CD: Joseph Swensen Saga Trilogy b•records,LBM082
„Klangkosmos mit Ansage – Joseph Swensen und seine Saga-Trilogie auf b•records“

Es gibt CDs, bei denen man nach zwei Minuten denkt: Moment, was war das denn? Joseph Swensens „Saga Trilogy“ gehört eindeutig zu dieser Sorte. Kaum startet die Aufnahme, spürt man, wie sich etwas im Raum zusammenbraut. Etwas Großes. Kosmisch, sagt der Pressetext – und das ist ausnahmsweise keine Übertreibung.
b•records, die ja gerne musikalische Abenteuer auf Hochglanz polieren, serviert hier eine Mischung aus Sinfonie, Ritual und Science-Fiction-Soundtrack. Laut Begleitheft ist es ein „intimes und kosmisches Fresko“. Wer da nicht gleich an Weltraum-Yoga denkt, hat die Pandemie wohl anders verbracht. Trotzdem: Das Ding funktioniert. Auf eine seltsam faszinierende, manchmal leicht verstörende Weise.
Es fängt an mit einem Geräusch, das man nicht sofort zuordnen kann. Irgendwo zwischen grollendem Tier und rebellischem Kühlschrank. Der Kontrabass knurrt, zögert, knurrt wieder – und zieht dann alles mit sich. Das Orchester folgt, als hätte jemand „Angriff!“ gerufen. Swensen liebt offenbar das Chaos, oder besser: das kontrollierte Unkontrollierte.
Dann das Agitato – wild, fauchend, trotzig. Esther Brayer tobt sich am Bass aus, mit einer Energie, bei der man unwillkürlich an Extremsport denkt. Und wenn das Ganze droht zu entgleisen, kommt plötzlich dieses Andante, das die Lage beruhigt, als hätte jemand die Welt kurz auf „Pause“ gestellt. Danach fühlt man sich ein bisschen erschöpft, aber auf merkwürdige Weise gereinigt.
Der zweite Teil beginnt zart, mit fernöstlich anmutenden Klängen, irgendwo zwischen Tempelgong und Tagtraum. Das Cello setzt ein – Jonathan Swensen, der Sohn des Komponisten, spielt, als würde er einem alten Mythos auf den Grund gehen. Und ehe man sich versieht, taucht Bach auf. Natürlich. Dessen Toccata scheint Swensen wie einen Joker in der Hinterhand zu halten.
Im Scherzo jagt das Cello durch das Orchester wie ein gehetzter Gedanke. Das Ensemble reagiert darauf mit ironischen Kommentaren, kleinen rhythmischen Seitenhieben. Manchmal ist das überfordernd, manchmal wunderbar. Es ist Musik, die einen nicht fragt, ob man mitkommen will – sie zieht einen einfach mit.
Und dann die Aria. Wieder Bach, diesmal als Ruhepol, als Erinnerung daran, dass auch im größten Chaos ein Hauch von Ordnung wohnen kann. Das Cello singt, das Orchester lauscht. Für einen Moment hat alles Sinn, selbst die wildesten Klangverirrungen zuvor. Und man merkt, dass Swensen eigentlich ein Romantiker ist – einer, der sich nur ungern dabei ertappen lässt.
Kaum hat man sich von der „Saga“ erholt, schiebt sich „Song of Infinity“ ins Bewusstsein, als öffne jemand heimlich eine Tür ins Überirdische. Wieder erklingt Bach, diesmal in schemenhafter Erinnerung. Eine Klarinette erhebt sich daraus, beinahe schüchtern, wie ein Geist, der nicht sicher ist, ob er hier willkommen ist.
Dann dieser Choral – inspiriert von Messiaen, und ja, man hört das. Die Farben, die Lichtblitze, die schwebenden Harmonien, all das ist messiaenesk durch und durch. Der Chor des Opéra National de Bordeaux singt hingebungsvoll, ein bisschen zu brav vielleicht, aber das macht nichts. Es ist ein Moment der Demut, und das will was heißen in einem Werk, das sonst vor Selbstbewusstsein nur so strotzt.
Joseph Swensen dirigiert mit der Energie eines Mannes, der weiß, dass er hier etwas Bedeutendes in den Raum gestellt hat – und trotzdem lacht. Zumindest wirkt es so. Das Orchestre National Bordeaux Aquitaine folgt ihm mit Hingabe, mal mit stoischer Präzision, mal mit der leicht verzweifelten Freude, die entsteht, wenn man mitten im Unvorhersehbaren steht.
Klanglich ist das Album hervorragend eingefangen – alles wirkt nah, körperlich, manchmal zu nah, als stünde das Orchester heimlich im Wohnzimmer. Aber das passt. Diese Musik will nicht im Museum hängen, sie will leben, atmen, sich reiben.
Zugegeben: Einfach ist das nicht. Wer beim Hören nebenbei Mails checkt, wird nach fünf Minuten nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Doch wer sich darauf einlässt, bekommt eine Erfahrung, keine bloße Aufnahme. Etwas zwischen spiritueller Expedition und waghalsigem Experiment.
Vielleicht ist das genau, was man nach den letzten Jahren braucht: Musik, die sich nicht um Gefälligkeit schert, sondern einfach existiert. Swensen hat ein Werk geschaffen, das man nicht so schnell vergisst – und das man vermutlich erst nach dem dritten Hördurchgang richtig versteht. Aber das ist ja das Schöne daran: Es lässt Raum. Für Staunen, für Irritation, vielleicht sogar für ein bisschen kosmische Gelassenheit.
Wenn der Urknall einen Soundtrack hätte – vermutlich klänge er so.
Dirk Schauß, im Oktober 2025
Joseph Swensen
Saga Trilogy
b•records,LBM082

