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BUDAPEST: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Premiere

20.07.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

BUDAPEST/Palace of Arts: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Premiere am 8.6.2013


Klaus Florian Vogt, Bo Skovhus, Miklos Sebestyen, James Rutherford.  Foto: Zsusza Petö/Palace of Arts

Romantik, Utopie und Surrealismus…

Der Höhepunkt des diesjährigen „Wagner in Budapest“ Opernfestivals war zweifellos die Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ durch Michael Schulz, dem Ex-Intendanten der Nationaltheaters Weimar und Regisseur des Salzburger Osterfestival-„Parsifal“, unter der Leitung des Künstlerischen Direktors des Festivals, Ádám Fischer. An diesem Werk, welches Wolfgang Wagner einmal als das utopischste seines Großvaters bezeichnete und an dem sich so viele Regisseure schon die Zähne ausgebissen haben, zuletzt auch seine Urenkelin am Grünen Hügel, lässt sich die nach den Bayreuther Entwicklungen seit 2011 ohnehin immer mehr an ihre Grenzen stoßende Regietheater-Ästhetik am schwersten vollziehen. Ádám Fischer hat dafür in einem interessanten Interview mit Zoltán Rockenbauer im Programmheft auch eine Erklärung parat. Er hält die „Meistersinger“ aufgrund der in ihnen zum Ausdruck kommenden Kreativität für das größte Gesamtkunstwerk, in dem er auch die fein schattierten und bisweilen verdeckten Emotionen – so zwischen Sachs und Eva – schätzt. Es sei eben schwer, ein Libretto zu transformieren, welches mit so viel Liebe zum Detail und einer solchen Präzision geschrieben ist. „Weder der Regisseur noch der Dirigent kann wirklich mit dem Text oder der Musik herumspielen.“

Damit ist eigentlich alles gesagt. Umso lobenswerter und beeindruckender war zu erleben, wie Schulz dennoch eine überaus lebendige, in keiner Weise und in keinem Moment altbacken wirkende und dabei äußerst fantasievolle Inszenierung auf das große Podium des Béla Bartók Konzertsaales stellte. Sie ist so intensiv und vielgestaltig und kommt dennoch mit wenigen Requisiten aus, dass man sie eigentlich gar nicht mehr als halbszenisch bezeichnen möchte. Ganz dezent wird die Nürnberger Atmosphäre des 16. Jahrhundert mit wenigen Stilelementen (Bühnenbilder Dirk Becker) der Zeit angedeutet. Dazu mittelalterliche und auch christliche Ästhetik – alles immer dezent und subtil. Allein auf der Festwiese lässt es das Regieteam richtig krachen und findet vor einem surrealistischen Großgemälde, welches an Salvador Dalí erinnert, zu einer deutlichen Bildersprache in Farben, Kostümen (Renée Listerdal) und ausgelassener, ja zeitweise skurril anmutender Choreographie, die aber treffend die von Wolfgang Wagner angesprochene Utopie des Werkes widerspiegelt.

Zwischendurch finden sich immer wieder kleine sarkastische Verweise auf das Spießertum der künstlerisch in ihrer Entwicklung festgefahrenen Meistersinger, und vor allem Beckmessers. Dieser wird in einer unglaublich intensiv und gekonnt vorgetragenen Charakterstudie von Bo Skovhus interpretiert, der zudem noch mit einem sehr gut intonierenden klangvollen Bariton aufwartet – mehr als sonst eine zentrale Figur des Stückes und ein ständiger Spannungspol zwischen Sachs, Stolzing und Eva. Schulz zeichnet den großen Kritiker Wagners hier mit einer beeindruckenden Mischung aus Häme, Spott und Ironie. Kostüme und Maske der „kleinen“ Meister offenbaren ebenfalls Kleinbürgerlichkeit, einer von ihnen strickt gar während der Sitzung… Das alles kommt aber mit einer solchen Leichtigkeit und Natürlichkeit und dabei stets äußerst humorvoll und mit einem Schuss Poesie daher, dass die ganze lange Oper fast wie im Fluge vergeht – und dies alles ohne komplizierte und riesige Bühnenaufbauten… Es gibt Riesenbeifall nach jedem Aufzug.

Ebenso wie der „Lohengrin“ tags darauf oder auch der bescheiden als halbszenisch bezeichnete „Ring des Nibelungen“ in Cottbus zeigt diese „Meistersinger“-Inszenierung in einem Konzertsaal, welch theatralische Intensität mit wenigen Requisiten zu erzeugen ist, wenn die SängerdarstellerInnen großes Format haben und das Werk sich aus ihnen heraus entwickelt. Das gelang den Budapestern auch bei dieser Premiere wieder, nicht zuletzt auch aufgrund der ausgezeichneten Personenregie von Michael Schulz, der das Werk offenbar sehr gut studiert und verstanden hat. Mit Klaus Florian Vogt als Stolzing und Annette Dasch hatten sie das Bayreuth-erprobte „Lohengrin“-Paar verpflichtet. Vogt beweist einmal mehr, dass ihm der Stolzing besonders gut liegt, ja auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Er singt und spielt die Partie mit großer Professionalität, viel Humor und einem Schöngesang, der alle Facetten seines lyrisch dramatischen Tenors hören lässt. Annette Dasch gibt eine beherzte Eva mit viel Emphase, die weiß, was sie will. Sie leiht der Partie ihren klangvollen und facettenreichen Sopran. Die beide bilden auch optisch ein ideales Paar. Eric F. Halfvarson ist eine weitere Luxusbesetzung als Pogner mit seinem profunden und perfekt geführten Bass. James Rutherford ist ein junger Sachs, dem man die ganze Lebenserfahrung, welche diese Figur verkörpern sollte, nicht so recht abnimmt. Zu Beginn ist die Stimme noch nicht ganz präsent, klingt etwas kopflastig. Das ändert sich im 3. Aufzug, denn hier erreicht er mit weit mehr Tiefe auch eine größere Klangfülle seines vor allem gesanglich betonten Vortrags. Miklós Sebestyén singt mit edlem Material einen klangschönen Kothner. Der Tenor von Uwe Strickert als David ist um einiges zu hell und kann die Beziehung zur ansprechend singenden Magdalena von Gudrun Pelker nicht ganz glaubhaft machen, auch was sein wenig vorteilhaftes, aber eben auch karikierendes Outfit betrifft. Die „kleinen“ Meister, allesamt stimmlich einwandfrei, sind William Saetre (Kunz Vogelgesang), Domonkos Blazsó (Konrads Nachtigall), István Horváth (Balthasar Zorn), József Csapó (Ulrich Eisslinger), Lars-Oliver Rühl (Augustin Moser), Piotr Prochera (Hermann Ortel), Ferenc Cserhalmi (Hans Schwarz) und Zoltán Nagy (Hans Foltz). Dömötör Pintér singt den Nachtwächter mit hellem Bass bei gutem Posaunenklang. Der MR Chor unter Leitung von Csaba Somos und der Ungarische Nationalchor unter Leitung von Mátyás Antal singen stimmkräftig und stets transparent, mit großer Emphase. Ihr „Wach auf!“ war sensationell.

Ádám Fischer, man mag es kaum glauben, dirigierte mit dem MR Symphonie-Orchester an diesem Abend seine ersten „Meistersinger“ überhaupt und freut sich, dass er nun den Bayreuther Kanon komplett dirigiert hat. Nur die drei Frühwerke fehlen noch. Er machte mit seiner großen Wagner-Erfahrung diese „Meistersinger“ zu einem festspielreifen musikalischen Erlebnis. Man merkt an seinem Dirigat, dass es ihm auf die Feinzeichnung der Figuren ankommt, auf die Emotion und auch romantische Elemente, so wie sie sich beispielsweise beim Fliedermonolog offenbaren. Da ist dann auch schon einmal eine lange, aber passende Generalpause zu hören, wie um die Zuhörer zu noch stärkerer Konzentration und zum Nachdenken anzuregen. Das Orchester musiziert unter seinem Schlag mit großer Farbenpracht und Sensibilität. Feine lyrische Passagen werden ebenso gut herausgearbeitet wie die nie zu laut klingenden dramatischeren Phasen, die, wie das Vorspiel, mit einer guten Rhythmik versehen sind. Die riesige Orgel trägt in der großartigen Akustik des Béla Bartók Saales das ihre zum Gelingen dieser Premiere bei. Das Publikum bedankt sich mit begeistertem Applaus.

Das Opernfestival „Wager in Budapest“ hat damit seinen bedeutenden Platz unter den europäischen Musikfestivals bestätigt. Nächstes Jahr werden der „Ring des Nibelungen“ und der ebenfalls sehens- und hörenswerte „Tannhäuser“ von Matthias Oldag wieder aufgenommen. Und später will Á. Fischer auch noch den „Fliegenden Holländer“ inszenieren lassen – dann wäre auch im MÜPA der Bayreuther Kanon komplett…

(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

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