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BRNO (Brünn)/Stadttheater: PÍSKANÍ po VĚTRU (Withle Down the Wind) Premiere

25.10.2015 | Operette/Musical

PÍSKANÍ po VĚTRU (Withle Down the Wind) Premiere am 24.Oktober 2015 im Stadttheater Brünn (Brno)

Eine Musical – Produktion der Superlative von Lloyd Webber

 Piskani Wallp

Das Musical von Lloyd Webber (Lyrics Jim Steinman) spielt zur Weihnachtszeit im Jahre 1959 in einer Kleinstadt im südlichen US – Staat Louisiana, wo Bigotterie, Kleinbürgertum, Rassismus und Ablehnung gegen alles Fremde herrschen. Der noch kindliche, aber mit 15 Jahren gerade zum Teenager heranwachsende  Swallow lebt mit seinen beiden jüngeren Geschwistern Brat und „Poor Baby“ bei Vater Boone in ärmlichen Verhältnissen. Alle trauern um die erst vor kurzem verstorbene Mutter, nach der nun der Teenager Swallow auch die Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernimmt. Die 3 Bauernkinder aus Louisiana, die in ihrer Scheune zufällig einen geheimnisvollen Mann entdecken, sehen in ihm die Gestalt eines Jesus Christus den sie aus der Religionsgeschichte der Sonntagsschule glauben zu erkennen. Doch in Wahrheit wird dieser geheimnisvolle Mann von der Polizei gesucht, aber die Kinder haben inzwischen Freundschaft mit ihm geschlossen und versuchen, ihn vor der Polizei in der Scheune zu verstecken.

Ein sicherlich ungewöhnliches Thema nach einer Novelle von Mary Hayley Bell und nach dem gleichnamigen Film von 1961, wobei man glauben möge, dass dieser Stoff nicht gerade ein Highlight für ein Musical ist. Doch durch die Verfilmung allein ließ sich Lloyd Webber derart inspirieren, dass aus diesem Thema sogar ein höchst anspruchsvolles Musical wurde. Es interpretiert umgekehrt die absurde und zynische Welt der Erwachsenen, in der Kinder im Grunde genommen keinen Platz haben, und wo mit den Augen der Kinder eine eigene emotionsvolle Welt entsteht, die in der Fantasie und Realität letztendlich doch noch in Einklang zu bringen ist.

Pískání po vÏtru2
Foto: Theater Brno

Dieses berührenden Stücks mit allen seinen Sentimentalitäten aber auch Grausamkeiten hat sich Petr GAZDÍK angenommen, wobei er nicht nur verantwortlich für die Übersetzung (in tschechischer Sprache), Bearbeitung und für die Regie ist, sondern auch mit Bravour die Rolle des Verbrechers Muz selbst auf der Bühne darstellte. Nur zu gern erinnern wir uns noch an sein ausgezeichnetes Debüt in „Jesus Christ Superstar“ als Judas am Wiener Raimundtheater (2006), wo er seine schauspielerische und gesangliche Bandbreite unter Beweis stellte und vom Publikum mit Standing Ovations Abend für Abend gefeiert wurde. Neben seinen vielen Rollendebüts in internationalen Schauspiel – und Musicalproduktionen ist er seit Januar 2004 auch Musicalchef am Brünner Theater. Er erhielt 2010 für die schauspielerische Leistung Les Misérables den „Thalia Preis“. Petr GAZDÍKS schauspielerische Darstellungen sind spektakulär – vom jugendlichen Liebhaber bis hin zum dramatischen Charakterfach zeigt er nicht nur optisch Wandlungsfähigkeit, auch sein Spiel ist wie die Farbpalette eines Malers, ein Farbenspiel bunter Lebendigkeit – dann wieder düster mit opulenter Dramatik spiegeln sich alle menschlichen Abgründe – wobei Gut und Böse in einem vereint ist. Dazu kommt die Stimmkraft, die manchmal alle Dimensionen sprengt, so wie auch derzeit in der Rolle des Mörders Muz, in der er alle Facetten seines Könnens unter Beweis stellt. Ebenso ist auch seine Regiearbeit von so dynamischer Präzision, weil die Charaktere der einzelnen Rollen bis ins kleinste Detail erarbeitet wurden, und wo dann die mit einer Leichtigkeit gespielte Darstellung und Interpretation über die Rampe geht. Das ist wahres Theater – und beneidenswert ist jeder Schauspieler und Sänger, der sich unter der Führung von Petr GAZDÍK verwirklichen und entwickeln darf.
Inzwischen hat das Brünner Musical einen ausgezeichneten Ruf erlangt, was nicht verwundert, denn auch das junge Ensemble überzeugt mit einer so dynamischen gesanglichen, schauspielerischen und tänzerischer Leistung, wie man sie nur noch selten an einigen Theatern erlebt. Everybody is perfect – zumindest was die künstlerische Leistung betrifft!

In dieser Inszenierung überraschte außerdem eine überaus talentierte Kinderschar, bei der nicht nur die Freude am Spiel, sondern auch das eine oder andere Nachwuchstalent bereits zu erkennen ist. Adam GAZDÍK ( Junior), der kleine singende und sprechende Blondschopf, er war neben Anna Marie PĚCHOVÁ, Vendula MRKVICOVÁ, Lucie BIKÁROVÁ und Jan MAZÁK der eigentliche Kinderstar an diesem Abend, und es würde Dimensionen sprengen, alle jungen Talente an dieser Stelle aufzuzählen, weil jeder für sich schon eine kleine Persönlichkeit auf der Bühne darstellt. Die weiteren Protagonisten wie Viktória MATUŠOVOVÁ als Candy und Dusan VITÁZEK als Amos zeigten ebenso gesangliches und schauspielerisches Format. Entzückend insbesondere Vendula MRKVICOVÁ in der Rolle als Teenager Rostana, in der sie mit schauspielerischer Sensibilität und stimmlicher Qualifikation ausdrucksstark die Zuschauer faszinierte und für diese Rolle perfekt besetzt war. Aber auch die anderen männlichen Kollegen an ihrer Seite bewiesen ein hohes Maß an künstlerischer Leistung, die schon allein aufgrund einer jahrelangen Ensemblearbeit in Harmonie und Einklang stand, weil an diesem Theater ein fixes bestehendes Ensemble auch ein Garant für erfolgreiche Produktionen ist. Dies allein ist schon der Beweis dafür,  dass ein ständiger Wechsel von Protagonisten, wie es heute doch eher an den deutschen, österreichischen und amerikanischen Bühnen üblich ist, nicht immer ein Vorteil sein muss.

Die Musik von Lloyd Webber entspricht eigentlich so gar nicht der typischen Handschrift des Komponisten. Wo aber bei den bekanntesten Songs wie „whistle down the wind“, „now matter what“, „the vaults of heaven“, „when children rule the world” und “ I never get, what I pray for” den typisch musikalischen Charakter Webbers doch letztendlich prägen. Der junge Hausdirigent Jakub ŽIDEK zeigte hier ausgesprochenes musikalisches Fingerspitzengefühl und dirigierte mit viel Schmiss auch die Ensemble – und Tanznummern, wo insbesondere auch die Choreographie von Carli Rebecca JEFFERSON mit den Tanzeinlagen aus den fünfziger Jahren ein wahrer Augenschmaus waren. Das gilt auch für das Bühnenbild von Emil KONEČNÝ und die Kostüme von Andrea KUČEROVÁ.

Diese Musical Produktion hat ausgesprochenes Broadwayniveau und ist ohnedies auch mit den Produktionen der VBW gleichzustellen. Ein Ausflug nach Brünn ist wirklich empfehlenswert, um sich dort von der hervorragenden Solisten – und Ensembleleistung selbst zu überzeugen.

Frenetischer Applaus war der Lohn seitens des jungen aber auch älteren Publikums. Standing Ovations für die ausgezeichneten Solisten, für Ensemble und für den Dirigenten, und als Dankeschön viele Blumensträuße, wobei ich diese alte Tradition inzwischen an deutschen und österreichischen Theatern sehr vermisse. Weil Blumen doch immerhin eine Verehrung für die großartige künstlerische Leistung symbolisieren, wo man mit Achtung, Respekt und Bewunderung einen Künstler gegenübertritt, wie auch der Applaus eben das tägliche Brot für den Künstler ist. Eine wahre Bravourleistung wird hier geboten wobei auch der Weg knappe 2 Stunden mit dem Auto oder Bus eine nicht allzu große Entfernung darstellt.

Vielleicht sollte sich hier auch das Marketing wirklich stark machen, um österreichisches aber auch deutsches
Publikum in die Musicalvorstellungen zu bringen. Man könnte alternierend vielleicht auch einzelne Produktionen mit deutschen oder auch englischen Untertiteln dem Publikum schmackhaft machen, auch hier vielleicht die absoluten Highlights für mehrere Monate oder vielleicht sogar auf Jahre spielen könnte. Denn das Theater ist nicht nur akustisch und Bühnentechnisch hervorragend ausgestattet – auch der große Zuschauerraum, wie ein überdachtes Amphitheater angelegt, gibt einen phantastischen Ausblick auf die Bühne. Selbst die Stehplätze sind links und rechts stufenweise bis zur Bühne hinunter ausgebaut, sodass auch junge Zuschauer einen direkten Bezug zur Bühne haben. Ein Idealfall, denn Stehplätze sind leider in den meisten Opern – Operetten – Schauspiel – und Musicalhäusern in den letzten Rängen verdammt, sodass man bei schlechter Akustik weder den Text noch den Gesang versteht. An diesem Haus in Brünn ist es aber auch technisch egal, weil Bühne oder Zuschauerraum gut durchdacht wurden.

Manuela Miebach

 

 

 

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