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CARL HEINRICH GRAUN – ARIEN MIT JULIA LEZHNEVA – DECCA CD

CARL HEINRICH GRAUN – ARIEN MIT JULIA LEZHNEVA – DECCA CD

Prächtig virtuose Musik am Hofe König Friedrichs II – Weltersteinspielungen

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 Graun wurde in Dresden ausgebildet, war dann in Braunschweig tätig, bevor er in die Kapelle des damaligen Kronprinzen Friedrich eintrat. Von 1740 bis zu seinem Tod 1759 schrieb Graun ca. zwei Opern pro Jahr. Die  meisten seiner Werke erlebte Graun in der von Friedrich errichteten, 1742 eröffneten Oper unter den Linden aufgeführt. Beginnend mit Rodelinda, deren Ouvertüre das einzige Instrumentalstück der neuen Arien CD darstellt, sind alle Arien des Albums – mit Ausnahme des herausragenden Primadonnenvehikels „Mi paventi il figlio indegno“ aus der Oper Britannico, Weltersteinspielungen. 

„Gegenüber der Oper befindet sich die Berliner Staatsbibliothek, die bedeutende Bestände von Grauns Werken besitzt; hier haben sich auch die russische Sängerin und der temperamentvolle Pianist/Dirigent Antonenko alle Abschriften der Opernautographe durchgesehen auf der Suche nach geeigneten Opera seria Arien für das Album“, weiß George Loomis im Booklet zu berichten. Was die Suche sicher erleichterte, war die Tatsache, dass Graun damals entgegen aller Gepflogenheiten durchaus Arien genuin für Frauenstimme komponierte.  

Julia Lezhneva ist ja beileibe kein unbeschriebenes Blatt mehr in der Welt der Barockmusik. Neben ihrem Händel-Soloalbum ist diese virtuose Nachtigall besonders in den Operngesamteinspielungen von Händels „Alessandro“ und Hasses „Siroe“ (beides mit Max Emanuel Cencic) positiv aufgefallen. Lezhneva ist mit einem agilen, persönlich gefärbten und luxuriös klingenden „Charaktersopran“ geboren. Bisweilen erinnert das Timbre an die Katalanierin Victoria de los Angeles. Nicht immer springt die Stimme auf Anhieb an, Legati geraten manchmal allzu gerade, dafür sind die Koloraturen und Verzierungen allererste Klasse. Seelenvoll weiß Lezhneva um die Charakteristika der Musik, ihr Vortrag ist stets voller Emotion und ungekünstelt. 

Man höre sich nur die schon erwähnte Bravourarie aus „Britannico“ an. Julia Lezhenva sagt selbst darüber: „In dieser höchst virtuosen Arie aus einer Oper, die im alten Rom spielt, lässt die furchterregende Agrippina ihrem Zorn gegen ihren berüchtigten Sohn, den Kaiser Nero, freien Lauf.“ Auch alle anderen Arien –  in da capo Form – repräsentieren Episoden aus der römischen Geschichte oder griechischen Mythen. Da geht es um die Zauberin Armida genauso wie um Aspasia in „Orfeo“. Octavia visioniert in einer typischen „Ombra Szene“  den verblutenden Postumio. Das gesamte Arsenal barocker Notenkunst erblüht mit Lezhnevas Gesang zu lebendigem und wahrhaftigem Ausdruck. 

Nicht nur der Sopranistin unklar allerdings ist, warum dem mittlerweile doch schon auf der Opernbühne präsenten, von der Kompositionsweise her so ähnlichen Hasse aktuell viel mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als dem nicht minder begabten Graun. Ein Missverständnis, das es hoffentlich bald mit live-Aufführungen seiner Opern zu beheben gilt. Die nahende Wiedereröffnung der renovierten Staatsoper unter den Linden dürfte dazu doch so manche hervorragende Gelegenheit bieten. Bis dahin lassen wir uns von dem bezauberndem Album Julia Lezhnevas in Stimmung bringen.

Dr. Ingobert Waltenberger