Chemnitz: „Don Pasquale“ – 31. 5. 2018
Für diesen dritten „Pasquale“ nach 1945 hatte die Theaterleitung das Publikum eingeladen, von drei Inszenierungsteams, die sich aus Bewerbern für den Ring Award 2017 in Graz rekrutierten, dasjenige zu küren, dessen Konzeption am ehesten den Vorstellungen der Chemnitzer entsprach. Mit dem Siegeslorbeer durften sich der Regisseur Nils Braun und dessen Szenograph Oliver Burkhardt (auch Kostüme) schmücken. Diesen Wechsel auf die Zukunft lösten die beiden jungen Männer nun zur vollsten Zufriedenheit des Auditoriums (und wohl auch der Kritik) ein, nahmen sie doch den Maestro aus Bergamo bei Wort und Ton, bereiteten der Buffa mit einem ebenso phantasievollen wie unaufwendigen Bühnenbild eine exzellente Spielfläche, auf der sich die kostbaren Kostüme als zusätzlicher Blickfang erwiesen. Lediglich bei dem Habit für den „povero Ernesto“ scheint Burkhardt die Puste ausgegangen zu sein, denn einen in puncto Körpergröße einigermaßen benachteiligten Tenor derart ungünstig auszustaffieren, stellt für mich das einzige Negativum dieser Produktion dar.
Eine Frau inmitten dreier Junggesellen – diese Situation bezeichnet Braun als „Löwenkäfig der Liebe“, hinterfragt speziell die Figur des Malatesta , in dem er einen „Advocatus Diaboli“ zu erkennen vermeint, der gleichfalls ein Auge auf die aparte Norina geworfen hat. Als dessen Widerpart führt der Regisseur einen stummen Amor (Yves Klemm) ein, dem die Aufgabe zufällt, dem mephistoverwandt kostümierten Dottore das Handwerk zu legen. Diese etwa ungewohnte Sicht beschädigt das Werk jedoch auf keinen Fall. Und wie die Regie außer Klemm zwei weitere Komparsen (Gabriele Noack, Andreas Uhlig) als Bedienstete Norinas bzw. Pasquales mit umfangreichen Aufgaben in das Geschehen integriert, verdient uneingeschränkte Anerkennung. Darüber hinaus imponierte, wie der Auftritt des vermeintlichen Notars eben nicht als billige Komödienstadelnummer serviert wird. Freilich erwies sich der mit dieser Rolle betraute André Eckert auch als ausgesprochene Luxusbesetzung. Lediglich für die Umsetzung des sich im antiken Gewand präsentierenden Dienerchores (Einstudierung: Pietro Numico) wäre eine komödiantischere Version denkbar gewesen. Aber das kommt schon Klagen auf hohem Niveau gleich.
Am Tage der Aufführung wurde Sachsen von nahezu subtropischen Temperaturen heimgesucht – gewiss ein Grund dafür, dass der Besuch der Aufführung dermaßen schütter ausfiel und u. U. auch die Mitwirkenden dieser Tatsache ihren Tribut entrichten mussten. Dieser Verdacht stellte sich mir besonders bei Silvia Micu (Norina) ein, die die Spitzentöne ihrer koloraturengespickten Kavatine nur vorsichtig antippte, ansonsten mit einer darstellerisch und stimmlich gleichermaßen ausgeglichenen Interpretation gefiel. Noé Colin (Pasquale) wurde glücklicherweise davor bewahrt, die Figur zum senilen Deppen zu degradieren, gestand dem in die Jahre gekommenen Hagestolz etliche menschlich liebenswürdige Züge zu. Sein Bass strömt Wärme und Wohllaut aus. Allerdings befleißigte sich der Sänger an diesem Tag einer vokalen Zurückhaltung, die mitunter Gefahr lief, von dem keinesfalls auftrumpfenden Orchester übertönt zu werden. Wenn der geplagte Don schließlich bei einem ihn verkörpernden Püppchen Zuflucht sucht und sich diesem liebevoll zuwendet, wird damit nicht nur das Selbstmitleid des Titelhelden dezent karikiert, sondern erzählt dieses Detail gleichermaßen vom Gefühl und Gemüt des Inszenierungsteams. Als Ernesto wartete Cosmin Ifrim bei leicht verschatteter Tongebung mit einer durchweg begeisternden Leistung auf. Die zahlreichen Pianopassagen des Parts servierte er voller Wonne, knickte andererseits vor Spitzentöne nicht ein, denen er strahlenden Glanz verlieh. Eine geringfügige Unebenheit während seiner von der Trompete assistierten Kavatine sei ihm voll und ganz verziehen. Spaß an der Freud‘ zeichnete den Malatesta Andreas Beinhauers aus, dem es noch ein wenig an Schmelz und Glanz für diese belkantistische Herausforderung gebricht. In den Wettbewerb um halsbrecherische Zungenfertigkeit (Gartenduett mit Pasquale) brachte er sich ohne Verluste ein.
Die musikalische Leitung dieser Vorstellung oblag Kevin Griffiths, Chefdirigent des Collegium Musicum Basel und engagierter Förderer zeitgenössischen Schaffens, der sich bravourös auf dem Gebiet der Opera buffa zurechtfand und die Mitglieder der Robert-Schumann-Philharmonie zu einer zündenden, von Champagnerlaune erfüllten Wiedergabe der Donizettischen Partitur animierte.
Joachim Weise