CD SHOSTAKOVICH: Symphonien Nr. 4 und 5, ALAIN ALTINOGLU dirigiert das Frankfurt Radio Symphony Orchestra; Alpha
Start einer neuen, vielversprechenden Gesamteinspielung!

Je nachdem, wie man sich dem symphonischen Werk von Dmitri Shostakovich nähert, hallen auch die musikalischen Wiedergaben nach. Sieht man in der Musik primär den mit Sarkasmus getränkten versteckten bitteren Spott auf ein Regime, das ihn nach der Uraufführung seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ unheimlich triezte oder erkennt man in Shostakovich den final sowjetisch angepassten Neuerer, der mutig in der Sprache und innovativ in der Sache inhaltlich „Archetypen der Symphonie im sozialistischen Realismus“, also Werke mit „Stärke, ideologischer Tiefe und Klarheit in der Vermittlung bestimmter, vitaler Inhalte“ (Aleksandr Ostretsov), schuf. Das diesbezügliche Engagement sah Shostakovich jedenfalls als verantwortungsvolle Ehrensache eines sowjetischen Komponisten. In dem Zusammenhang mit der Erneuerung der sowjetischen Symphonie war für Shostakovich auch der Name Gustav Mahler von Bedeutung. Nicht zufällig ist Shostakovich neben Mahler der bedeutendste symphonische Komponist des 20. Jahrhunderts geworden.
Die Symphonien Nr. 4 und 5 mögen der Rezeption nach für das eine wie das andere stehen. Oder aber man macht sich daran, im Subkontext immer den komplexen subjektiven Kern von Shostakovich Kompositionen mitzufühlen, eine Art mega verästelte Klangreise durch sein Leben und die seelischen Unterströmungen, die das mit sich bringt, anzutreten. Ob es sich um eine monumentale klingende Künstlerbiografie eines formal ungeheuer begabten Tonsetzers auf dem Grat zwischen in den Himmel gehoben werden und totalem Absturz handelt oder um ein größeres universelles Abbild der aufgeputschten Höhen und entsetzlichen Tiefen der Menschheit inmitten von ideologisch motivierten Kriegen und Totalitarismus besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder alles zusammen, möge jede/r für sich selbst heraushören.
Alain Altinoglu und das Radio-Sinfonieorchester Frankfurt haben jedenfalls mit der Publikation der ersten Puzzlesteine des anspruchsvollen Projekts, der Symphonien Nr. 4 und 5 ein den aktuellen Menschen und seine universelle Bedingtheit ins Zentrum setzende Deutung gewagt.
Sofort stechen die klangliche Brillanz des Orchesters, die rhythmische Prägnanz und das Suchen nach verschiedentlichen Zwischentönen mittels eines dynamisch weit gespannten Ausdrucksspektrums sowie die audiophile, räumlich klare Aufnahmetechnik hervor. Derart verwöhnt, kann sich der Hörer dran machen, dieses in seinen harten Kontrasten so reiche und darin auch objektivierbare Universum zu erkunden. Da scheint mir der im Booklet zitierte Spruch von Prof. Boris Gasparov über die „Vierte“ für die Kennung der Symphonie passend, aber ergänzungswürdig: „Der Held in Shostakovich sinfonischer Erzählung erwacht und betrachtet das ganze Grauen der Welt, in die er hineingeworfen wurde, eine Welt voller Angst und Leid.“ Aber wie das halt mit uns Menschen so ist, so erweisen sich die seelischen Mechanismen als komplizierter und segensreich. Inmitten der größten Katastrophen gibt es ein Lachen über das Dasein und rührig kontemplative Momente, Strategien, die uns dabei helfen, zu überleben. Man höre dazu etwa das Flirren und Surren der Streicher, die eigentümliche Anmut im Moderato con moto der Vierten.
Was mir an den Aufnahmen noch gefällt: Alain Altinoglu überstrapaziert nichts, er bietet eine technisch hochpräzise Wiedergabe, die wüten und toben, aber auch mal spätromantisch irisierend oder witzig klingen darf. Bei aller Liebe zum Detail hält Altinoglu den großen erzählerischen Bogen straff gespannt.
Das Frankfurt Radio Symphony erstaunt immer wieder mit ungeheurem orchestralen Glanz (vor allem Blech und Holz) und einer das Ganze umfassenden, proportionierten Balance der Stimmgruppen. Damit wollen wir es diesmal bewenden lassen, nicht jede Besprechung muss zu einer These ausarten.
Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger

