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CHEMNITZ: DON CARLOS

03.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Chemnitz: „DON CARLOS“ – 2. 3.2014

 Nach über sechzigjähriger Absenz bedeutete dieser „Don Carlos“ für die Chemnitzer Oper mehr als eine Bringepflicht. Der Pflicht ward Genüge getan, was in der vieraktigen, 1884 für Mailand angefertigten Fassung gebracht wurde, überzeugte weniger. Und wenngleich der Verzicht auf den Fontainebleau-Akt immer einen Verlust bedeutet, war man in Chemnitz wahrscheinlich der Ansicht, für die auserkorene Version im Falle von Erkrankungen leichter einen Gast zu finden als für das französische Original. Dieser Entschluss zahlte sich in Bälde aus, als zu der von mir besuchten Vorstellung anstelle des erkrankten finnischen Tenors Christian Juslin in buchstäblich letzter Minute der Südkoreaner Andrea Shin (Karlsruhe) für die Titelpartie gewonnen werden konnte.

Helen Malkowsky siedelt das Geschehen heutigentags in einer Art von der Kirche dominierten Bananenrepublik an, die allüberall vom sakralen Sicherheitsdienst durchsetzt ist. Dieser Dienst rekrutiert bei Hofe den schleimig-devoten Grafen Lerma (in steter Präsenz Edward Randall) als willfährigen Helfer. Freilich muss da die Historie recht unverfroren zurechtgebogen werden, nimmt man wider besseres Wissen Geschichtsklitterungen in Kauf, die dem Betrachter schon zu Beginn des 1. Aktes ins Auge springen, wo Philipp am Hochzeitsmorgen im Verein mit dem Großinquisitor seinen Vater Karl zum Rücktritt zwingt. Nicht nur aus dem Programmheft geht klar hervor, dass der Kaiser freiwillig dem Thron entsagte und zur  Ankunft Elisabeths in Spanien bereits zwei Jahre das Zeitliche gesegnet hatte. Aber ohne einen solch herbei gesuchten Kunstgriff mangelte es der Regisseurin wohl an einem geeigneten Aufhänger für ihre Konzeption. Diese Ansiedlung in der Gegenwart hat leider (wie so oft) zur Folge, dass den Figuren eine entsprechende Ausstrahlung verweigert wird, sie an Format verlieren und durchschnittlich erscheinen. Da wirbeln Carlos und Posa bei ihrer Wiederbegegnung zunächst einmal das Arbeitszimmer Philipps, in dem sie nichts verloren haben, gehörig durcheinander. Immerhin haben sie danach mit dem Aufräumen zu tun und müssen nicht nur an der Rampe verweilen. Nach solcher Anstrengung dünkt es nur logisch, dass sich Carlos in Erwartung  Elisabeths erst einmal am Hochzeitsbüfett stärkt, und weil er natürlich erregt ist, darf ihm getrost die Serviette aus der Hand fallen; beim Autodafé überkommt den Herrscher eine Vision von der Machtergreifung des Sohnes, die ihn dazu verleitet, sich wie ein Veitstänzer aufzuführen. Angesichts solcher Schmach wollen wir ihm während seines Monologes den Griff zu Fernbedienung und Alkohol verzeihen. Ob Carlos letztendlich der Inquisition überantwortet oder deren Zugriff entzogen wird, bleibt offen.

Für die Gesamtausstattung zeichnete Kathrin-Susann Brose verantwortlich, die mittels der Drehscheibe rasche Bildwechsel anstrebte, jedoch gewisse Anleihen beim Boulevardtheater („Tür auf – Tür zu“) nicht verleugnen konnte. Wenn zu Beginn des 2. Aktes die erforderliche Stimmung eines Parks nur dadurch hervorgerufen wird, dass Carlos per Fernbedienung einen Wald auf die Wände der königlichen Gemächer zaubert, kommt sich der Zuschauer einigermaßen verschaukelt vor. Die Kostüme entsprachen den Intentionen der Regie, wobei der Entwurf für das Gewand Elisabeths im letzten Akt alles andere als kleidsam ausfiel. Einen Höhepunkt erreichte die Aufführung, ungeachtet der genannten Einwände, beim Autodafé, indem der frontal zum Publikum positionierte Chor von der Bildfläche verschwindet und der Auftritt der flandrischen Gesandten einem speziellen Raum vorbehalten bleibt. Hier wird eine Distanz angestrebt, die überzeugt und die Abgeordneten als keinesfalls moralisch überlegen demaskiert. In krassem Gegensatz zu dieser Ironie führt uns ein weiterer Schwenk der Drehscheibe in eine Folterkammer der Inquisition, wo die gepeinigte Gräfin von Aremberg /Stimme von oben (Guibee Yang) für den Holzstoß vorbereitet wird. Solch eindrucksvoller Lösungen hätte es für die gesamte Inszenierung bedurft.

Musikalisch stimmte die Vorstellung versöhnlicher. Allerdings konnte ich mich nicht des Verdachts erwehren, dass Frank Beermann dem Bühnengeschehen mit einer gewissen Skepsis begegnete und folgerichtig vorrangig darauf bedacht war, den Mitwirkenden gemeinsam mit der Robert-Schumann- Philharmonie zur Seite zu stehen und diese an keiner Stelle zu übertönen. Dies glückte ihm ohne Abstriche, obschon es mitunter eines mahnenden Blickes des Dirigenten in Richtung Blech bedurfte. Makellos präsentierten sich die von Simon Zimmermann einstudierten Chöre. Bewunderung nötigte ab, wie sich der bereits erwähnte Gast Andrea Shin der ihm unvertrauten Inszenierung einfügte und dabei seinem männlich timbrierten Tenor ohne Mühe die erforderlichen Höhen abverlangte, differenziertere vokale Schattierungen wären in diesem Zusammenhang noch wünschenswert. Ihm zur Seite stand sein Landsmann Adam Kim (Posa) mit kräftig ausladendem Bariton, den er in der Sterbeszene, einem alles andere als animierenden  Bühnenbild trotzend, mit Bedacht zügelte. Philipp II. lieh Tuomas Pursio seine noble Gesangskultur, die den berühmte Monolog nachhaltig formte. Einen blinden, neunzigjährigen Greis, bei dessen Auftritt einem das Blut in den  Adern gefriert, hatte Helen Malkowsky bei ihrer Anlage des Großinquisitors wohl kaum im Sinn, musste der gute Mann doch einigermaßen rüstig durch fast alle Bilder geistern. Kouta Räsänen meisterte es mit Anstand. Als Elisabeth bewährte sich Karine Babajanyan mit jugendlichem Feuer, der erforderlichen „Italianità“ und subtilen Pianopassagen, eine vorbildliche Leistung, der Anna Daniks leidenschaftliche Eboli nur in puncto der ausgeglichenen Stimmführung um ein Winziges nachstand. Karl V. profitierte vom prächtigen stimmlichen Einsatz Matthias Winters.

  Joachim Weise

 

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