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BUDAPEST / CONTEMPORARY ROMANTICS – SINFONIEKONZERT mit KRZYSZTOF PENDERECKI

18.10.2016 | Konzert/Liederabende

BUDAPEST / Contemporary Romantics – SINFONIEKONZERT mit KRZYSZTOF PENDERECKI
am 17.10.2016 (Werner Häußner)

Es ist ein tückisch Ding mit der Erinnerung. Vor vielleicht 25 Jahren dirigierte Krzysztof Penderecki beim Kissinger Sommer Beethovens Siebte. Es war eine der spannendsten Beethoven-Aufführungen, die ich je erlebt habe. Man spürte: Hier begegnet ein Komponist einem Kollegen. Penderecki legte Strukturen, Verläufe und Beziehungen frei; sein Zugriff war elegant und voll Esprit, ohne die Symphonie der polierten puren Ästhetik auszuliefern. Jetzt, beim Contemporary Arts Festival (Kortárs Müvészeti Fesztivál) in Budapest, CAFe genannt, stand der polnische Komponist wieder für die Siebte am Pult. Rund um ihn herum das Concerto Budapest, alle umgeben vom prachtvollen Interieur des Saales der 2014 renovierten Zeneakadémia, der 1875 vom Namensgeber gegründeten Liszt Ferenc Musikakademie, heute ein Institut von rund 830 Studierenden und 170 Lehrkräften, einem Symphonieorchester, einem Chor und einer Talentschmiede für außergewöhnliche Begabungen, an der schon Achtjährige studieren können.

Penderecki also mit Beethoven, und diesmal einer immer noch eigenwilligen, aber diskussionswürdigen Aufführung: der „poco sostenuto“-Beginn in zerfallender Langsamkeit und ohne Innenspannung, das Allegro con brio des vierten Satzes in strikt mit der Faust durchgepeitschtem Tempo eher als Presto assai. Kein Wunder, dass die wackeren Musiker des Concerto Budapest am Anfang nicht wissen, wohin mit der Phrasierung, und am Ende die Artikulation verwischen. Die massiven Tutti kommen dröhnend in dem herrlich ausgestatteten Saal mit seiner satten, sauberen, aber zur Fülle neigenden Akustik.

Bleibt die Frage, wozu bei einem Festival zeitgenössischer Künste überhaupt Beethoven erklingen sollte – es sei denn, man optiert (mit gutem Grund) auf eine gewisse bleibende Modernität des Wiener Feuerkopfs. Dann sollte man allerdings eher ein Festival zeitloser Künste ansetzen … Wie auch immer.

Der erste Teil des Konzertabends war Penderecki, dem Komponisten, vorbehalten. Denn im diesjährigen Programm des Festivals steht neben den Schwerpunkten Béla Bártok (auch nicht gerade ein Zeitgenosse) zum 135. Geburtstag und der Erinnerung an die ungarische Erhebung gegen die Sowjets 1956 die Feier der ungarisch-polnischen Solidarität. An der 1992 aus einem Streichtrio weiterentwickelten Sinfonietta ist gut abzulesen, wie Pendereckis Suche nach neuen Klängen mit der Auseinandersetzung mit Formen der Vergangenheit eine Synthese eingeht. Auf der einen Seite sind die Wechsel von Soli und Tutti nach Art des concerto grosso hörbar, auf der anderen Seite stehen chromatische „Parsifal“-.Klagen, ein harscher Rhythmus und Störungen des Wohlklangs. Penderecki dirigiert mit Lust am großen Bogen wie an abrupten Unterbrechungen, die einzelnen Elemente unwirsch hinstellend statt sie versöhnlich aneinander zu reihen. Die Musiker sind offenbar in ihrem Element: Die Streicher zeigen, wie farbenreich sie intonieren, wie sprechend sie artikulieren können.

So wird auch das Adagio aus der Dritten Symphonie zum Tummelplatz klangfroher Spiellaune. In dem 1995 zum 100jährigen Bestehen der Münchner Philharmoniker uraufgeführten Werk haben die Bläser alle ihre Solo-Momente; da demonstrieren die Budapester, wie idiomatisch einfühlsam sie zu Werk gehen können. Da gibt es Bruckner-Blech und schrille Mahler-Töne etwa im Piccolo und in der Flöte, ein schwermütiges Fagott-Solo, Einwürfe des Schlagwerks und geheimnisvoll klingendes Celesta-Spiel. Penderecki dirigiert tief atmend eine Musik aus einem großen Guss.

In seinem Trompetenkonzert, der jüngsten Komposition von 2015, uraufgeführt in Saarbrücken, darf das Blasinstrument geradezu belcanteske Linien, aber auch spritzige Staccati, melodische Sensibilität und kecken Zugriff auf den Rhythmus zeigen. Gábor Boldoczky macht das mit Lust und einem wie selbstverständlich klingenden, schlank-entspannten Ton. Das Werk nennt sich zwar „Concertino“ und meint damit vielleicht die Kürze – es dauert nur 12 Minuten – oder seinen eleganten Humor, aber wohl nicht die Besetzung. Bassklarinette, Sopransaxophon, Xylophon, Kuhglocken, Tamtam und Tamburin, dazu vom Becken bis zur Großen Trommel alles, was rumst: Penderecki will Farbe und nochmal Farbe, und bekommt von den Budapester Musikern, was er verlangt. Dieses Werk dirigiert sein Assistent Maciej Tworek; er macht das mit ausholendem Schlag, aber hoher Präzision und viel Klangsinn. Penderecki war schon vor einer Woche Thema, bei einer Aufführung seiner Siebten Symphonie („Die siebe Tore von Jerusalem“). Ein Kammerkonzert rundet den Blick auf Aspekte seines Schaffens in Budapest ab.

Werner Häußner

 

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