Stephen Gould als Tannhäuser und Markus Eiche als Wolfram – Romerzählung (c: Zsófia Pályi)
Budapest: „Tannhäuser“ – 17.6.2018 Müpa
Aus einem 1. Akt, der fast nicht vorhanden war, einem szenisch ganz schwachen 2. Akt, in dem es nahezu keine Personenregie gab, und einem dank Stephen Gould und Markus Eiche tief berührenden, ja überwältigenden 3.Akt setzte sich die Wiederaufnahme (erarbeitet von Sylvie Gabor) dieser Inszenierung von Matthias Oldag zusammen. Da die kurze Dresdner Fassung gespielt wurde, konnte Adam Fischer sich mit dem Hungarian Radio Symphony Orchestra im Venusberg auch nicht so richtig ausleben. Er begleitete das Bühnengeschehen zügig, hatte das große Ensemble auch auf der Wartburg fest im Griff und vermittelte zusammen mit den Musikern und Sängern erst im Finalakt jene Emotionen, die Wagners geniales Musikdrama so einprägsam machen.
Die hübsche, schlanke Sophie Koch sah in ihrem attraktiven roten Kleid wie ein junges Mädchen aus und sang die Kurzfassung der Venus-Partie in allen Lagen schön und sicher. Die nötige sinnliche Ausstrahlung fehlte ihr. So saß sie auf der Bettstatt neben Stephen Gould, der wieder einmal mit seiner gewaltigen Stimme verblüffte, die jedoch auch Tannhäusers Träume von irdischen Freuden und Schmerzen, von der Sonne und den himmlischen Gestirnen, der Nachtigall und dem Lenz ganz locker vermitteln kann und seine Zerrissenheit zwischen hüben und drüben und letztlich die Entschlusskraft, sein Heil in Maria zu suchen, glaubwürdig Klang werden lässt. Das einzig Poetische, was die Bühne optisch zu vermitteln hatte, war den ganzen Abend über die Projektion eines Waldes im Hintergrund, der in verschiedenen Farben und Lichtstärken beleuchtet, die jeweilige Szene bzw. Situation etwas belebte. Aus dem intensiven rot-grünen Hintergrund wurde beim Szenenwechsel zum Wartburgtal ein Wald in hellem Morgenrot.
Zwei Knaben erschienen auf der Bühne. Der eine besang Frau Holda, der andere spielte mit. König Heinrich und seine ihn auf die Jagd begleitenden Minnesänger traten ebenso wie die Rompilger in so hässlicher Alltagskleidung auf, dass sogleich jegliche Stimmung erstarb. Dass der Landgraf des Gabor Bretz jünger als alle seine Sangeskollegen aussah, wäre historisch gar nicht so falsch, aber bei Wagner ist er nun einmal eine eher väterliche Figur. Trotz guter Bassstimme glaubt man dem Sänger jedoch nicht seine führende Rolle, und da er seine Ansprache vor dem Sängerkrieg sogar, wie ein schlechter Politiker, vom Blatt lesen musste bzw. durfte, spielte ihm die Regie einen schlechten Streich. Wer jetzt schon sehr positiv auffiel, war der Wolfram von Markus Eiche, der mit fester, klarer Stimme seine wahren Gefühle sowohl für den heimkehrenden Sangeskollegen als auch hinsichtlich Hoffnung auf Elisabeths Rückkehr zu den Sangesfesten erahnen ließ.
Die Sängerhalle war verbaut. Viel zu gewichtige Lehnstühle und ein Tisch im Mittelteil der breiten Bühne ließen dem Chor und den Vokal-Akteuren zu wenig Platz. Die Minnesänger konnten nur ganz vorne an der Rampe hin- und hergehen. Elisabeth und Tannhäuser waren in ihrem Wiedersehensduett ganz links und ganz rechts außen platziert. Die Chorsänger traten paarweise über die Seitengänge des Zuschauerraums in nobler schwarzer Kostümierung auf und mussten sich dann ganz links und ganz rechts in den Bühnenecken mit Blick zur Mitte zusammendrängen, sodass man von ihren Gesichtern keine Teilnahme am Geschehen ablesen konnte. Die nicht mehr ganz jugendlich aussehende Elisabeth Tünde Szabóki steckte in einem Hosenanzug. Ihrem sehr hellen Sopran fehlte die frauliche Wärme, die Höhen kamen zwar sicher, klangen aber sehr dünn und hart. Für eine sinnvolle Aktion ließ ihr die Regie keinen Raum. Beim Sängerstreit hatte man den Eindruck, einer ersten Stellprobe in Probenkleidung beizuwohnen. Markus Eiche und Stephen Gould konnten sich dennoch die führenden Rollen in ihrem Sangesduell sichern. Markant in Wort und Ton steigerten sie sich eindrucksvoll in ihren Kampf um den Siegespreis hinein. Recht markant stritt mit kräftigem Bassbariton auch Jürgen Linn als Biterolf „für Frauenehr und hohe Tugend“, nachdem sich Tibor Szappanos als Walther von der Vogelweide mit dünnem Charaktertenor und spöttischem Ausdruck – wohl bewusst so angelegt – einfach nur lächerlich gemacht hatte. Heinrich der Schreiber und Reinmar von Zweter (Tivadar Kiss, Ferenc Cserhalmi) ergänzten unauffällig in den Ensembles. Die gesangliche Leistung der Chöre (Hungarian Radio Symphony Choir (Leitung Zoltán Pad, des Honvéd Male Choir und Budapest Studio Choir (Kálmán Strauss) war beeindruckend. Ob alle Teilnehmer gewussst haben, was sie da singen, erweckte schon deshalb Zweifel in mir, weil ihnen keine Gelegenheit geboten wurde, eine emotionale Teilnahme zu zeigen. In der 2. Pause sah man unter den Besuchern nur gelangweilte Gesichter und vernahm keine bewegten Diskussionen.
Totaler Szenenwechsel für den 3. Akt. Unsäglich traurig die Stimmung durch die kahlen Baumkronen und das trübe Licht im Hintergrund. Wir befanden uns in einem Friedhof. Mehrere parallel zu einander gelagerte Gräber bildeten den Vordergrund. Sowohl Elisabeth als auch Wolfram und dann Tannhäuser benützten die Grabsteine als Sitzgelegenheit, kauerten sich in eine Ecke und suchten dort zuletzt ihre letzte Ruhestätte. Ganz verwandelt erschien nun die Sängerin der Elisabeth. Tünde Szabóki ließ innige Töne hören, versenkte sich mit schmerzlichem und entrücktem Ausdruck in ihr Gebet zur „allmächt’gen Jungfrau“ und ließ sich danach mit verzückter Miene an der Seite eines der Graber zu Boden gleiten. Markus Eiche, auf dessen Wolfram – verständlicherweise auch eine seiner Wunschrollen – wir schon lange vergebens gewartet hatten, wartete ebenso hoffnungsvoll wie seine angebetete Elisabeth auf die Heimkehr der Rompilger. Als die geliebte Frau ihm nach Abgang des Chores auf seine Frage, ob er sie nicht geleiten dürfe, nicht mehr antworten konnte, packte ihn die Verzweiflung und er ließ sich am Rande eines der Grabsteine nieder, den Kopf in die Hände fassend und mit den Armen umschlingend. Doch dann: „Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande...“ kann man ergreifender nicht singen. „Die Seele, die noch jenen Höhn verlangt“, das sanfte Licht des lieblichsten der Sterne … wurden förmlich greifbar. Tiefster Schmerz, gestützt auf die bewundernswerte Kraft der Entsagung, gebettet in die Vision des sel`‘gen Engels im Jenseits, wurden zum Weinen schön besungen. Harfe gönnte ihm die Regie zwar keine, aber Eiche ersetzte das durch seine körperliche und vokale Ausdrucksstärke.
Und dann Tannhäusers Erscheinen. Zunächst rollengemäß die verzweifelte Reaktion des frustrierten Rompilgers – Stephen Gould mit höhnischem Ton dem ehemaligen Liebesrivalen gegenüber. Man versteht Wolframs Entsetzen nach der vorhergehenden Verklärung. Mit erschreckender Stimmkraft kommen Goulds Ausbrüche „Schweig mir von Rom!“ Doch dann das Umschwenken: „Wie sagst du, Wolfram, bist du denn nicht mein Feind?“ – eine neue Welt öffnet sich dem Unglücklichen. Was sich an Mienenspiel in den Gesichtern und an emotionaler Eindringlichkeit in den Stimmen der beiden Sänger abspielt, ist unsagbar. Man muss es gehört und gesehen haben. Gäbe es ein Video von der Szene, würde ich mir das Tag und Nacht wieder und wieder anschauen. Was Stephen Gould, der als „schwerer Heldentor“ eingestufte Sänger, an wechselnden Erinnerungen, Situationsschilderungen, Gefühlen und Visionen in allen Stimmlagen und Lautstärken voller Innigkeit und Kraft, mit sarkastischer Wiedergabe des Papst-Fluches, dann wieder mit beinah tonloser Verklärung, bei „Da sank ich in Vernichtung dumpf darnieder“ mit ersterbender Stimme zum Besten gibt, ist phänomenal. Er war es in dieser Rolle immer schon, schon damals in Linz, im Jahre 2001, als Ioan Holender ihn vom Fleck weg an die Wiener Staatsoper engagierte…Und er fügt seinem Rollenporträt immer noch neue Details hinzu.
Dem armen Wolfram wird am Ende noch ein weiterer Schmerz zugefügt. Er hatte sich neben die tote Elisabeth gelegt, ihr noch seinen Mantel liebevoll über die nackten Füße gebettet – und nun kommt sein Freund Tannhäuser und beansprucht diesen Platz: „Heilige Elisabeth, bitte für mich!“ Wie Gould sich damit friedvoll und erlöst an die Seite der Verstorbene legt, das geht unter die Haut.
Das finale Halleluja war gerechtfertigt.
Sieglinde Pfabigan