramaturgie sowie eine darauf ausgerichtete, sauber ausgefeilte Personenregie. Dies hat das Regieteam offenbar voll beherzigt und kann sich dabei auf eine Sängerriege verlassen, die eigentlich an ganz andere, sog. große Häuser gehört, welche aber offenbar, wer weiß warum, nicht den Mut (oder die Entscheidungsfreiheit…?!) haben, diese hervorragenden, aber namentlich (noch) unbekannten Sänger und Sängerinnen für ihre – weithin kolportierten – „Ring“-Aufführungen zu engagieren. Das ist praktisch vollständig unerklärbar. Wagner hätte zu Recht gesagt – in einem ganz anderen Zusammenhang als dem hierbei normalerweise assoziierten – „Hier gilt’s der Kunst!“ Warum können die geschätzten Intendanten und Casting- bzw. Opern-Direktoren, die Wagner-SängerInnen brauchen, es nicht wenigstens einmal „wagen“, in das – ach so unbekannte – Cottbus und ähnliche sog. Provinztheater zu kommen, um zu erleben, was hier – nicht nur – an Wagnergesang geboten wird. Weg mit den Vorurteilen gegen die sog. Provinz! Hier kocht und brodelt es, hier entstehen neue Kräfte, basierend auf zunächst gar nicht wahrgenommenen Talenten… Wo sollten diese denn entstehen, wenn nicht an den kleinen Theatern, womöglich Multi-Sparten-Häusern, abseits vom Mainstream der großen provisions-signifikanten Agenten-Fischzüge… Man möchte fast meinen, das alles hätte etwas mir den allseits bekannten Problemen der wirklichen Fischerei zu tun, wenn man so manche sog. „große“ – weil einfach lang bekannte – Stimme hört…

 Niemand kann mir erklären, der alle derzeit und in der jüngeren, fast 50-jährigen Vergangenheit relevanten Brünnhilden – oft mehrfach – erlebt hat, warum eine Sabine Paßow diese Rolle derzeit nur in Cottbus singen kann! Sie machte aus der „Götterdämmerung“ allein ein Erlebnis, gestaltete mit einer unglaublichen Empathie die von Schüler so exzellent und fantasievoll dramatisierte Rolle, dass es einem immer wieder den Schauder über den Rücken trieb, auch angesichts der Stabilität und Höhensicherheit ihres hochdramatischen Soprans. Paßows Mimik bei der Ablehnung von Wotans Versöhnungsgeste über der Leiche Siegfrieds im 3. Aufzug, sowie ihr Schlussgesang, gehören für den Rezensenten zum Faszinierendsten, was er im Verlauf von etwa 100 „Ring“-Inszenierungen seit 1967 erleben konnte. Paßow singt nicht die Brünnhilde, sie spielt sie auch nicht, Paßow IST Brünnhilde!

Ihr nicht nachstehend die Südtiroler Mezzosopranistin Marlene Lichtenberg, vor allem als Waltraute, aber auch als Erste Norn und Flosshilde, mit einer ungewohnten darstellerischen und stimmlichen Intensität, perfekt in Diktion, Phrasierung und Emotionalität, auch bisher in diesen Rollen „nur“ in Cottbus bekannt. Lichtenberg versteht Aussage mit intensiver Mimik und perfekter Tongebung zu kombinieren und damit eine Waltraute von hoher emotionaler Intensität zu zeigen, die bei ihrer Auseinandersetzung mit Brünnhilde eine emotionale Achterbahn durchfährt. Dabei singt sie mit perfekter Diktion wunderschön verinnerlichte Stellen wie „ … dann noch einmal – zum letzten Mal – lächelte ewig der Gott.“ sowie „Erlöst wär’ Gott und Welt!“ ebenso eindrucksvoll wie die fordernden Höhe auf „Walhalls Göttern Weh’!“ Die Sängerdarstellerin erzeugt Klang auf jeder Silbe. Wie oft hört man an sog. großen Häusern – bis in den allergrößten – die Waltrauten flackern und kaum verständlich singend. Aber sie haben ja alle „bekannte Namen“, oder bedeutende Agenten… Wiederum: „Hier gilt’s der Kunst“, die besten sollten singen! Das war auch in Bayreuth einmal so – heute kaum mehr als ein Sprungbrett für SängerInnen (-Bios) und Karrieren… Wann kehrt endlich wieder kompetente Erkennung und Förderung von Wagner-Stimmen ein, die sich durch die üblichen Gesangswettbewerbe – allein schon wegen der erforderlichen Alterbegrenzung – einfach nicht machen lassen, siehe Karlsruhe 2012 unter der Jury-Vorsitzenden Eva Wagner-Pasquier.

In Cottbus war bei den SängerInnen aber auch sehr viel Eigeninitiative am Werk. Gary Jankowski, bewährter Hagen schon in Lübeck und Fafner des ColónRing in Buenos Aires im vergangenen November, bestach einmal mehr durch eine unglaublich intensive und dominante Gestaltung mit ausdrucksstarker Mimik, sowie durch seinen voluminösen, prägnant-klangvollen Bass, den er bei bester Diktion bestens phrasiert. Der US-Amerikaner Craig Birmingham sang wieder den Siegfried, der mit seinem sehr speziellen Timbre und einer vornehmlich auf Lautstärke ausgerichteten Gesangskultur aber nur bedingt überzeugte. Sein Timbre erinnert an jenes von Klaus Florian Vogt. Die Höhen geritten nun besser als in der Premiere vor einem Jahr, obwohl die beiden hohen Cs am Ende des 2. und vor allem zu Beginn des 3. Aufzugs kaum mehr als angesungen wurden…

Von ausgezeichneter Qualität weiterhin Andreas Jäpel als Gunther, der über einen sehr kultivierten Bariton mit Liedgesangs-Qualität verfügt und den Gunther auch mit dem nötigen stimmlichen Volumen singt. Gesine Forberger ist eine agile, stimmlich fast dramatische, vielleicht an diesem Abend stimmlich etwas ermüdete Gutrune. Cornelia Zink singt trotz Ansage eine recht gute Dritte Norn und besser noch die Woglinde, Debra Stanley eine sehr gute Wellgunde, während Carola Fischer als Zweite Norn stimmlich mehr als bedenklich klang. Thomas de Vries war ein prägnant ausdrucksstarker Alberich im 2. Aufzug. Die Damen und Herren des Opernchores, „Cantica Istropolitana“ Bratislava und die Herren des Extrachores sorgten schon in der Premiere vor einem Jahr für eine starke und transparente Chorleistung, teilweise auch aus den Seitenlogen, unter der Leitung von Christian Möbius.

Evan Christ, der immer noch junge und sehr emphatische Cottbuser GMD, stand auch an diesem Abend wieder am Pult des Philharmonischen Orchesters des Staatstheaters Cottbus. Christ entsprach mit seinen Musikern und stets äußerst engagierter Gestik, die sich unmittelbar in Musik umzusetzen schien, alle Erwartungen ein. Allein, die Hornisten – oder eine(r) von ihnen – hatte(n) einen schlechten Abend, denn die Schmisse häuften sich doch allzu sehr. Wegen der Platzierung des Orchesters auf der Bühne ergab sich ein sehr transparenter Streicherklang bei großartiger Dynamik in den dramatischen Passagen, der den sängerischen und schauspielerischen Leistungen auf Augenhöhe begegnete.

 Es war ein Abend der emotionalen Superlative, mit sehr viel Menschlichkeit… Ein ganz großer Moment sei abschließend erwähnt: Als der stumme Wotan in Person des Regieassistenten Hauke Tesch an die Leiche Siegfrieds tritt und nach einem langen Blickaustausch mit seiner Tochter Brünnhilde dieser die Hand zur Versöhnung reicht und diese sie nach sichtbarem innerem Kampf ablehnt, zog sich schlicht das Herz zusammen! Selten wurde so intensives, emotional einnehmendes und dennoch so einfach verständliches Wagnertheater erlebt! Das Staatstheater Cottbus hat einmal mehr den Beweis erbracht, dass Wagner aus den Figuren heraus lebt und nicht von Regisseuren allein…   

Am 16. März 2014 gibt es noch eine Vorstellung der „Götterdämmerung“, vielleicht die letzte überhaupt. Wagner-Freunden sei der Besuch (über Berlin am besten, wo es auch eine Menge anderer Sehenswürdigkeiten gibt…) ernsthaft empfohlen!                   

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand                                 

 

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