CD „HEUT‘ IST DER SCHÖNSTE TAG“ – MARTIN MITTERRUTZNER singt Tenorschlager der 1930er Jahre; SWR Music
„Ich küsse Ihre Hand, Madame, und träum’, es war Ihr Mund.
Ich bin ja so galant, Madame, und das hat seinen Grund.
Hab’ ich erst Ihr Vertrau‘n, Madame, und Ihre Sympathie,
wenn Sie erst auf mich bau’n, Madame.
Ja, dann werden Sie schau’n, Madame
Küss’ ich statt Ihrer Hand, Madame,
nur Ihren roten Mund.“
Fritz Rotter
Di Stefano, del Monaco, Corelli, Pavarotti, Domingo, sie alle taten es. Wunderlich, Schreier und Kaufmann ebenso. Die berühmtesten italienischen Schnulzen (neapolitanischen Volkslieder) waren ihnen nur allzu Recht, sei es als Draufgabe in Konzerten, oder vielleicht nicht zuletzt, um ihre (weiblichen) Fans auf Tonträgern mit romantischen Schluchzern und Seufzern zu beglücken, und am Ende die stimmensüchtige Klientel mit standesgemäß brillant bis gockelhaft geschmetterten hohen Noten erschauern zu lassen. „Non ti scordar di me“ (Ernesto de Curtis), „O sole mio“ (Eduardo di Capua), „Marechiare“ (Franceso Paolo Tosti“ oder “Santa Lucia“ (Teodoro Cottrau) gaben dazu die geeigneten vor PS nur so brummenden Vehikel ab, um Popularität vorzuschützen und dabei die Kassen klingeln zu lassen. Die deutsche Tenorriege wollte da natürlich mit Schlagern wie Richard Taubers „Du bist die Welt für mich“, „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frauen“ von Robert Stolz oder Ralph Erwins „Ich küsse Eure Hand, Madame“ in Nichts nachstehen. Manche wagten sich sogar an Ur-Wienerisches wie „Wien, Du Stadt meiner Träume“ von Rudolf Sieczynski.
Der fesche lyrische Tenor Martin Mitterrutzner tut es auch, und dabei könnte man es eigentlich bewenden lassen, wenn er nicht um so viel besser und (bei den deutschen Gassenhauern) authentischer als die meisten seiner (viel) berühmteren Tenorkollegen wäre. Die 30-er Jahre erleben derzeit auch dank Serien wie „Babylon Berlin“ bzw. der Wiederaufführung rarer Berliner Operetten oder anderer beschwingter Musikabende an der Komischen Oper Berlin („Heute Nacht oder nie“ – „Die Spoliansky Revue“) wieder mehr Aufmerksamkeit. Barrie Kosky hat verstanden, dass es für diese wunderbaren leicht und erotischen Nummern von Paul Abraham oder Nico Dostal anderer oder anders geführter Stimmen bedarf als schwerer Opernkaliber. So besetzte er „Eine Frau, die weiß, was sie will!“, “Ball im Savoy“ oder „Clivia“ mit Dagmar Manzel oder den Geschwistern Pfister.
Martin Mitterrutzner ist ein genuin lyrischer Tenor mit erstklassig fokussierter, strahlkräftiger Stimme und schlanker Höhe, der mit Mozart genauso brilliert wie mit Barockem und gleichermaßen im Operetten- oder italienischen Fach zu Hause ist. Er tut mit den von ihm im Oktober 2019 im Großen Sendesaal des SR Saarbrücken eingespielten Schlagern aus Deutschland, Italien, Frankreich oder Wien goldrichtig das, was es braucht: Er lässt sie schlicht und einfach Schlager sein. Da ist garantiert kein Kalaf oder Cavaradossi auf Abwegen der sogenannten Leichten Muse zu ertappen. Mit einer sehr reizvollen Mischung aus Tiroler Naturbursch und dekadentem Dandy entzückt er auf allen Ebenen. Mal in einer Max Raabe, mal einer Kowalski, mal einer Jan Kiepura Pose weiß er schillernd zwischen Bariton und Tenor, Brust, voix mixte und Kopfstimme zu jonglieren. Dabei bleibt sein Vortrag stets leicht federnd und entsprechend den Texten ohne Schnörksel und Chichi.
Mitterrutzner hat sich für sein Programm was überlegt: Das Album startet mit dem Titelsong „Heut‘ ist der schönste Tag in meinem Leben“, das Joseph Schmidt 1936 in einem Fiaker im Wiener Prater unterwegs im gleichnamigen Film gesungen hat. Im Booklet wird dazu auch auf wichtige zeitgeschichtliche Informationen hingewiesen. So sollte es Schmidts letzter deutschsprachiger Film sein… Schon 1933 hatte Schmidt mit dem Film „Ein Lied geht um die Welt“ einen Riesenerfolg. Kein Wunder, geht es doch in all diesen Sängerfilmen oft um den „Aufstieg eines Mannes aus kleinen Verhältnissen, der dank seiner begnadeten Stimme die große Welt erobert, dafür aber sein Glück opfern muss.“ Auch bei Mitterrutzner ist dieses Bodenständige und Himmelfliegende zugleich zu spüren. Mit welcher Eleganz dieser liebenswürdige Draufgänger doch die Phrasen gestaltet und – ohne es allzu sehr zur Schau zu stellen – mit dem Publikum flirtet.
Richard Tauber war nicht nur Tenor, sondern auch Komponist. 1933 floh er aus Berlin nach Wien und widmete Joseph Schmidt das Lied „Du bist die Welt für mich“ in seiner im Theater an der Wien aus der Taufe gehobenen Operette „Der singende Traum“. Als Sänger durfte Tauber 1929 im Tango-Hit „Ich küsse Ihre Hand Madame“ aus dem Lautsprecher verzaubern, während „auf der Leinwand der deutsche Stummfilmstar Harry Liedke Marlene Dietrich anschmachtete.“ Der jung aufstrebende Tonfilm war überhaupt ein ideales Medium, um nicht nur eigens geschriebene Filmmusiken ins Volk zu bringen, sondern auch Stars wie Richard Tauber Gelegenheit zu geben, mit bekannten Melodien zu reüssieren. Darunter fallen Lieder wie “Wien, du Stadt meiner Träume“, „Wenn es Abend wird“ aus Kalmans „Gräfin Mariza“, Carl Böhms Salonromanze „Still wie die Nacht“ oder Jean Paul-Égide Martinis “Plaisir d’amour“. Nicht unspannend zu erwähnen ist, dass dieser für einen der populärsten französischen Hits verantwortliche Martini 1741 als Johan Paul Aegidius Martin im oberpfälzischen Freistadt geboren wurde.
Mischa Spoliansky wiederum musste von Berlin nach London emigrieren. Der russische Musiker fuhr mit „Heute Nacht oder nie“ in Berlin 1932 seinen größten Erfolg ein. Das Lied zierte Anatole Litvaks Film „Lied einer Nacht“ mit Magda Schneider und Jan Kiepura in den Hauptrollen. Und da ist natürlich Robert Stolz, der mit „Mein Herz ruft immer nach Dir, oh Marita“ von Jan Kiepura „vom oberen Mast eines Segelschiffes für die blinde Passagierin Carla Schmidt, alias Martha Eggert, gesungen wurde.“ Der polnische Superstar mimte im nächsten Film „Ich liebe alle Frauen“ einen Wurstverkäufer, der auf dem Fest eines reichen Mannes unter dem Namen des Kammersängers Jan Moreno „Ob blond, ob Braun, ich liebe alle Frau‘n“ singen durfte.
Auf der CD entzücken auch rein instrumentale Nummern, u.a. von Robert Stolz: Der Marsch „Gruß aus Wien“ und der „UNO Marsch“ (der allerdings aus den 60er Jahren stammt). Ernst Fischer rundet mit seiner Tarantella „Südlich der „Alpen“ die vier rein orchestralen Zwischenspiele ab (den letzten siehe Hans Carste).
Wie Stefan Frey in seinem Aufsatz „Der schönste Tag“ so spannend erzählt, „befanden sich etliche in Deutschland gebliebene Komponisten in einer paradoxen Situation. Durch die Vertreibung ihrer jüdischen Kollegen öffnete sich einerseits ein weites Betätigungsfeld, andererseits sollten sie nahtlos an deren Erfolge anknüpfen.“ Ein solcher Fall war Franz Grothe, der mit dem dank der Wunderlich-Aufnahme von 1956 auch Klassikfreunden bekannten Schlager „Mon Bijou“ zu Ton kommt. Auch Hans Carste wurde 1933 Mitglied der NSDAP, schrieb Filmmusiken und leitete eine Tanzkapelle. Auf dem Album ist er mit dem Marsch „Hallo! Wie wär‘s mit einer Fahrt ins Glück“ vertreten.
Die deutsche Italiensehnsucht schlug sich nicht nur in die Reisen in dieses Land, wo die Zitronen blühen nieder, sondern inspirierte etwa Gerhard Winkler 1940 zum „Chianti-Lied“. Natürlich hat Martin Mitterrutzner nicht widerstehen können, einige der eingangs erwähnten populärsten neapolitanischen Canzonen aufzunehmen. Ein weiteres Zitat von Stefan Frey beweist die programmatische Stringenz des Albums: „Di Capuas erster großer Erfolg „Non ti scordar di me“ von 1912 wurde 23 Jahre später zum Titellied des deutsch-italienischen Sängerfilms „Vergiss mein Nicht“, in dem der italienischen Operntenor Benjamino Gigli sein Debüt auf der Leinwand gab. Er trat somit nicht nur in die Fußstapfen seines Vorbilds Caruso, sondern auch in die seiner Tenorkollegen Joseph Schmidt, Richard Tauber und Jan Kiepura, die damals gezwungen waren, zu emigrieren.“
Das dieses musikhistorisch so klug konzipierte Album so einzigartig gelungen ist, ist auch Christoph Poppen und der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern zu verdanken. Feurig verführerisch und raffiniert wie Mitterrutzner lassen sie eine ganze Welt an jauchzender Sehnsucht und sinnlicher Schönheit erstehen.
Fazit: Das beste von einem Operntenor gesungene Schlageralbum seit Jahrzehnten!
Dr. Ingobert Waltenberger