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CHEMNITZ: NORMA

17.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Chemnitz: „NORMA“ – 16. 3.2014

 Dies war, von einer konzertanten Wiedergabe vor rund 15 Jahren abgesehen, die erste Chemnitzer Nachkriegs-„Norma“. Erleben konnte man eine Aufführung von beträchtlichem musikalischem Niveau in einer Koproduktion mit der North Opera Leeds, wo Christopher Aldens Inszenierung 2012 den Theatre Award UK errang. Der Regisseur verlegt die Handlung in ein nicht näher definiertes Dorf zu Anfang des 19. Jahrhunderts, das von zwei Vertretern (Pollione und Flavio) des aufsteigenden Kapitalismus heimgesucht wird. Dies bringt Probleme mit sich, die allerdings kaum  mit denen des Originals identisch sind und sich einigermaßen mit dem per Übertitelung vermittelten Text des Librettos beißen. Auch die bereits dort enthaltenen Unwahrscheinlichkeiten (die beiden vor dem Clan geheimgehaltenen Schwanger- und Mutterschaften der Priesterin, der kaum nachvollziehbare Sinneswandel Polliones im Finale) werden hierdurch nicht plausibler. Dafür feiern im Einheitsbühnenbild Charles James Edwards‘ die Szene dominierende Stühle fröhliche Urständ, wird das etwas handlungsarme Geschehen aufgepeppt, indem man den trunkenen Mädchenschänder Flavio (André Riemer) von der aufgebrachten Menge lynchen lässt. Völlig unlogisch dünkt ferner, dass sich die Einheimischen im Beisein ihrer Bedrücker zu konspirativen Zusammenkünften einfinden. Beeindruckende Details (die Gläubigen ächten Norma nach ihrem Schuldbekenntnis) wiegen solche Einwände nicht auf. Die den Vorgaben Aldens nachkommenden ansprechenden Kostüme hatte Sue Willmington entworfen.

 Zum Glück präsentierte sich die musikalische Seite weitaus gültiger. Von einigen Unausgeglichenheiten während der Ouvertüre abgesehen, musizierte die Robert-Schumann-Philharmonie unter der animierenden Leitung Felix Benders einen klangschönen, die Reize der Partitur herausarbeitenden Bellini, der bei aller Sängerfreundlichkeit keineswegs dramatischer Impulse entbehrte. Die von Simon Zimmermann einstudierten Chöre fügten sich trefflich diesem Klangbild ein.

 Annemarie Kremer in der Titelpartie muss als Glücksfall bewertet werden. Wie die zierliche Sängerin auf der Basis eines eher lyrischen Fundamentes den enormen Anforderungen der Partie gerecht wurde, verdient höchste Anerkennung. Aus den nahezu überirdischen Sphären der „Casta diva“ wechselte sie zu einer rasanten Cabaletta, deren Vehemenz und Ausdruckskraft keinen Wunsch offen ließen. Im weiteren  Verlauf des Nachmittages bot sie sowohl in der aufbegehrenden Auseinandersetzung mit Pollione als auch in den innigen Zwiegesängen mit Adalgisa eine souveräne Interpretation, die selbst in den für einen Sopran unbequemeren tiefen Lagen ohne zu „mauern“ auskam. Ihr in allen Belangen ebenbürtig die Adalgisa Tiina Penttinens, deren vorzüglich disponiertem Mezzo wahre Sangeswonnen glückten. In dieser Rolle bescherte uns die finnische Künstlerin ihre bislang reifste Leistung, ein erfülltes Singen, dem sie darstellerisch anrührende Nuancen beimengte. Gegenüber diesen Damen fiel Timothy Richards ab. Zwar meisterte er die gelegentlich behutsam angesteuerten Höhen ohne Fehl und Tadel, offerierte aber insgesamt einen Pollione derberen Zuschnitts, dessen ein wenig „weißem“ Timbre es an der erforderlichen „Italianità“ gebrach. Die von ihm glaubhaft eingebrachte Kritik an der Rolle warf freilich die Frage auf, wie es einem solchen Durchschnittstyp gelingen konnte, gleich zwei Damen des gegnerischen Lagers für sich zu vereinnahmen. Kouta Räsänen gab einen schönstimmigen Orovisto, der nach Normas Offenbarungseid seines Chefpostens verlustig geht. Am Ende der Aufführung dient ausgerechnet der die Szene dominierende heilige Baum der Glaubensgemeinschaft als Holzstoß für den Feuertod Normas und Polliones. Hat somit der Kapitalismus endgültig seinen Einzug gefeiert?

 Joachim Weise

 

 

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