Chemnitz: „DON GIOVANNI“ – 3. 2.2014
In seiner Deutung von Mozarts genialem Opus verquickt Regisseur Michael Heinicke einen Mythos der Neuzeit mit einem der Antike entlehnten: Don Juan wird konfrontiert mit Tisiphone, einer der drei Erinnyen, die Verstöße wider die gesellschaftliche Norm unerbittlich mit Wahnsinn und Tod ahnden. Diese Tisiphone (verkörpert von der Tänzerin und Choreographin Katja Erfurth) taucht nach dem Mord am Komtur an den Brennpunkten der Handlung auf, um dem Frauenhelden sein baldiges Ende in Aussicht zu stellen, ihn quasi (erfolglos) in seinem Tatendrang zu hemmen. Freilich nimmt sich dieser konzeptionelle Aufhänger recht bemüht aus. Ich wage zu bezweifeln, ob ein in der griechischen Mythologie wenig bewandertes Publikum dergleichen reibungslos verdaut. Und weil die Oper mit einem Tötungsdelikt anhebt und der ruchlose Verführer bekanntlich im Hades endet, spielt sich das Geschehen der Einfachheit halber (oder aus Sparsamkeitsgründen?) durchweg auf einem Gottesacker ab, für den Peter Sykora zwar eine ästhetisch ansprechende Lösung fand, die den unterschiedlichen Handlungsorten jedoch nur unter geballter Inanspruchnahme der Fantasie des Zuschauers gerecht wird und selbst dann mit der Logik des Geschehens hadert. Diesen Eindruck ein wenig zu dämpfen, greift man auf die deutsche, mit gelegentlichen Ausrutschern in einen heute üblichen Gassenjargon aufgemotzte Übertragung Georg Schünemanns zurück. In Bezug auf Maske (Nadine Wagner) und Kostüme (gleichfalls Sykora) gemahnt einiges an die Commedia dell’arte, wobei sich die Gewänder für die Damen Anna und Elvira sowie den Herrn Ottavio recht gewöhnungsbedürftig ausnehmen und deren Trägern kaum zum Vorteil gereichen.
Für den Titelhelden war mit Andreas Scheibner ein altgedienter Protagonist des nicht nur deutschen Musiktheaters verpflichtet worden. Wie der mittlerweile 63-jährige die Vorgaben der Regie verinnerlichte und einen keinesfalls in die Jahre gekommenen Mann von beträchtlicher Wendigkeit vorführte, verdient Anerkennung. Die aus der Begegnung mit Tisiphone resultierenden, Brutalität auslösenden Zweifel an seiner erotischen Potenz, eine mit einer gewissen Komik gepaarte kritische Sicht auf die Figur belegen seinen Vorsatz, den Intentionen der Regie gerecht zu werden. Den „Womanizer“ nahm ich ihm weniger ab, zumal es auch seinem kaum charakteristisch timbrierten Bariton an erotischer Ausstrahlungskraft gebricht. Dass man die seinem Stimmtypus gewiss zuträgliche Arie „Ihr geht nach jener Seite hin“ strich, ist in diesem Zusammenhang bedauerlich. Den Diener Leporello, der seinen Herrn mittels eines in letzter Sekunde zugesteckten Dolches vor den ihm vom Komtur zugedachten Würgetod bewahrt (eine an den „Bajazzo“ erinnernde, herbeigeholte Lösung), gab Martin Gäbler, der in der Registerarie mit saftigeren Tönen aufwarten müsste und auch in der Tiefe nicht vollkommen überzeugte. Aber, wie soll ein Sänger, der in fast allen Inszenierungen des Hauses auch die sogenannten Comprimarii-Rollen übernehmen muss, noch Muße zur Pflege seines Arbeitsinstrumentes finden? Ähnliches trifft auf André Riemer zu, dem gleichfalls zuzüglich zum Lyrischen Fach etliche Chargen von der Oper bis zum Musical zugewiesen werden, so dass sein Ottavio im Hinblick auf Wohllaut und Ausdruck eher in Richtung eines uneingelösten Versprechens tendierte. Eine auf Buffo-Unarten weitgehend verzichtende, erfreuliche Studie lieferte der bewährte Andreas Kindschuh (Masetto). Die Vorzüge seines seriösen Basses brachte Kouta Räsänen für den Komtur ein. Als Donna Anna absolvierte Maraike Schröter ihr Chemnitzer Debüt. Dabei glückten ihr vor allem die lyrischen Passagen des Parts, während die Leidenschaft, das innere Feuer der Rolle nicht ihre Sache waren und sie sich in dem ihr zugedachten Kostüm auch darstellerisch gehemmt fühlen musste. Leider kam die Donna Elvira den stimmlichen Möglichkeiten der verdienstvollen Mezzosopranistin Tiina Penttinen allenfalls im Ansatz entgegen. Mit dieser Besetzung erwies ihr die Leitung keinen Gefallen. Somit sang und spielte sich Guibee Yang (Zerlina) zum wiederholten Male in die erste Reihe, wenngleich sie als Gilda oder Pamina noch Stimmigeres vorlegte.
Der Lorbeerkranz dieses Theaterabends gebührt jedoch der Robert-Schumann-Philharmonie, die unter der Leitung von Felix Bender, dem neuen 1. Kapellmeister des Opernhauses, eine Leistung der Sonderklasse bot und, ungetrübt von minimalen Ausrutschern, dem Auditorium pures Mozartglück bescherte. Bereits bei den wuchtigen Eingangstakten der Ouvertüre sagte sich ein „Aufgemerkt“ an, wurde den Besuchern eine ungeteilte Konzentration abverlangt, deren Lohn in einem fabelhaften Musizieren bestand, das mit den Sängern atmete, nie im Unverbindlichen versandete und dem Genius des Komponisten auch dort unbeirrt nachspürte, wo die Inszenierung auf verworrene Pfade geriet. Und wen diese Pfade zu unwegsam anmuteten, den versöhnte ein Blick auf das hochgefahrene Orchester.
Joachim Weise