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Christa Ludwig: „LEICHT MUSS MAN SEIN“

09.03.2018 | Allgemein, buch

Christa Ludwig:
„LEICHT MUSS MAN SEIN“
Erinnerungen an die Zukunft
Aufgezeichnet von Erna Cuesta und Franz Zoglauer
216 Seiten, Amalthea Verlag, 2018

90 Jahre und immer noch auf dem Weg – das ist das bewundernswerte Resümee von Christa Ludwig, geboren am 16. März 1928 in Berlin, von der es rechtzeitig zum Geburtstag (und unverzichtbar für alle Opernfreunde) ein Buch gibt. Erna Cuesta und Franz Zoglauer haben es aufgezeichnet, erzählen zwischendurch, lassen Christa Ludwig aber immer wieder ausführlich zu Wort kommen. Für Opernfreunde ist die biographische Zeittafel mit ihren Auftritten am Ende wichtig, da hängt man gewissermaßen seine eigenen Erinnerungen hinein. Ja, und noch ein Geschenk – so viele Bilder, privat und in ihren Rollen!

Vergangenes ist ihr tatsächlich vergangen, stellen die Autoren fest, Christa Ludwig lebt in der Gegenwart. Wieder singen zu müssen, wäre für sie ein Alptraum. Über Auszeichnungen, die ihren vergangenen Ruhm festhalten, scherzt sie. Und auch darüber, dass sie – lange vor #metoo-Zeiten – vor den eindeutigen Absichten von Kollegen Paul Schöffler geflüchtet ist.

Christa Ludwig lässt sich auf die Erinnerungen ein, unter dem Motto, dass man das Leben nicht zu schwer nehmen sollte. Musik in die Wiege gelegt, der Mutter ewig dankbar, die ihre preußische Disziplin der Tochter künstlerisch einimpfte, wenn diese Mama auch für die Mitwelt vielleicht nicht immer leicht zu verkraften war. In der Jugend ging die Mutter, wie Christa Ludwig sich schmunzelnd erinnert, sogar ins Kino mit, wenn die Tochter ein romantisches Rendezvous hatte, und setzte sich zwischen Christa und den Verehrer. Und wenn junge Männer ihr nicht passten, sorgte sie dafür, dass aus der Beziehung nichts wurde. Walter Berry und Paul-Emile Deiber, Christa Ludwigs beide Ehemänner, mussten mit der Schwiegermutter (die immerhin 94 Jahre alt wurde) als Präsenz leben…

1994 hat Christa Ludwig in ihren Erinnerungen „… und ich wäre so gern Primadonna gewesen“ (die im Bücherregal all ihrer Fans stehen) ausführlich über ihren Beruf und ihre Rollen gesprochen. Dieses Buch nun bewegt sich mit wunderbarem Humor auf privater Ebene, wo sie auch offen zugibt, dass ihre Ehe mit Walter Berry schlicht an der Konkurrenz zweier großer Künstler gescheitert ist. Mit Paul-Emile Deiber war es viel leichter, er war ein berühmter Schauspieler, ein anerkannter Regisseur, da gab es keine Spannungen. Wie sie seinen Tod im Jahre 2011 überstanden hat, erregt Bewunderung – nicht jede Frau über 80 wäre mit dem Tod eines Mannes, der fast 40 Jahre an ihrer Seite war, so bewundernswert zurecht gekommen. Seither scheint das Leben für Christa Ludwig – jeden Tag, den sie leben darf – noch kostbarer.

Sie lügt sich nie in die Tasche, lacht darüber, was man über ihr Russisch, über ihr Französisch auf der Bühne gelästert hat, gesteht die Verzweiflung über ihren Eboli-Mißerfolg in Salzburg ein (ein „geschmissener“ Schlußton und Buh-Rufe… und das für jemanden wie sie, unfaßlich), gibt auch ihr Lampenfieber und ihre schlechten Nerven zu: Gerade sie, die unter Karajan die Brangäne-Rufe im zweiten Akt „Tristan“ einfach unvergesslich gesungen hat, sagte in New York eine ganze Serie ab, weil sie sich so vor der Rolle fürchtete.

Es ist erfrischend, wenn man an das „positive“ Gesülze vieler Künstler denkt, wenn jemand eingesteht, dass sie den Octavian eigentlich nicht gerne gesungen hat, dass sie bei der Lady Macbeth das hohe Des weggelassen hat und dass ihr die Dorabella eigentlich zu leicht war. Sie weiß, dass sie mit der „Fidelio“-Leonore über ihr Mezzo-Fach hinausging, und sie macht kein Hehl aus mehreren schweren Stimmkrisen. Aber sie hat, als Stehauf-Frau, immer weiter gemacht, von ihrem Debut am Silvesterabend 1946 in Frankfurt als Orlofsky in der „Fledermaus“ – bis zu ihrer letzten Vorstellung, der Klytämnestra in Wien 1994.

Und seither hat sie eigentlich erst das Gefühl, wirklich zu leben – denn während man Karriere macht, zieht „das wirkliche Leben an einem vorbei“. Alles dreht sich um die Stimme, „wir sind Knechte der Stimmbänder“, – Christa Ludwig hat einen sehr amüsanten Dialog zwischen „Christa“ und der „Stimme“, die nie zufrieden zu stellen ist, geschrieben…

Heute lebt sie in ihrer schönen Villa in Klosterneuburg, umgeben von ihren Büchern, in dem wunderbaren Bewusstsein, nur zu „müssen“, was ihr Freude macht, aber eigentlich gar nichts zu müssen. Sie hat auch, wie sie sagt, „Muße zum Denken“. Dass sie ihre Gedanken mitgeteilt hat und dass die Autoren sie aufgeschrieben haben, ist das Geschenk, das Christa Ludwig ihren Fans zu ihrem eigenen Geburtstag macht.

Renate Wagner

 

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