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CHEMNITZ: VASCO DA GAMA (Die Afrikanerin)

22.02.2013 | KRITIKEN, Oper

Chemnitz: „VASCO DE GAMA“ („DIE AFRIKANERIN“) – 10. 2.2013

 Knapp 30 Jahre, längere Unterbrechungen inbegriffen, benötigte Giacomo Meyerbeer, um Eugene Scribes Stoff von der Liebe einer Afrikanerin zu einem portugiesischen Seefahrer in eine seinen Vorstellungen entsprechende Oper zu verwandeln. Während er noch an der endgültigen Form feilte, nahm ihm 1864 der Tod die Feder aus der Hand. Der belgische Musikwissenschaftler Francois-Joseph Fétis legte schließlich für die Grand Opera eine Fassung vor, die am 28. April 1865 in Paris unter dem ursprünglich vorgesehenen Titel „Die Afrikanerin“ mit außergewöhnlichem Erfolg uraufgeführt wurde und sich bis 1893 (rund 500 Vorstellungen) auf dem Spielplan hielt; ein Erfolg, der sich nicht nur auf Frankreich beschränkte und international fortsetzte. Auch die Berliner Hofoper wartete von 1865 bis 1917 regelmäßig mit diesem Musenkinde ihres einstigen Generalmusikdirektors auf. Die Nazis setzten dem mit dem Verbot der Werke des Juden Meyerbeer ein jähes Ende. Erst 1992 begegnen wir der exotischen Dame erneut auf dem Spielplan der nunmehrigen Berliner Staatsoper.

 Ausgehend von der Tatsache, dass Fétis Eingriffe in die musikalische Struktur des von Meyerbeer Hinterlassenen und etliche Striche vornahm, legte der Musikwissenschaftler Jürgen Schläder bei Ricordi eine kritische Ausgabe vor, die das sämtliche veröffentlichte und unveröffentlichte Material des Komponisten enthält, und die nun erstmals in Chemnitz aufgeführt wurde. Ob diese Ausgabe den eigentlichen Intentionen des Meisters entspricht, sei dahingestellt, ist doch bekannt, wie häufig er seine Schöpfungen während der Proben zu Uraufführungen nochmals überarbeitete und mithin als Fassung letzter Hand vielleicht einen anderen „Vasco de Gama“, wie der Titel der Oper in Anlehnung an den portugiesischen Seemann nun lauten sollte, hinterlassen hätte, als den, welchen man nun in Chemnitz mit reichlich fünfstündiger Aufführungsdauer vorstellte. Immerhin glückte den damit betrauten Theaterleuten ein imposantes Projekt, das von Anbeginn fesselte und, abgesehen von einigen Längen während der beiden letzten Akte, das Publikum unmittelbar in seinen Bann zog.

 Regisseur Jakob Peters-Messer war der rechte Mann am rechten Ort, der tunlichst darauf verzichtete, seine Konzeption mit modernistischem Schnickschnack zu belasten, und dem Werk gab, was des Werkes ist – nämlich Große Oper von beachtlichem musikalischen und dramatischen Ausmaß. Dabei erfreute er mit ebenso logischen wie phantasievollen Arrangements, die gleichermaßen die präzise Arbeit mit den Chören (sorgsam von Simon Zimmermann einstudiert) betrafen. Sämtliche Mitwirkende wurden zu durchdachten, einprägsamen darstellerischen Leistungen geführt, konventionelles gestisches Material suchte man vergebens auf der Spielfläche. Und diese Spielfläche gestaltete Markus Meyer, der umwerfend vor Augen führte, wie man in Anlehnung an Peter Brook auf einer nahezu leergefegten Bühne (1. Akt), sozusagen im „leeren Raum“, großartiges Theater spielen kann. Im 2. Akt symbolisiert lediglich eine Weltkarte die Visionen Vascos, während Meyer im anschließenden Seebild ein fabelhafter Einfall für die Szenen auf dem Schiff sowie die bedrohlichen Meeresgewalten zu bescheinigen ist. Freilich nimmt sich dann im Finale der in eine Art Museumsvitrine verfrachtete Manzanillabaum reichlich befremdend aus. Überdenken sollte man zudem, ob die einigen Gesangsnummern angediehenen tänzerischen Kommentare (Choreographie: Anke Glasow) Gewinn bringen. Die wunderbaren Kostüme sind übrigens Sven Bindseil zu verdanken.

 Frank Beermann hatte diese Spielplanposition zur Chefsache erklärt und belegte mit beispielhaftem Einsatz an der Spitze der Robert-Schumann-Philharmonie, dass Meyerbeer allemal eine künstlerische Auseinandersetzung wert ist und etliche Größen ihrer Zeit (um nur Berlioz, Wagner oder auch Offenbach zu erwähnen) von der Beschäftigung mit diesem Manne profitierten, aber gleichermaßen das Schaffen dieser Komponisten nicht spurlos an Meyerbeer vorüber gegangen sein dürfte. Beermann kniet sich förmlich in die Partitur, ein Engagement, bei dem ihm lediglich das Blech in einigen Passagen nicht bedingungslos zu folgen vermochte.

Mit dem Lorbeer der überzeugendsten Gesamtleistung möchte ich den französischen Bariton Pierre-Yves Pruvot schmücken, dem ein Nelusko der Sonderklasse zu verdanken ist. Der Künstler gebietet über ein prachtvolles Stimmmaterial und eine fundierte Technik, die ihn die vokalen Hürden seiner Aufgabe quasi im Vorbeigehen meistern lassen. Darüber hinaus präsentiert er sich als Vollblutmime, der den Hass auf die Fremden ebenso eindringlich wie die treue, sich selbst verleugnende Liebe zu seiner Herrin ins rechte Bild setzt. Dem Vasco de Gama Bernhard Berchtolds gelang es überzeugend, den zwischen zwei Frauen schwankenden, innerlich zerrissenen Seefahrer zu gestalten. Für seinen ansprechenden lyrisch-jugendlichen Tenor erwies sich die Rolle als Grenzfall, da mangelt es der vokalen Attacke mitunter an Leuchtkraft, nahm sich manches Piano seltsam belegt aus. Und obschon sich der Sänger nicht ansagen ließ, mutmaßte ich, dass er evtl. von einer sich ankündigenden Erkältung beeinträchtigt wurde. Dem intriganten Don Pedro verlieh Kouta Räsänen die erforderlich stimmliche Autorität, in kleineren Aufgaben bewährten sich André Riemer (Alvar), Martin Gäbler (Diego) und der robuste Rolf Broman (Großinquisitor und Brahmapriester). Guibee Yang rührte die Zuschauer mit einer zu Herzen gehenden Verkörperung der Ines, die sie mit einer dementsprechenden, von einem erstaunlichen Reifungsprozess kündenden stimmlichen Wiedergabe krönte. Bewunderungswürdig, wie sie den koloraturgespickten Part ohne Mühen zelebrierte. Derlei Koloraturen hatte gleichfalls Claudia Sorokina (Selika) zu meistern, wobei diese nur ein Spektrum des breit angelegten, zum Lyrisch- Dramatischen tendierenden Rollenprofils bilden, dem die aus Taschkent stammende Sängerin in vorbildlicher Weise gerecht wurde.

 Vielleicht vergingen diese fünf Stunden nicht für jeden Betrachter wie im Fluge. Jedenfalls gewährten sie auf ambitionierte Weise die selten zu schließende Bekanntschaft mit einem Meyerbeer, der, wie es Kurt Pahlen einmal formulierte, „hier sein Bestes gab.“

 Joachim Weise

 

 

 

 

 

 

 

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