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CHEMNITZ: PARADISE RELOADED von Peter Eötvös

05.04.2015 | Oper

Chemnitz: „PARADISE RELOADED“ – 4. 4.2015

 Als die Chemnitzer Oper 2009 „Liebe und andere Dämonen“ von Peter Eötvös (gleichfalls als deutsche Erstaufführung) herausbrachte, erwiesen  sich die geplanten Vorstellungen als derart knapp bemessen, dass einige zusätzliche, wiederum nahezu ausverkaufte in den Spielplan aufgenommen werden mussten. Das Werk entpuppte sich als ausgesprochener „Publikumsrenner“, der in Bezug auf die Auslastung selbst sogenannte „Klassiker“ in der Zielgeraden überflügelte. Ein solcher Rekord dürfte „Paradise reloaded“ nicht ins Haus stehen, obschon Eötvös musikalisch erneut mit Außergewöhnlichem aufwartet. Für diese These spricht die durchwachsene Zuschauerzahl der von mir besuchten Aufführung, die von denen, die erschienen waren, immerhin mit überbordenden Akklamationen bedacht wurde.

 Im Vergleich zu der ungemein fesselnden, den Theaterfreund über das gewohnte Maß packenden Story bei“Liebe und andere Dämonen“ nimmt sich Albert Ostermaiers auf Imre Madachs „Tragödie des Menschen“ basierendes und von Eötvös im Verein mit seiner Frau Mari Mezei eingerichtetes Libretto eher von des „Gedankens Blässe“ angehaucht aus. Denn die Machenschaften von Lucifer. der mit Hilfe Liliths, Adams erster Frau, den Götterliebling zur Abkehr von der Menschheit bewegen will, überzeugen zwar in der Darstellung des Elends, das die Erdenbewohner einander zufügen und in der Vision einer steril geklonten Zukunft des Menschengeschlechts, aber dass die Adam in Aussicht gestellten zwiefachen Vaterfreuden (er hat Lilith und Eva geschwängert) den überforderten Mann von seiner skeptischen Weltsicht erlösen, dünkt mich allenthalben Behauptung denn Tatsache. So leicht lässt sich der gewiefte Lucifer gewiss nicht ins Bockshorn jagen.

 Ungeachtet dieser Zweifel erweist sich Eötvös bei der kompositorischen Umsetzung dieser Vorlage neuerlich als Vollblutmusiker ersten Ranges, der Ostermaiers Text nicht gefällig illustriert, sondern ihm eine Tiefe verleiht, die dem Libretto, für sich allein genommen, kaum eignet. Wie er dabei z. B mit dem Schlagzeug arbeitet und ihm die unterschiedlichsten Klangfacetten abgewinnt, wäre eine spezielle Betrachtung wert. Vom brachial aufbrausenden Tutti bis im Sphärenhaften verlöschenden Tönen ist in dieser zahlreiche prominente Kollegen zitierenden Partitur all das vorhanden, was einer Oper hier und heute zur Ehre gereicht. Eingangs Verstörendes, und das will nicht abschätzig gemeint sein, zwingt den Besucher zu einem bewusst konzentrierten Hören, und dank dessen wird man zunehmend einer eigenwilligen, unverwechselbaren Tonsprache gewahr, der man schließlich attestieren muss, dass sie der, wenn auch anfechtbaren Philosophie der Vorlage nur so und nicht anders auf hohem künstlerischen Niveau gerecht werden kann. Wenn sich der Vorhang schließt, verbleibt das aufrichtige Bedauern, nicht mehr davon zu vernehmen. Diesen berührenden Eindruck zu verinnerlichen, darf als das bleibende Verdienst der sich voll und ganz für Eötvös einsetzenden Robert-Schumann-Philharmonie gewertet werden, die unter der Leitung des den Meister persönlich kennenden und schätzenden Frank Beermann für eine Interpretation der Sonderklasse verantwortlich zeichnete, die nur gelegentlich  Gefahr lief, die Verständlichkeit der Sänger zu minimieren. Doch in diesem Zusammenhang schufen Übertitel für Abhilfe.

 Regisseurin Helen Malkowsky verlegt mit ihrem Bühnenbildner Hermann Feuchter die Handlung in ein vom Zahn der Zeit benagtes Hotel Eden, dessen einst paradiesisches Flair längst der Vergangenheit angehört. Feuchters schlichte Lösung ermöglichte rasche Verwandlungen, die eine von militanten Gräueln zerstörte Welt ebenso ins genaue Bild setzten wie den Albtraum einer sterilen Zukunft. Die der Konzeption entsprechenden schmucklosen Kostüme steuerte Henrike Bromber bei. Obwohl Eötvös keinesfalls mit der menschlichen Stimme auf Kriegsfuß steht, fordert er dieser (vermutlich, weil er sie liebt) nicht Alltägliches ab. Dem stellte sich, die vertrackten Koloraturen perfekt meisternd, Marie-Pierre Roy (Eva) in bewundernswerter Weise. Auch Frances Pappas als Lucifer für ihre Zwecke vereinnahmende Lilith stand dem in ihrer dramatischer angelegten Partie kaum nach. Der sich zuweilen etwas anämisch ausnehmende Tenor von Mark Van Arsdale (Adam) präsentierte sich im Hinblick auf diese mit Bedacht gewählte Klangfarbe als ideale Verkörperung eines zwischen mehreren Stühlen einfach nicht zum Sitzen kommenden Mannes. Mit seinem kernigen, anerkennenswert differenziert eingesetzten Bariton glückte Holger Falk ein darstellerisch und stimmlich erstaunlich variabler Lucifer, der gerissen, gefährlich und komisch zugleich agierte. Als gefallene Engel bereicherten André Riemer, Andreas Kindschuh und Kouta Räsänen das Spiel, während die Damen des Orakels infolge Erkrankung einer der ihren mit einer Notlösung zum Werk schreiten mussten. Zu Maria Hilmes und Guibee Yang gesellten sich die Assistenzregisseurin Sabine Sterken als Darstellerin sowie eines der Blumenmädchen der dieser Tage gezeigten „Parsifal“-Inszenierung – Katharina von Bülow, am rechten Bühnenrand die vokale Aufgabe übernehmend. Leider verlässt Frank Beermann im kommenden Jahr die Chemnitzer Oper. Hoffen wir auf einen Nachfolger, der dem Werk von Peter Eötvös ebenfalls Anerkennung zollt.

 Joachim Weise

 

 

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